Habe mir (wie offenbar die halbe Welt) "Squid Game" angesehen. Bin nicht ganz glücklich. Das hätte ein grandioser Mix aus Gesellschaftskritik und Spieltheorie werden können. Leider sind, finde ich, einige gute Ideen völlig versickert. (Thread, SPOILER)
Wenn "Squid Game" mit "Hunger Games" oder "Battle Royale" verglichen wird, passiert meiner Meinung nach genau der entscheidende Fehler, den auch die Figuren der Serie passiert und vielen von ihnen das Leben kostet: Es geht nicht darum, die anderen zu töten. Es geht ums Überleben.
Es ist eben KEIN Wettkampf alle gegen alle, bei dem am Ende nur einer überleben kann. Die Regeln sind klar: ALLE, die am Ende noch da sind, gehen mit einem Preis heim. Klar: Je weniger Überlebende, umso mehr Geld pro Person. Aber trotzdem will man doch in erster Linie überleben.
Ich finde: Squid Game ist eine Geschichte über Kooperation und Demokratie. Zusammenarbeit erhöht die Überlebenschance. Warum gelingt sie manchmal trotzdem nicht? Das ist eine packende Idee.
Für mich das faszinierendste Element der Geschichte:
Die Spiele enden jederzeit, wenn die Mehrheit das will. Daran hätte man großartig spannende Gedankenstränge aufhängen können: Warum nehmen wir schlechte Situationen hin, obwohl wir sie ändern könnten, wenn wir uns gemeinsam dazu entschließen würden?
Besonders deutlich wird das beim Spiel auf der Glasbrücke: Eine Überlebenschance haben nur die letzten. Logischerweise müssten alle anderen sofort per Abstimmung beschließen, das Spiel abzubrechen. Tun sie aber nicht, das Thema kommt nicht einmal auf.
Das finde ich schade: Es hätte eine Geschichte über Regeln und Gewalt durch Mächtige sein können, eine grausame Kritik an kapitalistischer (Schein?)Demokratie. Eine Geschichte von Egoismus, Freundschaft und Kooperation. Aber all das wurde nur angedeutet, nicht zu Ende gedacht.
Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass am Ende das zum großen Finale wird: Dass die Überlebenden begreifen: Sie hätten einfach nur von Anfang an vertrauensvoll kooperieren müssen, dann hätten viel mehr überlebt. Nichts davon. Nur einer überlebt und bekommt seine Millionen.
Vielleicht ist das Absicht. Vielleicht wolle man eher zum Denken anregen als in George-Orwell-Manier mit Zaunpfählen zu winken. Trotzdem finde ich: Gute Ansätze, aber eine vergebene Chance, weil sie nicht zu Ende geführt werden. Wie seht ihr das?

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