Ein Mensch stirbt in Polizeigewahrsam. Die Polizei schweigt. Die Staatsanwaltschaft schweigt. Die Öffentlichkeit erfährt vom Todesfall. Die Medien schalten sich ein. Die Staatsanwaltschaft hält die Geschehnisse auf Nachfrage nicht für „medienrelevant“.

#GiórgouZantióni

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Für „medienrelevant“ hält die Polizei Wuppertal hingegen Verkehrsunfälle und Unfallflucht durch Fußgänger.

Irgendwann wird der öffentliche Druck zu groß. Eine für Montag angekündigte Pressemeldung erscheint Sonntagnachmittag.

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Die Titelzeile lautet „25-jähriger Mann verstirbt im Polizeigewahrsam der Wuppertaler Polizei - Obduktion ergibt keine Hinweise auf ein Fremdverschulden“.

Man bekommt einen Eindruck, was den Sicherheitsbehörden wichtig scheint und was nicht.

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presseportal.de/blaulicht/pm/3…
Wichtig (!): kein Fremdverschulden.

Wenige Tage nachdem neue Erkenntnissen im Fall Oury Jalloh öffentlich werden, sehen sich Staatsanwaltschaft und Polizei zu einer Stellungnahme gezwungen, um mögliche Verdachtsmomente gegen die eigene Organisation aus dem Weg zu räumen.

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In Wuppertal habe man „keinerlei Hinweise auf ein todesursächliches Fremdverschulden oder eine todesursächliche Gewalteinwirkung“ gefunden, heißt es nach der Obduktion im Wuppertaler Todesfall.

Alles das weckt unrühmliche Erinnerungen an Oury Jalloh.

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Die Todesursache. Irgendwas mit Drogen. Der Mann stand beim Polizeieinsatz unter Drogen. Drogen sind kriminell. Deshalb musste er im Polizeigewahrsam auch auf Drogen untersucht werden. Falls es noch nicht deutlich geworden sein sollte: Der Mann stand in Verbindung zu Drogen.

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Polizeigewahrsam, Drogen, Todesfall. Erinnerungen an Laya-Alama Condé und Achidi John. Beide sollen Drogen geschmuggelt haben. Die Polizei führt ihnen zwangsweise Brechmittel ein. Beide sterben.

Der EGMR wertet das später – im Gegensatz zu Polizei und Politik – als Folter.

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Jalloh, Condé, John. Menschen, die in Obhut der Polizei sterben. Durch die Hand von Polizisten und Ärzten, die im Auftrag der Polizei handelten.

Trotz aller Parallelen ist es wichtig festzuhalten: Der Fall in Wuppertal muss nichts mit den obigen Fällen zu tun haben.

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Die Wahrscheinlichkeit, dass hier ein tragischer medizinischer Vorfall vorliegt, ist hoch. Es ist hochgradig plausibel, dass die beteiligten Polizist:innen alles richtig gemacht und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.

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Dass die Öffentlichkeit nach den Vertuschungen im Fall Oury Jalloh und den menschenverachtenden Vorgängen in den Fällen Condé und John allerdings skeptisch ist, wenn sich die Polizei nach einem Todesfall in Polizeigewahrsam selbst entlastet, ist durchaus verständlich.

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Dass Polizei und Staatsanwaltschaft vorhandene Informationen zurückhalten und mit fehlender „Relevanz“ begründen, macht darüberhinaus stutzig.

„Wer nichts zu befürchten hat, hat auch nichts zu verbergen“ - Ein Spruch, der bei der Polizei äußerst beliebt ist.

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Die Nachricht über den Todesfall in Wuppertal wird über das griechische Indymedia öffentlich. Das ist mehr als nur eine Randnotiz wert. Es ist dasselbe Indymedia, dessen Unterforum „Linksunten“ 2017 vom Bundesinnenministerium verboten wurde.

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bmi.bund.de/SharedDocs/pre…
Die Nachfolgeseite de.indymedia gilt dem Bundesverfassungsschutz seit 2020 als Verdachtsfall im Bereich „Linksextremismus“.

Linksextremismus. Sagen Verfassungsschutz und Innenministerium – dem Polizei und Staatsanwaltschaft unterstehen.

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zeit.de/politik/deutsc…
Man könnte dieses Kommunikationsdesaster als Verkettung unglücklicher Umstände durchgehen lassen, wären da nicht die vielen und unzähligen „Pannen“, die zu einer Art Folklore geworden sind, wann immer die Polizei gegen sich selbst ermittelt.

Jüngstes Beispiel hier.

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@SWeiermann hat für @ndaktuell recherchiert und ist dem Fall nachgegangen. Zu Wort kommt die StA Wuppertal, aber auch die Initative @DICCampaignDE, die darauf aufmerksam macht, dass wieder einmal ein Migrant in Polizeigewahrsam zu Tode gekommen ist.

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nd-aktuell.de/artikel/115836…
Wieder einmal stehen nicht Todeshergang und Todesfolge im Mittelpunkt der polizeilichen Erzählung, sondern die Kriminalisierung des Opfers (Drogen! Drogen! Drogen!).

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Wieder einmal sind es vermeintlich „Linksextreme“ und linke Zeitungen, die ein mögliches polizeiliches Fehlverhalten öffentlich machen.

Wieder einmal schweigen Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenministerium – bis der öffentliche und mediale Druck zu groß werden.

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Wer sich immer schon gefragt hat, wozu es starke antifaschistische Rechercheverbünde braucht, wozu es starken Lokaljournalismus und starke linke Zeitungen braucht: Nun, hier ist die Antwort. Genau für diese Fälle, für diese Öffentlichkeitsarbeit braucht es all das.

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Und was die Polizei betrifft:

„Wer nichts zu befürchten hat, hat auch nichts zu verbergen.“

Für sie gilt dieser Spruch wohl mehr als für irgendjemanden sonst.

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