Anderen die Freundschaft aufzukündigen, wenn man sich politisch zu weit voneinander entfernt hat, wird hier mitunter als verständlich oder sogar sinnvoll beklatscht. Eine neue Studie gibt Hinweise, dass wir unsere andersdenkenden Freunde eigentlich besonders schätzen sollten. |1
2| Verstehen muss man dafür zunächst dieses Phänomen: Die aggregierte Meinung einer Gruppe ist tendenziell akkurater als die ihrer einzelnen Mitglieder. Dieser "Wisdom of the Crowd"-Effekt ist zigfach für Fragen in Politik, Wirtschaft, Sport, Technologie usw. nachgewiesen (Q1).
3| Das klappt nicht immer, aber besonders dann gut, wenn individuelle Faktoren (z.B. kognitive Verzerrungen) eine einzelne Vorhersage prägen. Dann gleicht das Zusammenführen vieler Datenpunkte solche Verzerrungen teilweise aus und produziert vergleichsweise akkurate Resultate.
4| Kollektive Weisheit kann man aber auch alleine haben. Studien zeigen, dass gemittelte Schätzungen akkurater sind, wenn dieselbe Person zwei verschiedene Vorhersagen hintereinander abgibt (Bild: immediate) und noch mehr, wenn viel Zeit zwischen den beiden liegt (delayed) (Q2).
5| Und das führt uns jetzt zum Mehrwert von Freundschaften mit Menschen, die die Welt ganz anders sehen. Eine neue Studie (Preprint) testet, welche Schätzstrategien bei diesem Vorgehen zu den akkuratesten Ergebnissen führen. Wie muss eine effektive innere "Crowd" aussehen?
6| Probanden (N=6425) sollen Antworten schätzen (Bild). Zuerst nach ihrem Gefühl. Für die 2. Schätzung gibt es 3 Gruppen mit Vorgaben: 1) irgendwie erneut schätzen; 2) schätzen wie ein ähnlich denkender Freund; 3) schätzen wie ein Freund, mit dem man oft nicht einer Meinung ist.
7| Resultat: Jeder Perspektivwechsel ergab akkuratere Resultate als eine einfache zweite Schätzung aus eigener Sicht. Besonders effektiv war aber (in der Regel), die Perspektive eines andersdenkenden Freundes einzunehmen. In der Tabelle: Statistik für eines der Experimente (Q3).
8| Das suggeriert, dass wir die Sichtweisen der Leute um uns herum in eine Art inneres Kollektiv integrieren können. Die Diversität der dort vertretenen Ansichten kann unser Weltbild akkurater machen. Schätzen wir also die Menschen, die alles etwas anders sehen als wir selbst.

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4 Oct
Es kam eine Anfrage: ob ich in einem lokalen Diversity-Gremium mitwirken wolle? Weil dazu gute Kenntnisse der Materie sinnvoll sind, habe ich in die Forschung geschaut: Was haben Unternehmen von Diversity? Ich muss sagen, das lief überhaupt nicht wie erwartet. Hier die Daten |1
2| Meine Kenntnisse der Thematik beschränkten sich bisher auf Beiträge wie diesen (Q1). Die verheißenen Vorteile der Vielfalt wollte ich jetzt in der Fachliteratur erkunden, spezifisch diese Frage: Wie wirkt sich Diversity auf Teamperformance aus? Macht Vielfalt ein Team besser?
3| Erster Eindruck: So eine wilde Literatur sieht man nicht jeden Tag. 10 große Meta-Studien hatte ich am Ende gelesen. Klare Resultate? Fehlanzeige. Dafür Korrelationen jeder Art, Richtung und Signifikanz, und immer neue Fragezeichen. Oder um es akademisch-höflich zu sagen (Q2):
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30 Sep
Die Hufeisentheorie zur Äquivalenz von links und rechts wird heiß diskutiert und regelmäßig zu Recht kritisiert. Abseits dieser Debatte häufen sich derweil die Indizien, dass die politischen Extreme wenigstens in einem Punkt fundamental gleichartig sind: in ihrer Psychologie. |1
2| Dieser Thread führt uns ins Territorium der Sozialpsychologie. Dort wird (nicht zufällig) seit den 1930ern unter dem Schlagwort Autoritarismus über eine Variante der Hufeisenfrage gestritten: Gibt es Autoritarismus nur rechts oder auch links? Ist er für beide Seiten gleich? Q1
3| Anders als in unserer öffentlichen Debatte geht es aus dieser psychologischen Perspektive nicht um Inhalte, Strukturen und Bedrohungspotenzial politisch extremer Gruppierungen, sondern um Persönlichkeitsmerkmale, kognitive Eigenschaften und Motivation ihrer einzelnen Anhänger.
Read 11 tweets
28 Sep
Manche Tiere verfügen über die bemerkenswerte Fähigkeit, mit nur einer Gehirnhälfte zu schlafen. Der kleine Sperling im Bild ist gerade dabei und hält deshalb auch im Schlaf immer ein Auge geöffnet. Wussten Sie, dass Sie selbst so etwas Ähnliches auch manchmal machen? |1 Image
2| Wenn Sie das erste Mal in einer fremden Umgebung übernachten, reagiert Ihr Körper darauf möglicherweise so: Während Ihre rechte Gehirnhälfte einen normalen Schlafrhythmus durchläuft, verweigert die linke Hälfte tiefen Schlaf und bleibt etwa empfänglicher für Umweltgeräusche.
3| Dieser "First Night Effect" ist einer der Gründe, warum viele Menschen die erste Nacht im Hotel als wenig erholsam empfinden. Er korreliert mit langer Einschlafdauer: Wenn Sie also im Hotel lange wach liegen, kommt mit größerer Wahrscheinlichkeit auch dieser Effekt noch hinzu.
Read 5 tweets
23 Sep
Ich hatte heute ein Vorstellungsgespräch, in dem die junge Bewerberin mit großem Selbstbewusstsein sagte, sie sei eine hervorragende Multitaskerin. Ich habe das im Gespräch nicht kommentiert, hole das jetzt aber gerne für alle nach: nein, sind Sie nicht. Hier sind die Daten. |1
2| Multitasking heißt landläufig: mehrere Dinge zeitgleich tun. So geht das aber i.d.R. nicht, weil das Gehirn immer nur eine kognitiv schwierige Aufgabe schafft. In Wahrheit ist Multitasking das Hin- und Herwechseln zwischen Aufgaben. Die Forschung sagt oft Task Switching dazu.
3| Konzentriertes Denken funktioniert zeitgleich nur zusammen mit sehr habitualisierten Tätigkeiten, Laufen z.B., und selbst da nicht gut. Plastisches Beispiel: In einem Versuch übersehen Fußgänger mit Handy am Ohr doppelt so oft einen einradfahrenden Clown wie die ohne Handy. Q1
Read 12 tweets
22 Sep
"Ego-Depletion" gehört zu den Erkenntnissen aus der Psychologie, die es in zahllose Ratgeber und Brigitte-Artikel geschafft haben. Die Idee: Willenskraft ist wie ein Muskel, der durch häufige Anwendung müde wird. Was uns die Idee eigentlich lehrt: eine gesunde Portion Skepsis |1
2| Seit einem Experiment in den 1990ern mit frisch gebackenen Keksen (Bild), haben hunderte von Studien Hinweise gesammelt, dass Selbstkontrolle eine endliche Ressource ist: Wer sich zum Keksverzicht zwingt, hat danach weniger Disziplin für andere Dinge übrig. Überblick in Q1.
3| 2010 befand eine Meta-Analyse (n=198): Der Effekt ist real, die Belege robust. 2014 fand eine andere Meta-Analyse (n=100): Der Effekt ist quasi = 0. 2016 scheiterten gleich 24 Gruppen an der Replizierung: nur 2 fanden überhaupt einen Effekt, 1 sogar das Gegenteil. Q2, Q3, Q4
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20 Sep
"Eine Nymphomanin ist eine Frau, die von Sex so besessen ist wie ein durchschnittlicher Mann", wird die amerikanische Autorin Mignon McLaughlin gerne zitiert. Ganz falsch ist das nicht: Männer und Frauen haben eine sehr verschiedene Libido. Warum, das steht in diesem Thread. |1
2| Was folgt, führt eine Idee aus diesem Thread aus (Link): Evolutionär gesehen bestehen Geschlechterunterschiede bei der Partnerwahl u.a., weil Frauen die Kosten der Fortpflanzung tragen. Männer können, müssen aber nicht viel in Nachwuchs investieren.

3| Das macht Frauen wählerisch und vorsichtig (Thema letztes Mal). Anders bei Männern, für die unverbindlicher Sex evolutionär eine zielführende Strategie ist. Das hat die Entstehung von psychologischen Merkmalen begünstigt, die solches Verhalten fördern und effektiv machen. Q1
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