Thread by @QuerDenkender

Ein paar Worte zu den Sichtweisen auf Behinderungen und warum wir anscheinend ein großes Problem haben das spaltet statt zu vereinen.
Es gibt im Großen und Ganzen zwei Modelle wie man sich der Thematik Behinderung annähern kann.
Das medizinische und das soziale Modell. 1/x

Was ist das nun genau aber in Kürze?
Beim medizinischen Modell von Behinderung geht man davon aus, dass Behinderungen sich durch länger anhaltende gesundheitliche Probleme und Einschränkungen gekennzeichnet sind.
Wer nach dem med. Modell behindert ist hat also Defizite 2/x

Diese Sicht hat die Gesellschaft lange geprägt und tut dies weiterhin. Denn wer Nachteilsausgleiche oder Hilfen aufgrund einer Behinderung benötigt muss zwingend die Defizite offenlegen und beschreiben.
Das führte unter anderem dazu, dass gesellschaftlich Behinderung als 3/

Abwertung, etwas Schlechteres schlicht als abnormal (im Sinne von nicht der Norm entsprechend) wahrgenommen und benutzt wird.
Sag heute als behinderter Mensch mal das Du behindert bist. Die Reaktionen reichen von "Du doch nicht" zu "Du armer Mensch". Man wird, weil Behinderung 4/

automatisch negativ gewertet wird, bedauert, dass nicht für "voll genommen" oder abgeschoben weil man bremst und lästig ist.
Es verwundert nicht das Menschen mit Behinderung schon lange versuchen dieses Stigma abzustreifen.
Unter anderem entstand so das soziale Modell von 5/

Behinderung. Das besagt dass es vorallem die Gesellschaft und das Umfeld sei das einen Menschen behindert und eine Teilhabe am alltäglichen Leben teilweise oder ganz verhindert.
Das soziale Modell eröffnete einen wichtigen Schritt zur Inklusion. Inklusion und Teilhabe kann 6/

nämlich dann erst stattfinden wenn die gesellschaftlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen geändert werden.
Die Schuld und auch die Scham wird zu Teilen von den Schultern der Menschen mit Behinderung genommen und auf alle verteilt. Im Optimalfall kommen wir irgendwann ganz 7/

weg von derartig negativen Verbindungen und hin zu einem "Was braucht der individuelle Mensch? Wie können wir das erreichen?".
Das hätte nun neben dem großen Ziel Inklusion wie sie aktuell verstanden wird auch einen anderen tollen Effekt:
Inklusion wird zu etwas bei dem nicht 8/

die Behinderung eine Rolle spielt sondern die Bedürfnisse individueller Menschen. Egal ob mit oder ohne Behinderung.
Vielleicht hilft folgendes vereinfachtes (!) Beispiel das zu verstehen:
Gehen wir von einem Menschen mit einer Lähmung der Beine aus. 9/

Medizinisches Modell: Kann nicht Laufen => Rollstuhl.
Hilft das bei baulichen Barrieren? Nein.
Soziales Modell: Benötigt einen Rollstuhl => Räume müssen zugänglich werden. Also z. B. Rampe.
Denkt man das nun weiter hilft diese Rampe aber nicht nur Menschen mit einer Beh. 10/

sondern auch Menschen mit einer temporären Krankheit wie ein gebrochenes Bein, alten Menschen, Menschen die nicht gut Treppen steigen können usw.
Es hilft vielen unabhängig einer Behinderung.
Aber ist damit das soziale Modell die Lösung oder gar DIE einzig richtige Sicht? 11/

Ich persönlich denke: Nein.
Als jemand der mehrere Behinderungen hat sage ich klar: Ich möchte weder als Defizitansammlung gesehen noch darüber definiert werden. Das ist nur eine Seite der Münze.
Ich möchte die andere Seite, also das ich in meinem Leben nur von Gesellschaft 12/

und baulichen Begebenheiten bzw nicht passenden Rahmenbedingungen behindert werde, aber auch nicht alleine stehen lassen. Dann kommt es nämlich zu Aussagen wie aktuell im TV Spot von der Aktion Mensch. Menschen haben keine Behinderung. Orte schon."
Was wird dabei vergessen? 13/

Die Tatsache das es sehr viele, oftmals unsichtbare, Behinderungen gibt die einen Menschen einschränken ohne das ein Einfluss von außen dazu nötig ist. Sie schränken ein einfach weil sie da sind. Und diese Einschränkungen sind oftmals genau diejenigen die den Menschen belasten 14

weil man hier eben oft nur wenig bis Nichts tun kann. Und genau das ist für mich der Rand der Münze der zwingend dazu gehört und beide Modelle verbindet und verbinden muss. Der Rand der zeigt das eine Seite bzw ein Modell alleine nicht die einzige Wahrheit ist. Ein Rand der 15/

symbolisiert das jede Münze zwei Seiten hat und nur beide zusammen realistisch sind.
Bitte vergesst bei dem was Ihr tut diesen Rand nicht.
Inklusion, Wertschätzung individueller Bedürfnisse und Wünsche ist eine Münze die man als Ganzes sehen muss. Ohne vergessene Seiten. 16/16