Thema #Corona, #Inzidenz und #Hospitalisierung.
@jensspahn hat heute in Verteidigung des von § 28a III 5 IfSG abweichenden Vorgehens von @ArminLaschet vorgeschlagen, den Inzidenzwert als Interventionsmaß künftig zugunsten der COVID-Hospitalisierungen abzuschaffen. Ein Thread.
Das ginge noch über die bisherigen Forderungen von FDP und Co. hinaus, *neben* dem Inzidenzwert auch stärker andere Faktoren wie eben die Hospitalisierung, die Impfquote oder den R-Faktor bzw. die Infektionsdynamik zu betrachten. Ergibt dieser Vorschlag von Spahn Sinn?
Dabei soll es hier gar nicht mal um den - m. E. zentralen und auch tragenden - Einwand gehen, dass die Krankenkausbelegung ein dem Infektionsgeschehen deutlich nachlaufender Indikator ist, auf dessen Grundlage Schutzmaßnahmen kaum mehr rechtzeitig kämen.
Vielmehr habe ich mir die Frage gestellt, ob denn die Prämisse des Vorschlags stimmt, dass sich durch die fortschreitende Immunisierung aus der Inzidenz mittlerweile nicht mehr hinreichend belastbar auf eine drohende Überlastung des Gesundheitswesens schließen lässt.
Da ich seit Anfang der Pandemie die relevanten Zahlen für #Bonn dokumentiere, habe ich mir deshalb die hiesige Entwicklung angesehen und berechnet, wie sich das Verhältnis zwischen Inzidenz und Hospitalisierung entwickelt hat.
Träfe die Prämisse Spahns zu, müsste ein entsprechender Faktor gegenüber den bisherigen "Wellen" deutlich gesunken sein und bei steigenden Inzidenzen weiter sinken. Denn die Zahl der Hospitalisierungen würde nicht mehr entsprechend der Zahl der Neuinfektionen steigen.
Dabei habe ich mit einem zeitlichen Versatz von 7 Tagen (für die Hospitalisierung) bzw. 8 Tagen (für die Belegung der Intensivstationen) gerechnet. Diese Werte beruhen auf Angaben des RKI zur entsprechenden Zeitspanne ab Symptombeginn.
rki.de/DE/Content/Inf…
(Vielen Dank an @sk_zwitschert an dieser Stelle!) Die dort angenommen 4 bzw. 5 Tage habe ich um 3 Tage erhöht, da die Feststellung einer Infektion (etwa im Rahmen von anlassbezogenen Tests) ja selbst bei einem symptomatischen Verlauf nicht identisch mit dem Symptombeginn ist.
Um es deutlich zu formulieren: Das ist ein mehr oder weniger gegriffener Schätzwert. Hier wäre sowohl ein etwas größerer als auch ein kleinerer Versatz denkbar.
Und um noch gleich einen weiteren Disclaimer anzubringen: Die Zahlen zur Krankenhausbelegung erfassen nicht nur Patienten aus Bonn, sondern auch aus dem Umland, soweit sie in Bonn behandelt werden.
Das ist mE aber hinnehmbar, da es für die hier interessierende Krankenhausauslastung irrelevant ist, woher die Patienten kommen - und die Vermutung gilt, dass steigende Inzidenzen in Bonn jedenfalls tendenziell mit steigenden Inzidenzen auch im Umland korrelieren.
Das alles vorweggeschickt, hat die Berechnung des Faktors KKH-Belegung/7-Tages-Inzidenz dieses Bild ergeben (wobei die Quote der besseren Darstellung halber mit 100 multipliziert ist). Verhältnis Hospitalisierung/Inzidenzwert mit Zeitversatz 7
Was bedeutet das nun? Die großen Ausreißer bis Sommer 2020 und im Sommer 2021 erklären sich aus den jeweils sehr niedrigen Inzidenzen, bei denen schon wenige Hospitalisierungsfälle zu einem sehr hohen Faktor führen. Sie können und sollen hier ausgeblendet werden.
Weitaus aussagekräftiger sind die Werte, die sich mit wieder stark steigenden Inzidenzen seit Ende Juli ergeben. Sie schwanken für die KKH-Belegung insgesamt zwischen (rund) 6 und 16 und für die Intensivstation-Belegung zwischen (rund) 3 und 8.
In der dritten Welle lagen die Werte für die KKH-Belegung insgesamt zwischen (rund) 15 und 42 und für die Intensivstation-Belegung zwischen (rund) 6 und 17.
Blickt man auf den Zeitpunkt zu Beginn der dritten Welle, zu dem die Inzidenzen ähnlich den heutigen waren, lagen die Werte zwischen (rund) 25 und 35 bzw. (rund) 10 und 15.
Damit dürfte einerseits die Annahme richtig sein, dass sich die in den Inzidenzen gemessenen Infektionen mittlerweile nicht mehr so stark in der Krankenhausbelegung niederschlagen wie noch in den vorherigen Wellen.
Andererseits ist jedenfalls der rein zahlenmäßige Zusammenhang nach wie vor deutlich ausgeprägt. Das gilt insbesondere für die besonders relevante Belegung der Intensivstationen.
Hier ist das Verhältnis zur Inzidenz immerhin noch etwa 1/3 bis 1/2 mal so stark ausgeprägt wie in der dritten Welle. (Für die zweite Welle gilt prima vista ähnliches.) Ob sich diese Erkenntnis extrapolieren lässt, vermag ich nicht zu beurteilen. Es erscheint mir aber plausibel.
Sollte das der Fall sein, dann folgt daraus: Erreichen die Inzidenzen das Doppelte bis Dreifache des Stands der dritten Welle (für Bonn also 400 bis 600), müssen wir mit einer ähnlich starken Belastung der Intensivstationen rechnen wie damals.
Im Ergebnis spricht daher m. E. viel dafür, dass in der Tat die Infektionszahlen nicht mehr so stark auf die Hospitalisierungen durchschlagen wie in den früheren Wellen.
Nach wie vor bewegt sich aber das Verhältnis beider Werte in einem Bereich, der bei weiter steigenden Inzidenzen zu einer kritischen Belastung der Intensivstationen führen kann.
Ein Hinweis darauf, dass beide Werte weitgehend entkoppelt sind, lässt sich den Zahlen jedenfalls nicht entnehmen. Denn dann hätte der Faktor angesichts der zuletzt stark steigenden Zahlen in den letzten zwei bis drei Wochen deutlich fallen müssen. Das ist aber nicht der Fall.
Zusammenfassend würde ich daher davon ausgehen, dass der Vorschlag von @jensspahn schon deshalb keine gute Idee ist, weil er mit der Entkopplung von Inzidenz und Belastung des Gesundheitswesens auf einer wohl unzutreffenden, jedenfalls aber sehr unsicheren Prämisse beruht.

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journalofinfection.com/action/showPdf…
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uni-due.de/2021-06-18-stu…
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