Was Verschwörungsmystiker im Allgemeinen mit "die Medien schreiben alle das Gleiche" meinen: sie meinen damit, dass ihre Narrative nicht hinreichend dominant vorkommen.
Man sieht das gut an Brüggemanns Timeline, auch an so ziemlich allem, das Liefers schreibt oder sagt.
Zumindest Brüggemann gehört zum Great Barrington Fanclub. Liefers scheint mir noch ein bisschen tiefer im Verschwörungsdenken zu stecken. Aber ich habe nur die öffentlichen Aussagen, die IMHO zurückhaltender sind, als das, was sie wirklich denken.
Dort hat sich ein Gedankengebilde geformt, nachdem wichtige Wissenschaftler - Nobelpreisträger gar!!! - nicht in den Medien präsent sind. In dem ihre Ideen, wie man die Pandemie bekämpfen könnte, keinen Raum finden.
Sie sind für Leute wie Brüggemann und Liefers - und andere - die echten Experten.
Weil gerade so viel von "Untertanengeist" gesprochen wird und leider auch @georgrestle auf dieses Narrativ einsteigt: ich sehe hier tatsächlich eine Art Obrigkeitsdenken.
Weil hier, in Abwesenheit der Werkzeuge, Forschung beurteilen zu können, in einer schlichten Hierarchie gedacht wird. Nobelpreisträger sticht Virologe, Harvard sticht Charité, Stanford sticht Braunschweig.
(Mal ganz außen vor, dass auch die Exzellenz der "Top Universitäten" nur ein sehr hartnäckiges Narrativ ist.)

Jedenfalls sieht man diese "Autoritäten" auf der einen Seite und wie sie sich - scheinbar - in den Sozialen Medien abtrampeln müssen gehört zu werden.
Und zwar nicht weil sie nicht in der Berichterstattung vorkommen - das tun sie ja - sondern weil sie die Berichterstattung nicht dominieren.

Statt dessen dominieren die Drostens, Brinkmanns, Brockmanns.
Wenn wenigstens vielleicht noch die Streecks und Chanasits dominieren würden (und wir dann natürlich auch erst mal lange keinen Lockdown gehabt hätten) wäre das ja vielleicht noch gegangen.
Wobei ja auch Streek und Chanasit die Gegenpetition zur GBD unterzeichnet haben und wir waren alle - sagen wir - überrascht.
Dann hätte man vielleicht auch noch so viel Bewusstsein entwickeln können, dass auch auch ein Fauci die Berichterstattung in den deutschen Medien nicht dominiert, sondern nur hin und wieder mal am Rande auftaucht.
Also, sich bewusst machen können, dass deutsche Medien nun mal auch deutsche Experten befragen und nun eben nicht ständig in Stanford anklopfen. Vor allem natürlich, wenn wir mit dem Labor der Charité die Top-Kompetenz im Land haben.
Aber - nun ja. Die 'Falschen' dominieren die Berichterstattung.

Dass die 'Falschen' nebenbei diejenigen sind, die aktive Forschung betreiben, dort sitzen, wo die Informationen zusammenlaufen und auch die Qualifikationen haben, diese zu beurteilen - geschenkt.
In dieser Art Obrigkeitsdenken zählt nur der Status und nicht die Kompetenz. Beziehungsweise man definiert den Status als Kompetenz, weil -> Elitenarrative.
Ich will jetzt hier nicht abschweifen, wie leicht man sich in diese Elite einkaufen kann, was sie wertlos macht, aber haben wir da nicht auch eine nette kleine Querverbindung zum Doktorhunger der großen Parteien? ;)
Gut. Jedenfalls, wir haben da "Stanford" und "Harvard", aber die dürfen uns nicht ständig die Pandemie erklären, bzw. dürfen uns nicht erklären, dass sie eigentlich schon rum ist, weil wir die Durchseuchung erreicht hätten und überhaupt keine Angst vor dem Virus haben müssten ...
... weil es die Jungen ja nicht betrifft.
(Angst sollte sowieso niemand haben (müssen) aber gegen Angst hilft ja nun am Besten Wissen und nicht einfach nicht hinzusehen oder das Problem wegzulügen, nech?)

Statt dessen hören wir, dass es immer noch nicht vorbei ist.
Und weil der Lockdown immer noch nicht weg ist, muss das ja auch an den Leuten liegen, die man immer wieder im TV sieht und in den Nachrichten. Die als Erklärer, als Mahner die Medien dominieren.
Was ist aber mit dem Alternativprogramm, dass alles gar nicht so schlimm ist?
Denn das stimmt ja, nach den Ansichten von Menschen wie Brüggemann und Liefers. Das ist ja der _wahre_ Stand der Pandemie und die Version von Drosten et al. nur die Panikmache.

Auch, dass die eigene gewählte Seite ideologisch motiviert ist, ist in diesem Weltbild kein Problem.
In diesem Weltbild ist Wissenschaft immer ideologisch und es kommt eben nur drauf an, wer die besseren (heißt 'ranghöheren') Wissenschaftler hat.

Ich habe Liefers Wirken seit vergangenem Jahr unfreiwillig immer wieder verfolgt.
Sein Aufruf, nach Mallorca zu kommen - und das exakt in der Zeit, in der sich in Spanien die zweite Welle aufgebaut hat (Ende Juli) - also sein Aufruf, verantwortliches Handeln zu unterlassen, mobiler zu werden und damit auch das Virus zu verbreiten.
Sein Aufruf ins Kino zu gehen, kam Mitte Oktober, als sich die zweite Welle aufbaute und sich die Infiziertenzahlen teils von einen Tag auf den anderen verdoppelten. Da fragte er in seinem Instagrampost scheinheilig "wo sind denn alle"?
Ẁenn man nicht abgrundtief böse ist (und wer ist das schon?) erklärt sich ein solches Verhalten nur mit dem festen (Aber-)Glauben an das Narrativ, dass so ein bisschen Corona ja nicht schlimm ist, solange man Sport treibt und seinen Spinat isst.
Und eben auch an das Narrativ, dass die Leute, die zu Hause bleiben ja nur Angst hätten. Und nicht etwa, dass die Leute, die nicht zuhause bleiben, nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen, dass eine Pandemie kein individuelles Problem ist.
Irgendwie bin ich jetzt abgeschwiffen, aber naja, denke halt mal wieder durch die Finger. ;)
Zurück zu der 'Unzufriedenheit' von Menschen wie bei allesdichtmachen in Bezug auf die Medien: 'ausgewogen' berichten nutzt nichts. Es ist nicht so, dass die Leute die Medien nicht gelesen hätten, die letzten Monate.
Und es ist natürlich auch nicht so, dass immer nur eine Meinung vorkommen würde. Gerade was die Rechtmässigkeit der Maßnahmen angeht, gibt es ja heftige mediale Duelle auch unter Rechtswissenschaftlern.

Es ist nicht mal so, dass die GBD keine Rolle spielen würde.
Leider leider tut sie das vor allem auch in der schwachen Pandemiereaktion.
Aber: Das Narrativ der Great Barrington Declaration dominiert die Medien nicht.
Es wird nicht als einziger 'way to go' dargestellt und das ist die angebliche Unausgewogenheit, von der Brüggemann, Liefers etc. reden.

Kurz, sie bekommen ihr Kinderwunschmenü nicht geliefert und deswegen schmollen sie und alles ist doof.
Was als Ruf nach mehr Narrativen in den Medien zu sein scheint, ist in Wirklichkeit die Forderung nach einem bestimmten Narrativ.
Was sich das 'Freiheits'-Feigenblättchen umhängt, versucht nur Dominanz des Diskurses zu etablieren.

Wieder mal.

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24 Apr
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