Das gestörte Verhältnis des Neoliberalismus zur Demokratie. Takes einer ideengeschichtlichen Studie von Berthold Molden und David Mayer (Inst. f. Wirtschafts- u Sozialgeschichte, Uni Wien). Ein Thread
In seinem Buch "Globalisten" hat Historiker Quinn Slobodian nachgezeichnet, wie eine Gruppe marktradikaler Ökonomen nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie in Wien anfing zu überlegen, wie man der jungen Demokratie Einflussmöglichkeiten auf den Markt entziehen könnte. 2/
Vor 1918 hatten die zentralen Figuren dieser "Österreichischen Schule der Nationalökonomie", allen voran Friedrich Hayek und Ludwig Mises, der Monarchie nahe gestanden. Republikaner war keiner von ihnen gewesen. Demokrat auch nicht. 3/
Nun, nach dem Sturz der Habsburger, verbanden Hayek und Mises mit der jungen Demokratie einerseits die Hoffnung, diese werde die revolutionäre Welle der Nachkriegszeit abfangen und die bürgerliche Eigentumsordnung stabilisieren helfen. Zugleich waren sie aber tief besorgt. 4/
In der Demokratie regieren Mehrheiten. Parteien sind daher versucht, das Leben ihrer Klientel aktiv zu verbessern. Diese Praxis wird von Liberalen heute gerne als "Populismus" denunziert - sobald die Begünstigten nicht ihre Großspender sind, sondern die Mehrheitsbevölkerung. 5/
Hayek, Mises und Freunde fürchteten insbesondere, frei gewählte Parlamente könnten versuchen, den Freihandel einzuschränken, Märkte zu regulieren und Vermögenssteuern einzuheben, um Wohlfahrtsprogramme zu finanzieren. 6/
Ein ganz besonderes Gräuel war den neoliberalen Stammvätern außerdem der erstarkte Einfluss der Gewerkschaften: "Das wichtigste Mittel der Politik des Destruktionismus ist der Arbeiterverein, die Gewerkschaft" (Mises). 7/
Geradezu obsessiv war außerdem ihre Abneigung gegen jede Form des Mieterschutzes, der für Hayek und Freunde inmitten des Roten Wiens der 1920er Jahre offenbar den greifbarsten Vorboten des Bolschewismus darstellte. 8/
Die vorliegende Studie fragt vor diesem Hintergrund nach der prinzipiellen Haltung der neoliberalen Säulenheiligen zur Demokratie. Die Untersuchung erweist, dass die Neoliberalen keineswegs überzeugte Demokraten waren, sondern eine funktionale Perspektive einnahmen. 9/
Demokratie war tolerabel, solange sie d bürgerliche Eigentumsordnung durchsetzte, Rechtssicherheit für Marktakteure schuf u sozialistische Bestrebungen hintanhielt. Begingen Parlamente aber den Fehler zu meinen, dem Markt Vorschriften machen zu können, wurden sie zum Problem. 10/
Grundsätzlich galt nach Mises nämlich weiterhin: "Daß die Menschen nicht gleichwertig sind, daß es von Natur aus Führer und Geführte gibt, daran kann auch durch demokratische Einrichtungen nichts geändert werden." 11/
Folgerichtig begeisterte sich Mises für das Wiener Polizeimassaker 1927, das der Arbeiterschaft die Flügel stutzen sollte und unterstützte willig die austrofaschistische Diktatur - ebenso wie Hayek später die blutige Despotie Pinochets in Chile. 12/
Die Studie gibt es online unter emedien.arbeiterkammer.at/viewer/resolve…
Sie wird in den nächsten Monaten um eine Untersuchung zu den neoliberalen Netzwerken im Roten Wien erweitert. 13/Schluss

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2 May
Dass Polizeikräfte dezidiert links stehen, wie die Guardia de Asalto im Spanien der 30er, ist historisch selten. Die Aussicht, eingebunden in relativ autoritäre Strukturen den Status Quo abzusichern, zieht naturgemäß eher Leute an, d damit kein Problem haben. Ein Polizeithread 1/
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13 Apr
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Besonders heftig gekämpft wurde zwischen 6. und 13. April 1945 in Wien u. a. in Simmering, rund um das Arsenal und den Donaukanal. Die Rote Armee war haushoch überlegen. Im Häuserkampf waren ihre Verluste dennoch schwer.

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18 Feb
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"Was is, Deppata? Siehst nix? Oma is kaputt. Kann nix mehr gehen wie will!" Hupen hört abrupt auf. Man bleibt seelenruhig neben dem Fahrzeug stehen, bis wir samt Rollator die Fahrbahn verlassen haben. Dann drischt er mit der flachen Hand aufs Autodach. "Fahr, Deppata!" 3/4
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15 Feb
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12 Nov 20
Heute vor 102 Jahren stürzte das Haus Habsburg. Das Ende der 'guten alten Zeit' war die Voraussetzung für Demokratie, Arbeiterrechte und Wohlfahrtsstaat. In Staaten mit gefestigter demokratischer Tradition würde man das jedes Jahr ausgiebig feiern. Bei uns nicht. 1/6
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