rby Profile picture
4 Jun, 24 tweets, 5 min read
1: Warum hält @ArminLaschet bisher an #Maaßen fest und was könnte ihn motivieren, daran etwas zu ändern? Mit Inhalten und Belegen für Antisemitismus hat das wenig zu tun, mit Taktik und #Tribalismus viel. Und ein bisschen mit der fragilen Männlichkeit Konservativer.
2: Der antisemitische Gehalt der von Maaßen verbreiteten Inhalte ist evident, das Urteil der Experten weitgehend einhellig. Dass nun sogar die erste Verfassungsschutzbehörde sich öffentlich äußert, unterstreicht das. Laschet weiß all dies (natürlich) auch. Er ist ja nicht blöd.
3: Es ist für ihn aber schlicht nicht maßgeblich. Das zeigt sich auch an seinem Verhalten ggü #WerteUnion und #Otte: Er laviert, verharmlost, sucht nach Ausflüchten. Hier spricht niemand, der sich an einem politischen Kompass orientiert. Hier spricht jemand, der taktiert.
4: Worum geht es dabei? Oft heißt es, Laschet schiele auf Wähler:innen am rechten Rand, die er zurückgewinnen wolle, wobei ihm Maaßen und WerteUnion helfen sollen.
Ich halte das nicht für sehr überzeugend: Sowohl Maaßen als auch Otte sind zu weit weg von
5: Laschet und der „Mitte“ der CDU, als dass beide nennenswerte Mobilisierung für die CDU leisten können. Maaßen mag (ganz) vielleicht in seinem Wahlkreis mit Hilfe von rechtsradikalen Wähler:innen reüssieren; nennenswerte Zweitstimmengewinne wird er der CDU nicht bringen.
6: Denn wer Maaßen und Otte gut findet, hält mindestens die Hälfte der CDU und 80% des Bundesvorstands für „Merkel-Kommunisten“ oder ähnliches. Solche Leute sind als Wähler:innen für die CDU weitgehend verloren, solange die Partei sich nicht grundlegend „auf rechts“ dreht.
7: Im Gegenteil: Die Diskussion um Maaßen wird zu Verlusten in der „Mitte“ führen, die etwaige, geringe Zugewinne rechts schnell (über-)kompensieren. Verliert die Union Wähler:innen an den direkten Wettbewerber, die Grünen, ist das strategisch zudem besonders schmerzhaft.
8: Aber was dann? Meines Erachtens geht um parteiinterne und ideologische Befindlichkeiten. Laschet fürchtet den offenen Konflikt mit Maaßen nicht, weil er Maaßen fürchtet. Sondern weil er den tribalistischen Reflex der Konservativen in der CDU fürchtet.
9: Diese argumentieren nach 16 Jahre Merkel äußerst empfindlich aus einer wahrgenommenen strategischen Defensivposition heraus und werden von dem Gefühl bestimmt, „Grüne/Linke“ würden Zeitgeist und mediale Diskurse dominieren und Konservative vor sich hertreiben.
10: Merkel habe das zugelassen und die CDU „entkernt“. Damit müsse Schluss sein. Es sei Zeit, endlich ein neues konservatives Selbstbewusstsein zu entwickeln, worunter vor allem ein tea-party-reskes und tribalistisches Selbstverständnis von Konservatismus verstanden wird.
11: Hintergrund dessen ist auch, dass konservative Identität hier und heute in erster Linie negativ konstruiert wird: „Die“ Konservativen versammeln sich als Lager nicht hinter einer positiven Erzählung, sondern hinter der gemeinsamen Ablehnung des „links-grünen Lagers“.
12: Man will keinen „Klimaschutzwahn“, keinen „Gender-Gaga“, keine „sozialistische Umverteilung“, keine „Quoten“, kein „Tempolimit“, keine „Cancel Culture“, keine „linke Bevormundung“, keine „Armutsmigration“, keine „linke Identitätspolitik“ usw. usf.
13: Diese konservativ-negative Identität führt ziemlich schnell in einen rigorosen Tribalismus: Wenn die eigene politische Identität auf der Abgrenzung zum „anderen“ Lager basiert, macht das jede Form von Austausch, Entgegenkommen oder Kompromiss schwierig bis unmöglich.
14: Und auch wenn Antisemitismus grundsätzlich nicht zur konservativen Identität gehört, verunmöglicht der tribalistische Reflex eine ergebnisoffene Auseinandersetzung mit Maaßen. Weil die Diskussion selbst als „Angriff“ von „links“ gegen einen „Konservativen“ gelesen wird.
15: „Die“ Linken würden damit vom „echten“ offenen Antisemitismus in migrantischen Milieus „ablenken“ und einen „unbequemen“ Konservativen „mundtot“ machen („canceln“).
In dieser Logik sind Diskussionen kein Instrument des Erkenntnisgewinns, sondern Waffen im Meinungskampf.
16: „Erschwerend“ kommt aus konservativer Sicht hinzu, dass die jüngste Debatte von @Luisamneubauer angestoßen wurde. Neubauer ist jung, weiblich, selbstbewusst; sie streitet wirkmächtig, klug und laut für Klimaschutz und auch darüber hinaus für progressive politische Inhalte.
17: Sie verkörpert inhaltlich und habituell vieles, was Konservative ablehnen und als bedrohlich empfinden. Eine Distanzierung von Maaßen wäre auch ihr „Sieg“ und kommt schon deshalb nicht in Betracht. Fragile Männlichkeit at work.
18: Dass selbst vielen Konservativen Maaßen suspekt ist, ist dabei egal. Der Reflex, die Reihen zu schließen und sich nicht von „den Linken“ oder „der Göre“ rumschubsen zu lassen, überwiegt. Und Laschet folgt dem tribalistischen Reflex. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Kalkül.
19: Denn Laschet ist ein schwacher Kandidat und ein schwacher Vorsitzender mit schlechtem Standing bei Konservativen in der CDU. Umso weniger kann er es sich leisten, hier einen internen Konflikt zu eröffnen. Denn er braucht die Konservativen für Wahlkampf und Wahl.
20: Laschet wird Maaßen deshalb erst fallen lassen, wenn ihm der Preis dafür „niedriger“ erscheint, als der einer Distanzierung. Die Einlassung des Präsidenten des LfV Thüringen wird dafür vermutlich (noch) nicht reichen. Denn dieser ist Sozialdemokrat, also: "Gegner".
21: Möglicherweise erzeugt die Wahl in Sachsen-Anhalt eine neue Dynamik. Oder andere Behörden, vor allem das BfV, bzw. Institutionen schließen sich der Einschätzung zu Maaßen an. Oder namenhafte Konservative in der Union ergreifen Partei gegen #Maaßen.
22: Solange das nicht passiert, ist eine klare Distanzierung Laschets von Maaßen (und Otte/WU) nicht zu erwarten. Laschet wird das weiter aussitzen und hoffen, das Gras über die Sache wächst. Dabei kann ihm ein Mechanismus zugute kommen, der schon Trump geholfen hat:
23: Je länger ein Thema öffentlich aufgeregt diskutiert wird, ohne dass es zu realen politischen Konsequenzen kommt, desto weniger skandalös wirkt es mit der Zeit. Und desto weniger skandalös wirken künftige, vergleichbare Grenzüberschreitungen. Es findet eine Gewöhnung statt.
24: Laschet ordnet letztlich den Kampf gegen den Antisemitismus politischen Machterwägungen unter. Mehr noch: Er kalkuliert dessen partielle Entskandalisierung zum eigenen Vorteil ein. Nicht weil er Antisemitismus okay findet, sondern weil er Kanzler werden will. Um jeden Preis.

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with rby

rby Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @rbyyyy2

2 Jun
1: Laschet ruft Wettrennen zw. CDU/afd um Platz 1 in S-A aus. Darauf sollte niemand reinfallen. Die Wahrheit ist: Wie stark die afd relativ zur stärksten demokratischen Partei ist, ist egal und lenkt von der eigentlichen Gefahr ab. Und die geht von der CDU aus:
2: Daraus, stärkste Partei zu sein, folgt nämlich (außerhalb der GO des jeweiligen Parlaments) genau: nichts. Kein Regierungsauftrag, keine besondere Legitimation. Nichts. Es ist ein Erfolg für die Galerie.
3: Das galt schon in der alten Bundesrepublik, in der etwa 1976 die Union mit sagenhaften 48,6% in der Opposition landete. Und es gilt er Recht heute, in einem Sechs-Parteien-Parlament. Relevant ist die Koalitionsarithmetik, sonst nichts.
Read 11 tweets
26 May
1: Die Sachlage ist inzwischen eindeutig:

#Maassen verbreitet antisemitische Inhalte und Verschwörungserzählungen. Er argumentiert antiliberal, antidemokratisch und völkisch. Das ist umfassend dokumentiert und ausgiebig analysiert (vgl. einige Belege am Ende des Threads).
2: @ArminLaschet sieht dem trotz klarer Belege zu, ohne einzuschreiten. Er relativiert vielmehr die rechtsradikale Ideologie von HGM und insbesondere den von HGM verbreiteten Antisemitismus. Sein zirkelschlüssiges Argument lautet:
3: Weil Laschet HGM kenne und er bisher den Eindruck hatte, dass dieser kein Antisemit sei, könnten auch seine Äußerungen nicht antisemitisch sein. Er habe ihn "bisher nicht als Antisemiten wahrgenommen".
Read 29 tweets
21 May
1/x: Der Artikel von Maaßen/Eisleben in Cato ist aufschlussreich, die Lektüre zu empfehlen.
Es handelt sich um ein Manifest eines verschwörungserzählerischen, gegen die offene Gesellschaft gerichteten Antiliberalismus, der völkische und antisemitische Erzählungen reproduziert.
2/x: Der Artikel ist am 11.9.2020 auf Englisch auf telospress.com erschienen. Die deutsche Übersetzung stammt von Andreas Lompard und ist unter cato-magazin.de/aufstieg-und-f… abrufbar.
3/x: Inhalt:
"Pseudolinke" und "Wirtschaftsglobalisten" hätten sich "verbündet", um anknüpfend an einem seit 50 Jahren zu beobachtenden "kulturellen Niedergang" des Westens Demokratie und Pluralismus zu beseitigen und einen "neuen Totalitarismus" zu entwickeln.
Read 25 tweets
18 May
1/x: Es ist inzwischen doch völlig klar: Das Geschäftsmodell von Welt ist nicht Journalismus. Es ist ein als Journalismus getarnter Aktivismus, der durch Clickbait, Provokation und das Bedienen rechtskonservativer Narrative gekennzeichnet ist.
2/x: Print ist tot und spielt für Welt keine Rolle mehr. Es zählen Welt+-Abos und Reichweite in sozialen Medien.
3/x: Abos generiert Welt vor allem, in dem sie rechte Talking Points aufgreift und dadurch den Wunsch der „medial zu kurz gekommenen“ bedient, massenmedial repräsentiert zu sein. Welt lässt sich sozusagen dafür bezahlen, bestimmte Meinungen in die Medienwelt zu tragen.
Read 14 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(