Vielleicht muss ich das mal erklären:

Ich hab den offenen Brief zur Klimaberichterstattung nicht geschrieben, um meine Kolleg:innen vorzuführen oder irgendjemanden zu ärgern.
Und es tut mir auf einer persönlichen Ebene tatsächlich Leid, dass ich versuche, Menschen dazu zu zwingen, sich mit einem sehr unangenehmen Thema auseinanderzusetzen.
Aber ich habe keine Hoffnung darauf, dass es reichen wird, diese Probleme einfach immer & immer wieder in Beiträgen zu erklären. Das machen einige Kolleg:innen seit Jahrzehnten, ich glaube nicht daran, dass das noch schnell genug zu einem großen Aha-Moment führen wird.
Nicht wenn es immer nur von den gleichen kommt. Nicht wenn viele andere Kolleg:innen (unbewusst) die naturwissenschaftlichen Grundlagen unserer Welt einfach ignorieren und so das Gesamtbild der eskalierenden Krisen (unabsichtlich) komplett verzerren.
Auch will ich nicht allein darauf warten, dass irgendein Ereignis dazu führt, dass mehr Menschen der Ernst der Lage klar wird. Die wissenschaftl. Berichte sind seit Jahrzehnten extrem besorgniserregend, FFF, XR, Ende Gelände & viele weitere machen seit Jahren öffentlich Druck.
Die immer schlimmer werdenden Extremwetter werden teils medial ignoriert, teils völlig unterbewertet, oft nicht mal der Zusammenhang zur Klimakrise genannt. Andere ökologische Krisen wie die Bodenerrosion oder die Versauerung der Meere werden medial fast komplett ausgeblendet.
Als Journalist:in trage ich eine Verantwortung, Probleme, die ich sehe, anzusprechen - gesellschaftlich, aber auch in meiner Branche.

Und dieses Probleme gefährden unser aller Zukunft.
Um es (ja, ernsthaft) mit den Ärzten zu sagen:

Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist - es ist nur deine Schuld, wenn sie so bleibt.

Das gilt für mich wie für alle von uns.
Deswegen bin ich auch Journalistin geworden, weil ich daran glaube, dass es einen Unterschied macht, komplexe Themen verständlich & greifbar aufzubereiten. Dass die informierte öffentliche Debatte ein, wenn nicht der zentrale Teil unserer Demokratie ist.
Die Klimakrise ist auch Ergebnis massiver Verwirrungskampagnen durch Lobby-Vertreter:innen & einer globalen gesellschaftlichen Verdrängung.
Allerdings spielen Journalist:innen eine zentrale Rolle darin, diese Verdrängung aufrechtzuerhalten & Lobby-Scheinargumente zu reproduzieren & sogar für kritischen Journalismus zu halten - oder eben diese aufzudecken.
Ich kann verstehen, dass nicht jede:r Journalist:in die Kapazitäten hat, sich hier in seiner Freizeit selbst einzuarbeiten, sich all diese komplexen Zusammenhänge zu erschließen. Deswegen versuche ich nach und nach ein paar Knackpunkte zu erklären.
Und auf eine brancheninterne Debatte zu drängen, die bestenfalls dazu führt, dass redaktionelle Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, dass sich alle Kolleg:innen besser mit dem Thema auseinandersetzen &
in ihrer Berichterstattung aufgreifen können.
Nur, wie gesagt: Diese Veränderungen werden in den meisten Fällen wohl nicht aus den Chefredaktionen kommen. Sie könnten seit Jahren was ändern, wenn sie den Bedarf sehen würden. Wir müssen sie einfordern.
Und ganz ehrlich: Ich wollte auch einfach als Kollegin Bescheid geben. Vielleicht ist das naiv, aber mir ist schon klar, dass viele - wie ich lange auch - sich der Klimakatastrophe einfach nicht bewusst sind. Dass sie keineswegs absichtlich das Thema verschweigen & kleinreden.
Ich finde es da nur fair, jetzt offen anzusprechen, wie akut unsere Situation ist - und wie massiv die Verdrängung. Denn in wenigen Jahren wird es zu spät sein, das Pariser Klimaabkommen noch einzuhalten, die ökolog. Krisen zu lösen. Und eine halbwegs stabile Zukunft zu sichern.
Ich will niemandem Angst machen & halte es für essentiell, die Dringlichkeit im journalist. Beiträgen immer zusammen mit Lösungsansätzen zu präsentieren. Aber um angemessen auf ein Problem reagieren zu können, muss man wissen, wie groß & akut es ist. Da kommen wir nicht drum rum.
Ps.: Das ist übrigens der offene Brief, von dem ich rede. Für alle, die ihn nicht kennen: uebermedien.de/52582/journali…

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27 Mar
Stellt euch mal vor, Journalist:innen wären a) kritikfähiger oder b) zumindest interessiert, warum 200 Medienschaffende & einer der renommiertesten Klimaforscher meinen offenen Brief zur Klimaberichterstattung unterstützen.

Und man hätte ihn nicht einfach ignoriert, ...
... sondern sich mit den Kritikpunkten auseinandergesetzt, & heute, 7 Monate später, wüssten zumindest ein paar Kolleg:innen mehr, was die Klimakatastrophe ist & warum die kommende Bundestagswahl so entscheidend ist, wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen.
Zumindest die würden darüber berichten, was der Unterschied zwischen 1,5 & 2 Grad konkret bedeutet, auch in Deutschland. Und damit eine bundesweite Debatte auslösen & so alle Parteien zwingen, Wahlprogramme vorzulegen, die es ermöglichen, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.
Read 4 tweets
26 Mar
Ich hab die letzten Tage mehrere Interviews mit unterschiedlichen Klima-Wissenschaftler:innen & -Aktivist:innen gehört und muss sagen:

Dieser oft freundliche Plauderton & unkonkretes Andeuten unschöner Konsequenzen hilft m.E. nicht, die Verdrängung anderer zu durchbrechen.
Ich weiß, sein Gegenüber unter Druck zu setzen & mit Horrorszenarien zu malträtierten, bringt auch nix.

Aber wir müssen die Realität schon klar & deutlich benennen. Und da die ja leider dramatisch genug ist, müssen wir gleichzeitig Lösungen aufzeigen. Und zwar konsequent.
Aber NUR über Lösungen zu reden, bringt uns nicht weiter. Selbst dann nicht, wenn mein Gegenüber zustimmt & überzeugt werden kann. Das alles bringt nichts, wenn er nicht ahnt, wie schnell wir die umsetzen müssen.
Read 5 tweets
18 Mar
.@FridayForFuture & @sciforfuture protestieren seit mehr als 2 Jahren dafür, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Was meinen diese jungen Leute damit, dass man ihnen – & uns allen – die Zukunft klaut?

Ein Thread.
Viele Menschen scheinen 1,5 & „deutlich unter 2“ Grad, wie es im Pariser Klimaabkommen vereinbart ist, für abstrakte – vielleicht sogar willkürliche – Zahlen zu halten. Schließlich scheinen die Regierungen nicht besonders hinterher zu sein, diese Limits einzuhalten.
Auch viele Medien scheinen nur mäßig besorgt, wenn Regierungen Entscheidungen verkünden, die nicht mit dessen Einhaltung vereinbar sind (Kohleausstieg 2038, die (ausbleibende) Reform der GAP, die EEG-Novelle, viele Wirtschaftsförderungsmaßnahmen in der Coronakrise …).
Read 23 tweets
4 Mar
Liebe Kolleg:innen, es ist allen von euch, die meine Analysen & Kritik grundsätzl. richtig finden, klar, dass ich das Problem nicht für euch lösen werde, richtig?

Ich versuche mein Bestes, aber alleine mit den üblichen 3,5 Verdächtigen, die das seit Jahren machen, wird das nix.
Das ist genauso unrealistisch wie die Vorstellung, dass irgendwer anderes die Klimakrise für uns lösen wird. Da müssen schon alle, die das Problem ahnen, mitmachen, wenn sich noch schnell genug was ändern soll.
Solange ihr (selbst sachte) Kritik weder liket noch retweetet, mich nicht zur Blattkritik einladet oder für Interviews anfragt, in euren Redaktionen nicht massive Veränderungen anschiebt oder euch selbst in die Debatte zur Klimaberichterstattung einbringt, geht das zu langsam.
Read 5 tweets
2 Mar
Ich fürchte, dass uns noch sehr viel mehr (wissenschaftl. prognostizierte) "Überraschungen" in den nächsten Jahrzehnten erwarten.

Waldsterben, Versauerung der Meere, Bodenerosion, Artensterben, Dürren & Ernteausfällen, Pandemien - wird alles nicht besser, wenn man nichts* macht.
(*nicht genug, nicht schnell genug)

Aber dafür müsste sich z.B. (auch unter Politik- und Wirtschaftsjournalist:innen) rumsprechen, was planetare Grenzen sind: bmu.de/themen/europa-…
"Diesen stabilen Zustand [des Holozäns] zu verlassen, könnte eine nachhaltige Entwicklung gefährden: Armut zu beenden, gesunde Lebensbedingungen zu schaffen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität zu ermöglichen, Gerechtigkeit und Frieden zu fördern, ...
Read 4 tweets
1 Mar
Jetzt bin ich so sauer wegen des #TVDuell|s zur #ltwbw21 von @SWRpresse, dass ich wohl mal wieder nicht schlafen kann.

#KlimakriseIstJetzt. Und die kommenden Regierungen sind die letzten, die sozialverträgliche Maßnahmen ergreifen können, um auf einen 1,5-Grad-Pfad zu kommen.
Und wenn mir als Journalist:in nicht klar sein sollte, was das bedeutet & warum das wichtig sein könnte, dann sollte ich mich darüber informieren.

Und mich fragen, ob ich das für meine eigene Zukunft & die meiner Kinder wirklich vernachlässigbar finde: klimafakten.de/meldung/neue-i…
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