CN: Suizidalität, Burn Out
Es ist ca 3uhr morgens, ich habe Nachtdienst. Das Telefon klingelt, Nummer von außerhalb. Sicher eine Krankmeldung. Ich melde mich, am anderen Ende ist nur ein zitternder Atem zu hören. Nach ein paar Sekunden meldet sich eine Kollegin und fängt direkt an zu weinen.
Sie weiß nicht weiter. Sie weiß nicht mehr was sie tun soll. Sie ist gerade irgendwo im Dorf unterwegs und kann nicht schlafen, sie hat Panik vor der Frühschicht. Sie sagt, sie schafft das nicht mehr. Sie erträgt es nicht, sterbenden und vor Schmerzen weinenden Patient:innen
Nicht helfen zu können, oder nur sporadisch, weil sie keine Zeit hat. Am Vortag hätten mehrmals gleichzeitig 10monitore Bedienungspflichtige Alarme abgegeben. Es gab 2 Reanimationen Zeitgleich, es waren nur 3 Kollegen im Dienst.
Nach einer erfolgreichen Reanimation und einem Verlust wurde sie von mehreren Patienten angeschrien, weil Sie sie nicht rechtzeitig zum WC bringen konnte, oder sie schmerzen hatten und so lange warten mussten. Später gab es Vorwürfe, weil kein Kaffee verteilt wurde.
Sie will nicht mehr. Ich höre, wie sie unruhiger wird und mit den Worten ringt. Sie sagt, sie habe früher am Tag darüber nachgedacht, zu sterben, um nicht wiederkommen zu müssen.
Ich bitte sie, einen kurzen Moment am Telefon zu bleiben und zu warten.
Ich hole mir eine Vertretung auf Station und setze mich in den Pausenraum. Ich sage ihr, das sie jetzt versuchen soll ganz ruhig zu atmen. Ich frage, wo sie jetzt ganz genau ist und wie es jetzt gerade ist. Sie sagt, sie verzweifelt, weil diese Gedanken an den tot
Immer wieder aufkommen. sie sagt, sie versteht es nicht, sie will sich gar nicht töten, sie kann aber nicht aufhören daran zu denken. Sie hat Angst, weil der Gedanke, nicht wieder kommen zu müssen, sie so beruhigt.
Ich sage ihr, dass ich das gut verstehen kann. Das unsere Situation im Dienst aktuell nicht auszuhalten ist und ich es nachvollziehen kann, dass sie einen Weg sucht, um das nicht nochmal ertragen zu müssen. Sie beginnt zu weinen. Ich sage, dass es okay ist.
Sie beruhigt sich etwas, ist aber immernoch merkbar aufgelöst. Sie sagt, sie weiß gar nicht wo sie jetzt hin soll, dass sie Angst hat und nicht weiß, wie sie den Dienst am folgenden Tag schaffen soll. Sie leidet bei dem Gedanken daran, wieder zur Arbeit zu kommen.
Ich sage ihr, dass ihr aktuelles Problem nicht mehr der Dienst ist. Wir reden eine Weile über meine ersten Erfahrungen mit Depressionen und suizidalen Gedanken. Ich frage sie, ob ich einen rtw kommen lassen soll. Ich erkläre ihre Möglichkeiten, auch evtl
Nur eine Nacht überwacht zu werden und nicht allein zu sein mit ihren Gedanken. Sie schämt sich. Aber wird dabei sehr viel ruhiger. Sie sagt, dass sie glaubt, dass das richtig wäre. Aber sie kann es nicht. Sie weiß nicht was sie sagen soll. Sie beginnt wieder zu weinen
Ich sage ihr, dass es gar kein Problem ist, ich kann das für sie tun. Ich sage ihr, dass ich aber auch nicht will, dass sie allein ist, bis der Notdienst vor Ort ist. Sie will nicht, dass ihre Eltern oder ihr Partner sie jetzt sehen.
Wir verabreden, dass ich am Telefon bleibe und nebenbei die Leitstelle informiere. Ich erkläre die Situation. Sie schicken sofort einen Wagen los. Als ich ihr das mitteile, beruhigt sie sich schlagartig. Sie ist ganz ruhig, schluchzt noch etwas. Sie fragt,
Was jetzt als nächstes passieren wird. Ich erkläre, daß die Besatzung vom Rtw und/oder Notarzt im groben Bescheid weiß, aber ein paar Fragen stellen wird, was los ist, ob sie einen konkreten Plan hat sich zu suizidieren, wie stark der Drang ist, dass sie ihr den Vorschlag
Machen werden, in die Psychiatrie gebracht zu werden. Sie könnten sie auch nach Hause bringen und versuchen, den Angehörigen die Situation zu schildern. Sie sagt, sie möchte aufgenommen werden. Ich erkläre, dass sie dann dort aufgenommen wird. Ein Arzt sie nochmal ähnliches
Fragen wird. Aber sehr viel Verständnis haben wird, daß sie um ein Beruhigungsmittel fragen kann, wenn sie will. Dann ein Bett bekommen wird. Am nächsten Tag wird dann nochmal ein Arzt mit ihr darüber reden, wie es weiter geht.
Sie ist nun ganz ruhig und sagt, daß sie den RTW jetzt kommen sieht. Sie beginnt wieder zu weinen, sie fragt, ob ich am nächsten Morgen ihre Eltern anrufen könne und das halbwegs erklären kann. Sie kriegt Panik bei dem Gedanken daran. Ich beruhige und bejahe. Und sage,
Dass das unter Umständen aber auch dort mit Pflege oder therapeutisch stattfinden kann. Ich sage, dass ich es aber machen werde und ihnen sagen kann, dass sie sich nochmal melden wird, wenn sie soweit ist. Der Gedanke entspannt sie.
Sie bedankt sich und sagt, sie wird sich bei mir melden. Sie sagt, sie kriegt das ab jetzt hin, der rtw ist da. Ich höre auch wie diese sie begrüßen. Das Telefon wird einmal weiter gereicht. Ich melde mich, sage das ich den RTW gerufen habe und schildere ganz kurz die Situation
Ich höre aber bereits, dass meine Kollegin mit einer 2. RDlerin reden kann. Ich bedanke mich. Wir legen auf.
Am nächsten Morgen,nach dem Dienst fahre ich zu den Eltern meiner Kollegin und erkläre die Situation. Sie sind sehr ruhig und gefasst und sagen,
Dass sie schon eine Weile merken, dass es ihrer Tochter schlecht geht. Sie bedanken sich, dass ich ihr geholfen habe und es ihnen mitgeteilt habe.
Am Abend kriege ich einen Anruf der Kollegin. Sie ist sehr ruhig und bedankt sich. Sie sagt, dass es ihr schon besser geht,
Aber vorerst stationär aufgenommen wurde. Sie ist mit der Situation einverstanden und versteht, dass sie Hilfe braucht. Sie bedankt sich noch 10x. 3 Monate später treffe ich sie wieder im Dienst, sie ist ausgelassen, ruhig und sichtlich fröhlich.
Falls es euch auch so geht, redet mit jemanden! Falls ihr jemanden kennt, dem es so geht, hört zu, bietet Hilfe an, unterstützt gegebenenfalls.
Wenn ihr nicht wisst, mit wem ihr reden könnt:
0800 1110111

#SuicidePreventionDay
#notjustsad
#burnout

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Caparisun

Caparisun Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @caparisun

9 Jun
Hausaufgabe meiner Psychologin:

In die Altstadt gehen, mindestens 20 Minuten durch gefüllte Straßen laufe, sich Zeit lassen, achtsam sein, anschließend in einem Café etwas trinken. Klingt cool, oder?

Nein!
Was für die meisten Menschen wie ein normaler, schöner Nachmittag klingt
Bedeutet für mich maximalen Stress.

Bei dem Gedanken das zu planen, muss ich bereits beachten, in keine Panikgedanken zu verfallen.
An dem Tag selbst werde ich vor Anspannung kaum ansprechbar sein und in dem Moment in dem ich durch die Straßen gehe oder in einem Café
Sitze, werden in meinem Kopf Bilder und Szenarien ablaufen, die für viele surreal klingen mögen, für mich aber reale Angst und Panik bedeuten. Es kann passieren, dass ich 3x um das Café herumgehe, ehe ich mich traue, mich zu setzen, es kann auch passieren, daß
Read 9 tweets
29 May
CN körperliche Gewalt,

Es ist jetzt ca 2 Jahre her, dass ich micj von meinem gewalttätigen Expartner befreit habe. Und auch heute würde ich ihn vor Scham noch gelegentlich gerne in Schutz nehmen.
Ich würde euch gerne etwas erzählen, was gewiss nicht jeder verstehen wird, nämlich wie man sich - nicht - direkt von jemanden trennen kann, der einmal zuschlägt.
Zunächst einmal: ich bin gewiss niemand, der sich gezielt einschüchtern lässt oder Respektlosigkeit blind hin nimmt
Dennoch kam es an einem Abend dazu, dass wir uns stritten und er holte aus. Ich war so erschrocken, dass ich in dem Moment nichts sagen konnte. Ich hatte Angst und starte ihn nur an. Dann holte er ein nächstes Mal aus. Ich war so perplex, ich entschuldigte mich, ohne zu wissen
Read 18 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(