Habe zum ersten Mal die IPCC-Berichte gelese und bin erleichtert. Selbst im schlimmsten Fall werden die Folgen der Klimakatastrophe erst in einigen hundert Jahren zum existentiellen Problem; in diesem Jahrhundert wird nicht viel passieren. Das entnehme ich den Berichten.
Im besten Fall wird bis 2100 der Meeresspiegel um 0,5 m ansteigen, im schlimmsten Fall um 1 m. Extremwetterereignisse werden zunehmen, sich im schlimmsten Fall in ihrer Häufigkeit verzehnfachen.
In Deutschland wird es wärmer sein und mehr regnen, aber auch mehr Dürreperioden haben, und alles in allem wird die Landwirtschaft eher mehr produzieren als derzeit. Draußen wird es nicht wesentlich anders sein als derzeit; im Winter wird es weiter kalt und im Sommer warm sein.
Weltweit umsiedeln müssen klimabedingt wohl zig Millionen, aber das ist nur Bruchteil derer, die etwa aus Gründen wirtschaftlichen Strukturwandels migrieren. Dafür wird es weltweit praktisch keine Armut mehr geben, und BIP und Einkommen werden 3-10 mal so hoch sein wie derzeit.
Ich will hier den Klimawandel nicht verharmlosen, aber unsere Kinder und Enkel und Urenkel werden vor allem reicher sein, und gesünder und länger und in größerem Luxus leben als wir - daran wird der Klimawandel nicht viel ändern.
Für die Jahrhunderte danach, also bis 2300, dürfte es aber deutlich unangenehmer werden, Meeresspiegelanstiege von 7m und mehr sind denkbar, wenn wir weitermachen wie bisher, aber 2300 wären wir auch mindestens 50 mal reicher als bisher.
Das bedeutet, dass jeder einzelne hier kaufkraftbereinigt viele Mio. Euro im Jahr verdient und alle paar Monate ein neues Haus bauen könnte. Ja, niemand kann genau vorhersagen, wie es im Jahr 2300 so sein wird, aber es wird wahrscheinlich ziemlich geil sein.
Dennoch sollten wir uns ins Zeug legen und möglichst bald damit aufhören, unseren Planeten weiter zu erhitzen; bis 2100 aber werden wir den Unterschied kaum merken, egal, was wir machen.
Wir haben neben dem Klima viele andere existentielle Probleme: Bildung, Armut, Krieg, Ungleichheit, Atomwaffen, Umweltvergiftung, Konzerne, Krankheiten, Killerroboter, Vulkane und Asteroiden, um nur ein paar Dinge zu nennen, die die Menschheit plagen und vernichten können.
Das Klimaproblem wird, wenn überhaupt, die Menscheit frühestens in Jahrhunderten vernichten, ziemlich sicher nicht vor dem Jahr 2500, egal, wie viel Treibhausgase wir raushauen, was aber nicht bedeutet, dass wir so lange warten können, denn selbst, wenn wir ab morgen…
…klimaneutral wirtschaften würde, ginge die Erhitzung, Eisschmelze und Versauerung der Meere erst einmal weiter, vielleicht sogar für Jahrhunderte oder Jahrtausende. Wir wissen nicht, ob und welche Kipppunkte bereits überschritten sind und Nord- und Südpol und Grönland ihr …
…Eis verlieren werden, Permafrostböden in Sibirien, Alaska und Kanada auftauen und größere Mengen Methanhydrate freigesetzt werden. Wenn wichtige Kippunkte überschritten sind, wird CO2-neutrales Wirtschaften die Katastrophe bestenfalls verlangsamen, aber nicht abwenden.
Dann müssten wir schon Geoengineering betreiben, also mit technischen Mitteln und genetisch modifizierten Organismen den Temperaturhaushalt der Erde steuern, indem wir die Reflektivität der Atmosphäre, der Meere und der Landmassen erhöhen.
Das sind allerdings Eingriffe, die auch komplett nach hinten losgehen können und extrem teuer sein dürften, aber es kann gut sein, dass wir irgendwann keine andere Option haben, und es kann sogar sein, dass wir bereits den Punkt überschritten haben, an dem der Klimawandel…
…sich weiter selbst beschleunigt, selbst, wenn wir klimaneutral wären. Nach meiner Meinung spricht auch einiges dafür, dass die IPCC-Szenarien zu optimistisch sind, weil Wissenschaftler nicht zu alarmistisch sein wollen und sich selbst zensieren, um nicht unglaubwürdig zu sein.
Tatsächlich wissen wir sehr wenig darüber, wann welche Kipppunkte erreicht sein werden und wie sich die Dinge entwickeln werden, wenn selbstverstärkende Prozesse einsetzen oder übernehmen. Umgekehrt können manche Prozesse selbstlimitierend sein und die Anstiege bremsen.
Mit anderen Worten: Es kann viel schlimmer kommen, als die Wissenschaft derzeit erwartet, und es kann Perioden des Stillstands und auch plötzlicher Erwärmung geben, wobei wir bisher vor allem einen linearen Anstieg von Treibhausgasen und Temperaturen beobachten können.
90% der Erde sind derzeit unbewohnt, weil das Klima an diesen Orten zu trocken, zu heiß oder zu kalt ist, und der Klimawandel wird auch dazu führen, dass Gegenden bewohnbar werden, die bisher unbewohnt sind, vor allem in Russland, China und Kanada.
Ich möchte den Klimawandel nicht verharmlosen, sondern eine möglichst gute Vorstellung davon bekommen, was auf uns zukommt, und die IPCC-Prognosen lese ich so, dass der Klimawandel bis 2100 nur geringe Auswirkungen auf das Leben und Wirtschaften der meisten Menschen haben wird.
Es dürfte außerdem mittelfristig zu einem Rückgang der Erdbevölkerung kommen, der dazu führen wird, dass der einzelne reicher und besser gebildet sein wird und mehr Biosphäre in Anspruch nehmen kann.
Wer derzeit jung ist, kann erwarten, im Schnitt ein besseres Leben zu führen als je zuvor in der Geschichte der Menschheit, trotz der Erderwärmung. Wann und in welchem Ausmaß die Kosten des Klimawandels so groß werden, dass sie ein weiteres…
…Wirtschaftswachstum unmöglich machen, ist nicht abzusehen, wird aber vor 2100 nicht erwartet. Ja, der Klimawandel wird kosten, aber weniger Einfluss auf Wachstum haben als andere Faktoren, vor allem soziale und politische Veränderungen.
Wie wir unser Zusammenleben und Wirtschaften auf dem Planeten organisieren werden dürfte mittelfristig wesentlich größere Auswirkungen auf das Leben der meisten Menschen haben als die Veränderungen des Klimas.
Menschen leben bereits heute in sehr verschiedenen Klimazonen und sind auch regelmäßig katastrophalen Extremwetterereignissen ausgesetzt, und wir kommen insgesamt damit klar, und das wird sich so bald nicht ändern, auch wenn diese zunehmen.
Mein Fazit: Wir sollten dringend mehr tun gegen den Klimawandel, aber es ist nicht so, dass irgend jemand bei uns aktuell Angst haben müsste, dass seine Lebenqualität oder die seiner Kinder und Enkel sich wegen des Klimawandels verschlechtern würde. Nach 2100 vielleicht.

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