"Klimaschutz darf nicht Verzicht bedeuten!" - Das ist ein furchtbares politisches Framing, dem gleich mehrere Fehler gleichzeitig zugrunde liegen. Wer so etwas sagt, kann in der Klimadiskussion nicht mehr ernst genommen werden. Ein Rant.
Zunächst: Tatsächlich wäre es naiv zu glauben, wir könnten das Klima retten, indem wir einfach ein bisschen verzichten. Genau wie man soziale Ungleichheit nicht mit Almosen für Bettler beseitigt, entkommen wir der Klimakrise nicht durch braven Verzicht. Es geht um Systemwechsel.
Angenommen, wir würden unser System weiterlaufen lassen, aber auf ein Drittel unseres Konsums verzichten. Das wäre eine radikale Einschränkung, die unsere Lebensqualität massiv verringern würde. Es wäre die schlimmste Wirtschaftskatastrophe, die es jemals gab.
Doch was wäre damit erreicht? Nicht viel. Wir würden dann größenordnungsmäßig ein Drittel der CO2-Emissionen einsparen. Das ist zu wenig. Wir brauchen nicht eine Reduktion auf zwei Drittel, sondern auf null. Das ist nicht durch Verzicht zu erreichen, nur durch radikale Innovation
Insofern ist es furchtbares politisches Framing, wenn man Klimaschützern vorwirft, die Gesellschaft zum Verzicht zu zwingen und allen etwas wegzunehmen: Nein. Das fordert niemand. Es wäre nur schmerzhaft und würde nicht einmal das Problem lösen.
Wir brauchen eine umfassende Systemreform. Einen Ausstieg aus fossiler Energie, ein Ende der Verbrennungsmotoren, ein Umdenken im Bau, in der Industrie und in der Raumplanung. Daran führt kein Weg vorbei, und das ist alles möglich - mit heute verfügbarer Technologie.
Die Frage ist: Ist das mit Verzicht verbunden? Ja, in manchen Punkten schon. Natürlich - anders kann es keinen radikalen Wandel geben. Vor 120 Jahren gab es in den Städten eine große Pferdemistkrise. Man stieg dann vom Pferd auf andere Transportmittel um - ein Systemwandel.
Das war mit Verzicht verbunden. Manche Leute mögen Pferde. Und danach gab es kaum noch welche auf den Straßen. Das kann man schlecht finden. Aber die hygienischen Bedingungen in den Städten wurden radikal besser, langfristig stieg die Lebensqualität.
Und dieselbe Chance hätten wir heute - noch. Wir könnten die Klimakrise meistern und gleichzeitig unsere Lebensqualität insgesamt steigern. Auf manche Dinge müssen wir wohl verzichten. Manchmal wird das auch schmerzhaft sein. Aber anderswo gewinnen wir dazu.
Vielleicht werden wir in Zukunft kein eigenes Auto mehr haben. Aber dafür können die Kinder auf der Straße spielen. Und vielleicht siedeln sich wieder Nahversorger an, und ich muss nicht mehr ins Einkaufszentrum am Stadtrand. Ist das jetzt Verzicht oder Verbesserung? Beides!
Gerade in den Städten zeigt sich, dass umweltfreundliches Umdenken oft kein Verzicht, sondern ein riesengroßer Gewinn an Lebensqualität ist: Etwa wenn mehr Platz für Natur und Menschen geschaffen wird, wenn Luft und Wasser sauberer werden, wenn Gemeinschaftsräume entstehen.
Von vornherein zu sagen: "Für den Klimaschutz wollen wir auf nichts verzichten!" ist dumm. Es verhindert effektiv jede Veränderung - auch eine, die insgesamt die Lebensqualität steigert. Angst vor Verzicht gegen die Klimakrise auszuspielen ist eine falsche Dichotomie.
Die richtige Sichtweise wäre: Wir müssen die Klimakrise meistern, damit ist nicht zu verhandeln. Und wir sollten das natürlich auf eine Weise tun, die möglichst hohe Lebensqualität für alle ermöglicht. Wo das punktuell vielleicht auch Verzicht bedeutet, ist nebensächlich.
Denn eines ist klar: Wenn wir nicht radikale Änderungen umsetzen, dann geht die Chance vorbei, während dieser Systemumstellung eine hohe Lebensqualität zu bewahren. Irgendwann geht es nicht mehr um punktuellen Verzicht, sondern tatsächlich um einschneidende Verschlechterungen.
Es ist völlig paradox: Klimaschützer, denen eine Liebe zum Verzicht nachgesagt wird, zeigen eine Möglichkeit auf, den Lebensstandard zu steigern. Und die, die nicht verzichten wollen, lenken uns auf einen Weg, der langfristig zu grausamem Verzicht führen könnte. Stoppen wir das!

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24 Jul
Nein, die COVID-Impfung macht NICHT unfruchtbar! Offenbar ist dieses Gerücht noch immer ein Grund für junge Frauen, die Impfung zu meiden. Es ist verständlich, dass so ein Gedanke Angst macht. Aber da ist nichts dran. Es gibt KEINEN Grund zur Sorge. Lasst euch impfen! (Thread)
Es gibt keine Hinweise, dass es für Geimpfte schwieriger gewesen sein soll, schwanger zu werden. Tierversuche zeigten keine Auswirkung auf die Fruchtbarkeit. Es gibt nicht einmal einen plausiblen Mechanismus, der auch nur theoretisch verminderte Fruchtbarkeit nahelegen könnte.
Man weiß auch, woher das Gerücht kommt: Nicht von echten Beobachtungen, sondern aus einer ganz anderen Ecke. Es wurde behauptet, das Spike-Protein, das nach der Impfung produziert wird, sei einem Protein ähnlich, das für die Plazenta wichtig ist.
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20 Jul
Für so etwas habe ich nur noch Abscheu übrig: Nein, natürlich gibt es keinen Grund zur Sorge. Aber solche Revolverblatt-Überschriften stürzen psychisch labile Leute in Panik und erzeugen dadurch echten Schaden. Das ist moralisch um nichts besser als Körperverletzung.
Im Untertitel steht tatsächlich: "Experten sind sich sicher: Schon 2022 wird er einschlagen." Im selben Artikel steht dann aber später: "2009JF1 fliegt wahrscheinlich an der Erde vorbei"
Wie kann man das schreiben, ohne zu erkennen, dass man hier einen dummen Fehler macht?
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6 Jul
Ich freue mich: Österreich verabschiedet Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz. Bis 2030 soll das Land nur noch Strom aus erneuerbaren Quellen nutzen. Kosten: 1 Milliarde Euro pro Jahr.
Darunter kann man sich schwer etwas vorstellen. Ist das viel? Nein, nicht wirklich. (Thread)
Die Dekarbonisierung der Stromerzeugung ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Das für 1 Milliarde Euro pro Jahr hinzubekommen, ist ein Schnäppchen. Das sind ca. 30 Cent pro Person pro Tag - nicht völlig egal, aber gut verkraftbar.
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30 Jun
Lasst uns über Plagiate reden! Ja, sie sind ein Problem. Aber wenn jetzt behauptet wird, Annalena #Baerbock habe ihr Buch abgeschrieben, ist das lächerlich. Und es schadet der Wissenschaft, weil es echtes Fehlverhalten trivialisiert. (Thread)
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In den letzten Jahren gerieten wiederholt PolitikerInnen unter Druck, die sich Abschlussarbeiten dreist zusammengeschummelt hatten. Es ist gut, wenn das nicht als Kavaliersdelikt gesehen wird. Man muss ja keinen Uni-Titel haben, um Politik zu machen. Aber man muss ehrlich sein.
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25 Jun
Wie entsteht eigentlich ein Tornado? Erstaunlicherweise ist das im Detail noch gar nicht vollständig geklärt. Aber ein paar Grundideen kennt man, die jedenfalls eine entscheidende Rolle spielen. (Thread)
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8 Jun
"Jeder Transatlantikflug lässt 1.5m² Antarktiseis schmelzen." - Ich verstehe ja, dass man solche Vergleiche bringt, aber ich mag sie nicht.
Ist fliegen schlecht fürs Klima? Natürlich. Kann ich ausrechnen, was mein Flug konkret bewirkt? Nein, ganz grundsätzlich nicht. (Thread)
Wie man zu solchen Zahlen kommt, ist klar: Man misst, wie sehr das vom Menschen verursachte CO2 das antarktische Eis schmelzen lässt, und dann rechnet man mit einer einfachen Schlussrechnung auf einen einzelnen Flug zurück.
Aber das heißt natürlich nicht, dass wenn ich auf einen Flug verzichte, nächstes Jahr irgendwo ein Quadratmeter Eis ist, der sonst nicht mehr da wäre. Nicht alles im Leben lässt sich durch lineare Zusammenhänge erklären, auf die man den Dreisatz anwenden kann.
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