In der Bild wurde zum Angriff geblasen. "Es ist ein Tabu" titelt das Blatt über angeblich hohe Anteile von Intensivpatienten mit Migrationshintergrund. Alles klingt wie eine große Enthüllung; man schreibt, die Regierung hätte es aus Angst vor einer Rassismus-Debatte verheimlicht.
Der Beitrag wirkt seriös und relevant, denn auch der Chef des Robert-Koch-Instituts, Wieler wird zitiert.

Ich habe mir die Mühe gemacht, einige Punkte zu recherchieren und anzusprechen. Und ich sage mal so: Da steht eine ganze Menge Quatsch.
Der ganze Beitrag wirkt wie eine Enthüllung von Fakten. Die Wahrheit ist: Jede Info in diesem Artikel ist ein persönliches Empfinden. An einer Stelle erzählt ein Mediziner von "über 90%" und ein anderer von "über 50%" Anteil an Patienten mit Migrationshintergrund.
Wie diese Zahlen zustande kamen? "Eine telefonische Umfrage unter Chefärzten". Wie und wer genau um Einschätzung gebeten wurde, ist ein Rätsel. Ich habe eben 2 Chefärzte gefragt, ob sie kontaktiert wurden und sie verneinen und sagen beide, dass die Zahlen stark übertrieben sind.
Zahlen, von denen behauptet wird, sie würden, "sehr deutlich zeigen, dass es offensichtlich eine Gruppe gibt, die die Politik mit Corona-Warnungen überhaupt nicht erreicht".
Es gibt übrigens bei der Aufnahme von Patienten überhaupt keine Erhebung der Daten, welche Religion sie haben oder ob sie einen "Migrationshintergrund" haben. Die Einschätzungen müssten also durch das Augenscheinliche getroffen werden. Das ist ganz nah an Rassismus, Freunde.
Plötzlich wird aus dem "Migrationshintergrund" einfach "Muslime" Wieler wird zitiert, "das sind Parallelgesellschaften mitten in unserem Land. Wenn man dort etwas ausrichten will, klappt das nur mit beinharter Sozialarbeit in den Moscheen. Und da kommen wir nicht rein."
Angeblich habe Wieler versucht, an Muslime heranzutreten und sei gescheitert. Aha. Ich habe bei drei großen muslimischen Verbänden (DITIB, zmd, Islamrat) nachgefragt und überall wurde mir gesagt, dass Wieler oder das RKI sich nie gemeldet hätten.
Und dass man mit Muslimen nicht sprechen könne, ist absurd. Kanzlerin unterhielt sich mit Verteterinnen und Vertretern der Religionsgemeinschaft explizit zu den Corona-Maßnahmen, die - insbesondere die der Muslime - gelobt wurden.
Wieler hatte wohl nicht damit gerechnet, dass sein fragwürdiges Gerefe öffentlich wird, und erklärte daraufhin, dass das keine Feststellungen gewesen wären, sondern "nur Überlegungen".
"Überlegungen", die auf Kosten einer ganzen Minderheit so dahergesagt wurden. Muslime haben ihre Moscheen als erste Religionsgemeinschaft in Deutschland eigenständig geschlossen noch bevor die Regierung eine Schließung anordnete.
Und die muslimischen Verbände in Deutschland erarbeiteten ein Hygienekonzept zur Wiedereröffnung, dass übrigens weltweit zum Vorbild genommen wurde.
Aber gehen wir nur kurz mal davon aus, dass diese gefühlten Wahrnehmungen tatsächlich Realität wären, stellt sich doch die viel relevantere Frage:
Traut Deutschland sich Studien zu, um zu erforschen, wie Minderheiten aufgrund ihrer systemrelevanten Arbeit und auch ihrem überproportional hohen Anteil im medizinischen Bereich häufiger Corona ausgesetzt sind, wie es in den USA und in England faktisch nachgewiesen wurde?
Der Anteil der Schwarzen in England, die bei gleichen Ansteckungsraten wie Weiße starben, war vier mal höher. Auch bei Pakistanis war die Rate drei mal höher.
Bei Schwarzen liegt das vor allem auch daran, dass über die Hälfte von ihnen, die sich in systemrelevanten Berufen befinden, im medizinischen Bereich arbeiten. Und da ist man Corona am stärksten ausgesetzt.
So waren z.B. auch die ersten drei Ärzte, die in England an Corona starben, allesamt muslimisch. In Deutschland fehlen solche Studien und Analysen bislang.
Nicht nur dass das aus wissenschaftlicher Sicht bedauernswert ist, stattdessen beteiligt sich der Chef des RKIs an populistischem Tratsch. Solche Stammtischgespräche unter Gleichgesinnten bzw. Gleichuninformierten und dass die Bild das dann dankend annimt, sind eine Frechheit.
Man sollte nicht erklären müssen, warum es kein einfacher Fehltritt ist, die Pandemie einer religiösen Minderheit in die Schuhe zu schieben.
Sollte es einen relevant erhöhten Anteil an Patientinnen & Patienten mit "Migrationshintergrund" geben, dann gilt es, das wissenschaftlich zu analysieren. Absurde Spekulationen, gepaart schlichtweg nachrecherchierbaren Fake News destabilisieren unser Land und schüren Hass.

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28 Feb
Der Innenminister von NRW, Herbert Reul (CDU), der gerne auch medienwirksam Razzien gegen Shisha-Cafés begleitet, gab dem Focus ein Interview. Wobei man das nicht Interview nennen kann, dafür fehlten kritische Fragen. Es war ein Mischmasch aus Werbung, Huldigung und Rassismus: Image
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15 Feb
Liebe @CDU,

ich erkläre euch gern, warum dieser Clip rassistisch ist. Ja, jetzt kommt die "Rassismus-Keule". Aber mit Fakten. Ihr habt da einen geschickten Videoclip veröffentlicht, der mehr Reichweite generiert als ihr gewohnt seid.
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13 Feb
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21 Oct 20
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