Thread by @MichaelBonvalot

Wie ist das jetzt wirklich mit der Kriminalitätsstatistik und den Menschen aus Afghanistan? Ich bin nicht nur Journalist, sondern auch ehrenamtlicher Bewährungshelfer. Sehen wir uns das also konkret an. Vorweg: Viele Medienberichte sind leider wenig zu gebrauchen. Thread! 1/

Was wir zu Beginn wissen müssen: Junge Männer sind generell jene Bevölkerungsgruppe, wo es die größte Deliktanfälligkeit gibt. Egal, ob muttersprachlich Deutsch, Englisch oder Dari. Das zeigen alle Statistiken, es hat viel mit problematischen männlichen Rollenbildern zu tun. 2/

Unter den geflüchteten Menschen aus Afghanistan sind viele, die als unbegleitete männliche minderjährige Flüchtlinge gekommen sind. Das ist bei anderen Fluchtgruppen etwas anders, etwa Familien aus Syrien - eventuell, weil es geographisch näher liegt, aber das nur nebenbei. 3/

Junge Männer sind also insgesamt besonders deliktanfällig. Jetzt ist aber genau die Bevölkerungsgruppe junge Männer bei geflüchteten Menschen aus Afghanistan deutlich überrepräsentiert. Wir müssen also aufpassen, dass wir nicht Äpfel und Birnen vergleichen. 4/

Menschen aus Afghanistan tauchen in den Kriminalitätsstatistiken tatsächlich häufiger auf, als es dem Bevölkerungsanteil entsprechen würde. Diese Bevölkerungsgruppe ist aber eben deutlich anders zusammengesetzt als die Gesamtheit der österreichischen Staatsbürger*innen. 5/

Statistik macht nur Sinn, wenn wir Vergleichbares vergleichen. Wenn unter afghanischen Staatsbürger*innen junge Männer deutlich überrepräsentiert sind, macht es offensichtlich keinen Sinn, sie mit der Gesamtgruppe österreichische Staatsbürger*innen zu vergleichen. 6/

Brauchbare Ableitungen aus der Statistik würde es nur geben, wenn wir im konkreten Fall (vereinfacht gesagt) die Gruppe "junge Männer aus schwierigen sozialen Verhältnissen" vergleichen. Alles andere mag der Propaganda dienen, hat aber wenig bis keinen Informationswert. 7/

Darüber hinaus gibt es ein "Dunkelfeld". Gefunden wird v.a. bei Kleindelikten, wo gesucht wird. Die Polizei macht gerne "Racial Profiling". Doch wenn etwa in Wien-Döbling regelmäßig Männer in Sportwagen kontrolliert würde, hätten wir vermutlich einen Anstieg an Kokain-Funden. 8/

Schließlich entscheidet die Polizei weitgehend über die "gefühlte" Kriminalität. Eine Untersuchung für Wien etwa zeigt, wie die Polizei durch die Auswahl der Delikte, die per Presseaussendung verschickt werden, die Wirklichkeit massiv verzerrt. 9/

orf.at/v2/stories/229…

Bedeutet das alles, dass es keine Probleme gibt? Natürlich nicht. Junge Männer sind insgesamt bei bestimmten Deliktgruppen wie Raub und Gewalt besonders deliktanfällig. Wir brauchen dringend viel mehr (Anti-Gewalt-)Präventionsarbeit und mehr Sozialarbeit, auch in den Schulen. 10/

Härtere Strafen lösen gar nichts. Seht euch die USA an: Todestrafe, doch gleichzeitig hohe Kriminalität. Prävention löst Probleme, das Gefängnis macht Leute oft noch kaputter. Prävention ist auch zentral für potentielle Opfer: Ohne Delikt müssen sie nicht zu Opfern werden. 11/

Es fällt auf, dass vor allem ÖVP und FPÖ sich beim aktuellen Mord mit Statements überschlagen. Doch bei "österreichischen" Tätern, bei mehr Geld für Frauenschutzorganisationen oder bei Sexualaufklärung bleiben sie stumm. Sie wollen nicht lösen, sondern rassistisch aufladen. 12/

Wir werden als Gesellschaft nie alle Delikte verhindern können. Doch wir müssen es für die potentiellen Opfer so weit wie möglich versuchen. Das bedeutet auch: Hinsehen. Nicht nur bei Morden und migrantischen Tätern, sondern immer, wenn Frauen von Männergewalt betroffen sind. 13/

Bei Männergewalt hinzusehen bedeutet auch, ganz "zufällig" nicht nur dann laut zu werden, wenn die mutmaßlichen Täger Migrationshintergrund haben. Sondern auch, wenn es sich um die "typische" häusliche Gewalt - bis hin zum Femizid - durch "österreichische" Täter handelt. 14/

Natürlich werden wir uns damit auseinandersetzen müssen, dass Rollenbilder den Umgang mit Frauen beeinflussen. Reaktionäre Rollenbilder führen wohl zu mehr Männergewalt - übrigens egal, ob Staatsbürgerschaft Österreich oder Afghanistan. Auch hier: Aufklärung und Prävention! 15/

Was allerdings derzeit - auch mit der Präsentation der Kriminalitätsstatistik - passiert, ist schlicht eine rassistische Aufladung. Zur Klärung, zur Prävention und zum Opferschutz trägt diese Propaganda aber überhaupt nichts bei. Doch gerade das wäre jetzt notwendig. 16/16