Der Beschluss des @BVerfG zum #Klimaschutzgesetz ist auch ein Paradebeispiel für gelungene #Gewaltenteilung und ein Meisterwerk richterlicher Selbstbeschränkung. Wie es weitergeht, hängt jetzt von der Reaktion des Gesetzgebers ab: Versuch einer rechtspolitischen Einordnung👇.
Das BVerfG hatte weitreichende Anträge zur verfassungsrechtlichen Bewertung des deutschen Klimaschutzrechts vorliegen. Solche Verfahren bieten ein großes Konfliktpotenzial, weil die Judikative Gefahr läuft, zu weit in den Bereich der Legislative vorzudringen.
Das BVerfG als „Hüter des Grundgesetzes“ hat die Aufgabe, die verfassungsrechtliche Ordnung einschließlich der Grundrechte und des Umweltstaatsprinzips zu schützen. Dazu muss es den Gesetzgeber begrenzen, wenn und soweit dieser die verfassungsrechtlichen Grenzen überschreitet.
Diese Grenzen sind aber nicht immer zweifelsfrei bestimmbar, sondern müssen den zum Teil hochabstrakten Vorgaben des Grundgesetzes, etwa dem Art. 20a GG, im Wege der Auslegung entnommen werden. Der vom BVerfG ermittelte Inhalt ist dann auch für die Legislative verbindlich.
Um Grenzverletzungen zu vermeiden, gibt es die Figur judicial self restraint. Damit soll verhindert werden, dass die Judikative in die den anderen Staatsgewalten vorbehaltenen Bereiche eingreift, etwa indem es eigene Wertungen an die Stelle politischer Entscheidungen setzt.
Diese Aufgabe ist besonders im Bereich der grundrechtlichen Schutzpflichten von besonderer Bedeutung. Anders als bei aktiven Handlungen, die in die Grundrechte eingreifen, geht es hier um Nicht-Handeln, wenn Maßnahmen zum Schutz der Grundrechte erforderlich wären.
Das BVerfG muss daher nicht nur den Inhalt des GG bestimmen, sondern auch noch bewerten, ob es andere Reaktionen des Gesetzgebers bedurft hätte, um die Grundrechte zu schützen. Es bestehet dann die gesteigerte Gefahr, der Wertungskollision zwischen Judikative und Legislative.
Diese Aufgabe hat das @BVerfG in meinen Augen in besonders kluger, nahezu perfekter Art und Weise gelöst. Es hat einerseits einen sehr klaren Maßstab entwickelt, seine Entscheidung aber formal eng begrenzt und stattdessen einen prozeduralen Mechanismus ausgelöst.
Das BVerfG hat die Abwägungserfordernisse erkannt und dennoch mit seiner Begründung einen präzisen Maßstab definiert, um derzeitige und zukünftige Klimaschutzmaßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit dem GG bewerten zu können. Es gibt mit der Klimaneutralität ein klares Ziel vor.
Zudem schafft es mit den Anforderungen an die intertemporale Freiheitssicherung Vorkehrungen für eine unverhältnismäßige Verlagerung der Minderung in die Zukunft und unterbindet Untätigkeit mit dem Hinweis auf die Emissionen in anderen Staaten.
Die Begründung zeigt sehr deutlich, dass das BVerfG jedenfalls bezweifelt, dass die Regelungen des KSG bis 2030 den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Es beschränkt seinen Ausspruch aber auf die Zeit ab 2031 und erklärt allein diesen Teil für mit dem GG unvereinbar.
Dies ist das Schlüsselelement der Selbstbeschränkung: Das BVerfG erklärt nur eine Lücke für verfassungswidrig. Hier hat der Gesetzgeber bisher keine eigene Abwägung vorgenommen, so dass es auch kein Konfliktfall mit der oder Übergriff in die Sphäre der Legislative geben kann.
Gleichzeitig löst es durch die nun erforderliche Nacharbeit einen Klärungsprozess aus, für den es mit seinen Ausführungen klare Leitplanken definiert hat. Ich glaube aus dem Urteil herauslesen zu können, dass das BVerfG auch eine Änderung der Regelungen bis 2030 erwartet.
Das BVerfG konnte sich auch deshalb darauf beschränken, die Regelungen nach 2030 für verfassungswidrig einzuordnen, weil der bisher angelegte Reduktionspfad aufgrund der europäischen Entwicklungen zum #GreenDeal und Europäischen #Klimagesetz ohnehin neugestaltet werden muss.
Nun liegt der Ball wieder im Spielfeld "der Politik" und es wird von den kurz- und mittelfristigen Reaktionen abhängen, ob wir weitere erfolgreiche Verfassungsbeschwerden gegen die deutsche Klimagesetzgebung erleben werden.
Zöge sich die Politik auf einen formellen Standpunkt zurück und würde lediglich die Lücke schließen, ohne das Gesamtkonstrukt anhand der Maßstäbe des BVerfG neu auszurichten, dann wären weitere erfolgreiche Verfassungsbeschwerden nicht auszuschließen.
Zugleich hielte ich es für eine politische Dummheit, die vom BVerfG angebotene Hand der Gewaltenteilung auszuschlagen und die Zwischentöne der Begründung zu überhören. Damit würde das BVerfG geradezu genötigt, in Zukunft die entwickelten Maßstäbe direkter zur Geltung zu bringen.
Trotz des Beschlusses ist offen, was daraus für die Klimaschutzinstrumente folgt. Das KSG bewirkt keinen Klimaschutz, erst die konkreten Instrumente wie ETS, EEG oder GEG & Co. leisten dies. Wie dieser Zusammenhang verfassungsrechtlich zu bewerten ist, ist noch zu klären.

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Thorsten Müller

Thorsten Müller Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @TMueller_Wue

29 Apr
Die Entscheidung kann auch auf den zweiten Blick nicht unterschätzt werden und zwar in mehreren Dimensionen. Dies gilt für den Klimaschutz, aber noch mehr für das Umweltstaatprinzip aus Art. 20a GG allgemein und die Rechte zukünftiger Generationen auf eine lebenswerte Umwelt.
Bisher war die Rolle des Art. 20a GG in der Rechtsprechung des BVerfG nicht in dieser Art konkretisiert worden. Dies Lücke schließt das BVerfG heute und wertet das Umweltstaatsprinzip deutlich auf. Verstöße gegen Art. 20a GG können Grundrechtsverletzungen darstellen.
Damit wird Art. 20a GG justiziabel, auch wenn das BVerfG zu Recht feststellt, dass Art. 20a GG "keinen unbedingten Vorrang" gegenüber anderen Verfassungsrechtsgütern zukommt. Es bleibt zuvorderst eine politische Aufgabe, einen Ausgleich zu finden.
Read 10 tweets
29 Jan 20
Heute Morgen war ich neugierig, was hinter dieser Meldung zu den geplanten 1.000-Meter-Abständen für Windenergieanlagen steckt. Habe dann von verschiedenen Seiten das Dokument erhalten und durchgesehen. Hier eine erste rechtliche Einordnung. 1/1
Die Wirkung ist wie beim Referentenentwurf des Kohleausstiegsgesetz vom 11.11.2019: Innerhalb eines Abstandes von 1.000 Meter zu bestimmten Gebieten können keine Windenergieanlagen genehmigt werden ("Ein öffentlicher Belang … steht entgegen"). 2/2
Neu sind die Anknüpfungspunkte für die Abstände: Waren dies zunächst 3 (Reine & Allg. Wohngebiete und Dorfgebiete), sind es nun min. 7 Gebiete. § 35a I 1 BauGB-E (neu) erfasst alle Gebiete, in denen bauplanungsrechtlich "Wohngebäude nicht nur ausnahmsweise zulässig sind". 3/3
Read 12 tweets
20 Oct 19
Der Entwurf zum nationalen Emissionshandel für den Wärme- und Verkehrsektor (nEHS) ist da. Das neue Gesetz soll Gesetz über ein nationales Emissionshandelssystem für Brennstoffemissionen (BEHG) heißen und soll 23 Paragrafen umfassen (inkl. eines Platzhalters für § 10). 1/22
Seit September wird die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des von der Bundesregierung zunächst in den Eckpunkten und diese Woche im Kabinett beschlossenen Vorgehen diskutiert. Hier eine Zusammenfassung der Entwicklungen und eine verfassungsrechtliche Einordnung. 2/22
Schon im Vorfeld des Klimakabinetts wurde die Frage aufgeworfen, ob ein „Emissionshandel“ mit Fixpreis verfassungsrechtlich möglich sei. Stefan Klinski von und Friedhelm Keimeyer vom haben Zweifel angemeldet (Hervorhebungen hier und im Weiteren nicht im Original). 3/22
Read 22 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!