Eine Kritik an der Schweizer Studie zu Long Covid bei Kindern ist, dass die Studie nur 109 seropositive Kinder aufweist. Nat. ist eine geringe Zahl immer problematisch bei der Einschätzung. Wie sicher kann man sich mit den angegebenen Werten sein?
medrxiv.org/content/10.110… (1/n)
Bei der Studie wurden 109 Kinder im Alter von 6-16 Jahren einbezogen, die positiv auf COVID-19-Antikörper getestet wurden. Außerdem gab es eine Kontrollgruppe von 1246 Personen, die negativ getestet wurden. So ist eine Überprüfung möglich, inwieweit Virus ursächlich ist. (2/n)
Von den 109 Seropositiven hatten 4 länger als 12 Wochen lang mindestens ein Symptom gemeldet (≈ 3,67%) im Vergleich zu 28 von 1246 in der Vergleichsgruppe (≈ 2,25%). Doch wie sicher können wir uns sein, dass diese Werte auch bei einer höheren Testgruppe auftreten würden? (3/n)
Dazu können wir uns die Betaverteilung ansehen und so ein 95%-Konfidenzintervall bestimmen. Für die 4 von 109 Personen mit >=1 Symptom nach >12 Wochen erhalten wir ein sehr breites Intervall von 1,02% bis 7,9%. Die Unsicherheit ist aufgrund der geringen Zahl recht hoch. (4/n)
Doch was fällt weiter auf? Die Betaverteilung ist linkssteil/rechtsschief. Demnach sind Werte < Ø deutlich wahrscheinlicher, als Werte > Ø. Das ist typisch für Tests mit geringer Personenzahl und kleinem Alphawert. Woran liegt das? (5/n)
Die Verteilung sieht so aus, da aufgrund der geringen Personenzahl eine starke Unsicherheit besteht und Abweichungen vom Durchschnittswert wahrscheinlicher auftreten können. Dabei ist für Abweichungen nach unten weniger Platz als nach oben. Es „staut“ sich nach unten. (6/n)
Das führt dazu, dass der wahrscheinlichste Wert mit 2,8% für das Auftreten von mindestens einem Symptom über 12 Wochen lang bei seropositiven Kindern im Alter von 6 -16 Jahren unter dem Ø von 3,67% liegt. Das Konfidenzintervall muss natürlich im Hinterkopf behalten werden. (7/n)
Bei seronegativen Kindern berichteten 28 von 1246 von >= 1 Symptom mehr als 12 Wochen lang (≈ 2,25%). Aufgrund der größeren Personenzahl liegt das 95%-Konfidenzintervall zwischen 1,5% und 3,14% und ist damit deutlich schmaler als das bei den Seropositiven (geringere Zahl). (8/n)
Aufgrund der höheren Zahl ist die Betaverteilung auch nur minimal rechtsschief. Dadurch liegt der wahrscheinlichste Wert mit 2,17% nur minimal unterhalb des Ø von ≈ 2,25%. Der wahrscheinlichste Wert für Seropositive liegt mit 2,8% nur leicht über 2,17% Seronegativer. (9/n)
Es lohnt sich auch ein Blick auf die Zahl der Kinder, die >2 Symptome >12 Wochen lang berichteten. Bei 109 Seropositven waren es 3 (≈ 2,75%), bei 1246 Seronegativen 6 (≈ 0,48%). Auch hier können wir die Betaverteilung nutzen, um wahrscheinlichsten Wert zu berechnen. (10/n)
Das 95%-Konfidenzintervall für die 3 von 109 Kindern ist wieder recht weit und liegt zwischen 0,58% und 6,53%. Hierbei liegt der wahrscheinlichste Wert aus den zuvor genannten Gründen mit ≈ 1,87% unter dem Ø von ≈ 2,75%. (11/n)
Das 95%-Konfidenzintervall für die 6 von 1246 Kinder liegt zwischen 0,18% und 0,93%. Der wahrscheinlichste Wert liegt auch hier mit 0,4% unter dem Ø von 0,48% und auch deutlich unter dem wahrscheinlichsten Wert für Seropositive mit 1,87% (minus 1,47 Prozentpunkte). (12/n)
Die 95%-Konfidenzintervalle überlappen sich im Bereich zwischen 0,58% und 0,93%. Dass der eigentliche Wert gleichzeitig für Seropositive und Seronegative in diesem Bereich liegt, ist mit rund 1,4% jedoch recht unwahrscheinlich (vgl. auch wahrscheinlichste Werte). (13/n)
Bei den vorherigen Berechnungen ist sowohl auf die Sensitivität und die Spezifität der Tests nicht eingegangen worden. Auch hier besteht natürlich eine gewisse Unsicherheit. (14/n)
Bei der Risikobetrachtung muss auch die Schwere der gemeldeten Symptome betrachtet werden. Die Einzelsymptome, die gemeldet wurden und dabei länger als 12 Wochen bei den Seropositiven vorkamen, traten nie mehr als bei je 3 Kindern auf. (15/n)
Die Symptome, die länger als 12 Wochen andauerten und gemeldet wurden, waren: Müdigkeit (3 seropositive Kinder), Konzentrationsschwierigkeiten (2), erhöhtes Schlafbedürfnis (2), verstopfte oder laufende Nase (1) und Bauchschmerzen (1). (16/n)
Darunter fallen mit Müdigkeit und erhöhtes Schlafbedürfnis auch zwei Symptome, die doch sehr ähnlich sind. Nennung beider Symptome, die das selbe beschreiben könnten, sind daher möglich, was direkt zu einer erhöhten Meldung von Symptomen führen kann. (17/n)
Schwerwiegende Langzeitfolgen wie Herzmuskelentzündungen wurden hingegen offensichtlich nicht gemeldet. Allerdings dürfte eine solche Folge auch sehr selten sein. Dafür ist die Zahl von 109 Seropositiven auch zu gering, um das festzustellen. (18/n)
Wünschenswert wäre deshalb eine Studie mit vielen Seropositiven und ebenfalls einer Kontrollgruppe, um die Kausalität feststellen zu können. Auch wäre die Untersuchung eines längeren Zeitraums wünschenswert, um festzustellen, ob die Symptome abklingen. (19/n)
Wir wissen, dass bei anderen uns bekannten Viruserkrankungen (RS-Virus, Influenza) Langzeitfolgen auftreten können. Auch hier muss für die Risikobetrachtung eine Einordnung stattfinden und geprüft werden, wie diese Folgen im Verhältnis zu anderen Viruserkrankungen auftreten.(n/n)

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16 Jul
Prof. Dr. #Mertens, Leiter der #STIKO, gestern in der Sendung bei Markus Lanz (zdf.de/gesellschaft/m…) zur Thematik #LongCovidKids (ab min. 14:15)

„Und auch das berühmte Long-Covid-Syndrom, wenn sie wirklich die Literatur sich anschauen, die es bisher gibt für Kinder, ... (1/n)
stellen sie fest, dass es praktisch keine brauchbaren Daten gibt. Es gibt eine gute, darf ich das noch sagen: Wenn sie eine Studie machen wollen zu Long-Covid bei Kindern, dann müssen sie vergleichen zwei Gruppen von Kindern, ... (2/n)
...die unter den gleichen Bedingungen gelebt haben, sprich Shutdown, keine Schule, zuhause in der Etagenwohnung mit 5 Leuten und sozusagen und schlechter Stimmung. Und eine Gruppe muss dann sozusagen zusätzlich noch die Infektion gehabt haben ... (3/n)
Read 10 tweets
9 Jul
"Studie zu Long-Covid-Patienten – Fast 80% haben nach einem Jahr Beschwerden“

Solch Überschriften und auch solch nachfolgende Abstracts wie im Artikel von @ntvde sollte es nicht geben. Sie suggerieren, dass 80% der Infizierten auch nach einem Jahr Beschwerden haben werden. (1/n)
@ntvde Doch die Studie ist offensichtlich nicht repräsentativ.
1.) Selection Bias – 32,3% der untersuchten Personen waren hospitalisiert. Kein Wert, der für die Bevölkerung repräsentativ ist. Eine Altersverteilung wurde nicht angegeben. (2/n)
@ntvde Beispielsweise hatten 12,5% der 96 in die Studie einbezogenen Personen Asthma, 35,1% Bluthochdruck, 24% Adipositas (BMI > 30).

2.) Mit 96 Personen gab es nur eine sehr geringe Anzahl untersuchter Personen.

(3/n)
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20 May
Als Modelierer lassen mich solche Artikel verwundert zurück. Es wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass Aufhellung des Dunkelfeldes zum Anstieg der Fallzahlen beigetragen haben. Es wurde auch nicht bei der Präsentation der Modelle kommuniziert. fr.de/wissen/corona-… (1/23)
Doch die gemeldeten Fallzahlen, die den Anstieg der Aufhellung des Dunkelfeldes beinhalten - durch Schnelltests bei meist asymptomatischen Gruppen (Kita-Kinder, Schüler) und anschließender Verifizierung durch PCR-Test - sind die Grundlage für die Modelle. (2/23)
Wenn ich nun diese Datengrundlage nehme und den Anstieg prognostiziere, tue ich so, als wenn die Aufhellung des Dunkelfeldes die Änderung des Infektionsverlaufs widerspiegelt. Das ist jedoch nicht so, denn zumindest ein Teil des Anstiegs ist dem Testverhalten zuzuschreiben.(3/23)
Read 23 tweets
2 May
@OlafGersemann @welt Das Problem ist die Datengrundlage, auf derer die Prognosen beruhen und die Nichtberücksichtigung von Parametern, wie Saisonalität. Als Data Scientist mit Expertise im Bereich Prognosen muss ich das so klar sagen. Wir brauchen verlässliche Daten. (1/11)
@OlafGersemann @welt Die Prognosen beruhen auf den gemeldeten Fallzahlen. Bevor die Prognosen durchgeführt wurden, wurde die Teststrategie geändert. Es gab vermehrt Schnelltests, wodurch die zeitliche Vergleichbarkeit nicht mehr möglich ist. (2/11)
@OlafGersemann @welt Gerade Gruppen wurden nun häufig mittels Schnelltests getestet, die zuvor keinen PCR-Test gemacht hätten. Es wurde gerade die junge Personengruppe getestet, die meist asymptomatisch ist (Schüler und Kita-Kinder). Ein positives Ergebnis wird mittels PCR-Test verifiziert. (3/11)
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