Wir brauchen mehr Naturwissenschafts-Verständnis, das haben wir von den Pandemie-Fake-News-Wellen gelernt. Was heißt das für die Schule? Mehr NaWi-Unterricht? Vielleicht. Aber ich glaube, ein großes Problem kann nur der Sprachunterricht lösen: Verständnis für Textsorten. (Thread)
Oft habe ich irgendwo das Gefühl, dass grobe Missverständnisse darauf beruhen, dass Texte nicht richtig kategorisiert werden: Was ist ein wissenschaftlicher Text? Was ist ein journalistischer Text? Was ist Polemik, was ist Meinung? Wo darf ich welchen Grad an Präzision erwarten?
Was ist Satire? Was ist ernst gemeint? Wie funktionieren Gleichnisse?
In einem Tweet wird man eher locker formulieren, Exaktheit ist in der Kürze oft nicht möglich, und das ist ok. Das heißt aber nicht, dass dasselbe in anderen Textsorten auch ok ist.
Auf bestimmte Textsorten darf man sich beim Recherchieren verlassen, auf andere nicht. Ein Paper von Drosten ist viel verlässlicher als eine Interview-Aussage von Drosten. Und die ist viel verlässlicher als die Whatsapp-Gruppe von Onkel Walter.
Manche Leute haben nie gelernt, wissenschaftliche Argumentationsketten zu formulieren und setzen ihre Thesen aus Bauchgefühl-Argumenten zusammen. Andere sind übergenau und beurteilen selbst humorvolle, polemische Bemerkungen nach wissenschaftlichen Kriterien. Beides ist falsch.
Wenn jemand sagt: "Ein Pferd geht in eine Bar", dann folgt ein Witz. Es ist sinnlos zu fragen: "Welche Bar? Sind Pferde dort überhaupt erlaubt?"
Umgekehrt darf ich mich in einem wissenschaftlichen Paper über Pferde nicht auf witzige Erzählungen verlassen. Dort brauche ich mehr.
Daher wünsche ich mir Textsorten-Kompetenz von den Schulen. Was ist das für ein Text? Welchen Zweck hat er und welchen nicht? Einen Roman lese ich anders als einen Tagebucheintrag oder den Wetterbericht. Wir können nur wissenschaftlich denken, wenn wir diese Unterschiede kennen.

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25 May
"Die Todeskurve folgt der Impfkurve" - mit diesem Slogan wird gerade versucht, Panik vor der Impfung zu schüren. Das ist vollkommener Unsinn. Als Quelle angegeben wird immer wieder ein Youtube-Video. Also sehen wir uns das mal an. (Thread)
Das Video ist eine kommentarlose Auflistung von Sterbezahlen vieler Länder, unterlegt mit bedrohlich-emotionalisierender Musik. Ok. Finde ich blöd, aber kann man machen.
Interessant schon mal: Wenn das der Beweis sein soll, dass die Todeskurve der Impfkurve folgt, sollte man da nicht Todeskurve und Impfkurve zeigen? Im Titel steht "Vaccinations and Deaths". Ist aber nicht so. Impfkurve wird gar keine gezeigt.
Read 15 tweets
25 May
Fake News: Nobelpreisträger Luc Montagnier soll behauptet haben, dass alle Leute, die sich gegen COVID-19 impfen lassen, in 2 Jahren sterben werden. Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch. (Thread)
1. Luc Montagnier hat das nie gesagt. Das ist ein Zitat, das ihm bloß von radikalen Impfgegnern angedichtet wurde. Zitatforscher @krieghofer hat das schön analysiert: falschzitate.blogspot.com/2021/05/alle-g…
2. Selbst WENN er es gesagt hätte, sollte man Luc Montagnier Aussagen über COVID-19 nicht glauben. Ja, er ist Nobelpreisträger, ja, er hat am AIDS-Virus geforscht. Das macht ihn definitiv NICHT zu einem Impfexperten. Im Gegenteil:
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20 May
In den USA werden jetzt UFO-Aufnahmen offiziell untersucht. Finde ich toll - nur wenn man Ungewöhnliches untersucht, kann man etwas Neues lernen. Was ich nicht verstehe ist der gedankliche Automatismus: Wenn wir keine Erklärung finden, dann MÜSSEN ES ALIENS SEIN! Wieso? (Thread)
Außerirdische, die in fliegenden Untertassen herumfliegen, sind nur deshalb in unseren Köpfen, weil sie Teil unserer Erzählkultur sind. Wir kennen sie aus Büchern, Comics und Filmen. Es wären unzählige andere Dinge vorstellbar, über die man ebenfalls Geschichten schreiben könnte.
Fliegende Kuckucksuhren aus Atlantis? Unbekannte Elementarteilchen, die mit der Atmosphäre auf wundersame Weise interagieren? Die wiedergeborene Seele verstorbener Topfpflanzen? Alles ähnlich weit hergeholt. Aber darüber gibt es keine Geschichten, daher vermutet das niemand.
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18 May
Sloterdijk findet, Corona verlangt "eine veränderte Grammatik unseres Verhaltens und eine globale immunitäre Vernunft." Kann er das nicht in besseren Worten sagen?
Dann jammert er, wie illiberal Staaten sind, die Leben schützen. (Frechheit!)
Das ist der größte deutsche Philosoph?
Bei seinem Interviewband "Der Staat streift seine Samthandschuhe ab" schaffe ich es kaum, die Amazon-Gratis-Vorschau ganz durchzulesen, so viel Unsinn steht dort. Ein reicher alter Mann präsentiert rhetorische Pseudokunststückchen um sich selbst zu feiern, und alle applaudieren.
Ich wollte eigentlich seine Aussagen auseinandernehmen, aber das lohnt sich gar nicht.
"Die Grenzen werden geschlossen, obwohl jeder weiß, dass ein Virus keinen Paß zum Reisen braucht."
Wirklich? Da gab es bei Suhrkamp niemanden, der gesagt hat: Herr Sloterdijk, das ist dämlich?
Read 6 tweets
17 May
Bitte lasst uns nicht Forschung und Klimaschutz gegeneinander ausspielen! Beides stimmt:
1) Nein, wir können nicht warten, bis neue Forschung das Problem löst.
2) Ja, Forschung ist wichtig und wird Lösungen liefern, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. (Thread)
Natürlich wäre es praktisch zu sagen: "Wir investieren einfach in die Forschung, und mit den Ergebnissen retten wir dann die Welt!" Forschung klingt immer gut, und vorerst muss man nicht viel ändern. Der Applaus ist gesichert.
Aber es geht um realistische Zeitskalen.
Über Elektroautos reden wir seit vielen Jahren - jetzt endlich beginnen sie, sich durchzusetzen. Das ist toll, aber so eine Revolution dauert eben Jahrzehnte. Auch Kraftwerke oder Pipelines sind auf Jahrzehnte ausgelegt.
Read 11 tweets
6 May
Bringt es etwas, wenn Impfpatente aufgehoben werden? Ich bin skeptisch. Neue wissenschaftliche Methoden sind keine Rezepte, die man einfach nachkochen kann. Es dauert oft Jahre, bis sich ein anderes Labor in neue Techniken eingearbeitet hat. Diese Zeit haben wir nicht. (Thread)
In meiner Quanten-Forschungsgruppe hatten wir selbstentwickelte Computercodes. Jeder wusste, wen man fragen muss, wenn es Probleme gibt, wo die Schwachstellen sind, wofür man welchen Code eher nicht verwenden soll. Gemeinsam im Team klappte das gut.
Hätten wir die Codes frei ins Internet gestellt, hätte keine andere Forschungsgruppe der Welt irgendetwas damit anfangen können. Ohne Erfahrung und Know-How wäre das völlig nutzlos gewesen. Nicht weil die weniger schlau waren als wir, sondern weil sie die Erfahrung nicht hatten.
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