Je deutlicher die Grenzen eines auf Profiten & Patenten aufgebauten Systems zur Herstellung von Impfstoffen werden, desto lauter wird das Lobbying dafür. Daher ein Thread, warum wir, wie es die WHO fordert, eine Pandemiebekämpfung brauchen, die sich am "Gemeinwohl" orientiert.
Das Argument, die rasche Entwicklung von Impfstoffen sei nur durch privates Risikokapital möglich gewesen, ist schlicht falsch. Die Gesundheitswissenschafterin C. Wild nennt es zurecht einen Mythos. derstandard.at/story/20001266…
"Mythen werden aber nicht wahrhaftiger durch permanente Wiederholung, sie können nur durch Aufklärung entzaubert werden", so Wild. Wahr ist vielmehr, dass die mRNA-Technologie seit Jahrzehnten an öffentlichen Unis mit öffentlichen Mitteln erforscht wird. woz.ch/-b403
Nur weil dies Technologieplattform schon erforscht war, konnten dann die rasche Endentwicklung durch Private (Biontech/Pfizer, Moderna,...) erfolgen. Aber selbst dies wurde u.a. durch öffentliche Mittel finanziert. healthaffairs.org/do/10.1377/hbl…
Das bestätigt u.a. die Arbeit von @MazzucatoM, die gezeigt hat, dass hinter großen "privaten" Innovationen öffentliche Förderung steckt und erklärt ihren Einsatz für die Freigabe der Impfstoffpatente. economist.com/by-invitation/…
Ein weiteres Argument ist, dass die mRNA-Technologie selbst nach Freigabe von Patenten und Produktionswissen ja gar nicht im globalen Süden hergestellt werden könnte. Diesem Argument haftet nicht nur ein koloniales Odium an, sondern es ist auch falsch:
Im Juni gab die WHO bekannt, dass sie mit einem Konsortium aus südafrikanischen Impfstoffunternehmen und Universitäten ein Zentrum für Covid-mRNA-Impfstoffe einzurichtet, um eine entsprechende Produktion anzustarten.
Das Problem ist nur, dass sich alle privaten Unternehmen mit mRNA-Impstoffen bisher weigern, diesem Zentrum die im Kern mit öffentlichen Mitteln möglich gemachte Technologie zu Verfügung zu stellen. bmj.com/content/374/bm…
All das ist nicht "nur" auf einer moralischen Basis problematisch (die Impfquoten im globalen Süden bewegen sich oft im einstelligen Bereich), sondern macht aus der Perspektive der Pandemiebekämpfung keinen Sinn. boell.de/de/2021/09/15/…
Es ist eine einfache Rechnung: Je mehr Infektionen es gibt, desto mehr Chancen hat der Virus zu mutieren. Dementsprechend geht eine Impfstoffproduktion die auf Profit und nicht auf Masse setzt nach hinten los, wie wir gerade anhand von #Omikron beobachten können.
Was sind die Schlüsse, die öffentliche und demokratische Institutionen daraus ziehen? Hören wir dazu der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu:
1) "Technologietransfer & Aufbau v. Produktionskapazitäten im globalen Süden müssen unterstützt & finanziert werden, & zwar nicht in Form von Eigentum eines einzelnen Akteurs, sondern als Gemeingut & kollektive Verantwortung für mehr Gesundheitssicherheit & Widerstandsfähigkeit."
2) "Wissen darf nicht als privatisiertes geistiges Eigentum (IP) unter monopolistischer Kontrolle gehalten werden, sondern muss als kollektive Vergütung aus einem kollektiven Wertschöpfungsprozess offen geteilt und genutzt werden." cdn.who.int/media/docs/def…
Wer an den Möglichkeiten einer unter öffentlichen Kontrolle stehenden Impfstoffproduktion zweifelt, sollte einen Blick ohne Scheuklappen auf Kuba wagen (und NEIN, damit soll nicht die mangelnde Demokratie und andere Probleme des Landes relativiert werden)
Hauptgrund für diese beindruckenden Zahlen ist der von dem öffentlichen Institut entwickelte Impfstoff Soberana, der laut der Daten, die in medRxiv veröffentlicht wurde, eine Wirksamkeit von 90% hat. nature.com/articles/d4158…
Und eine Durchimpfungsrate von 90%, die nicht zuletzt durch das hohe Vertrauen der Bevölkerung in die öffentlich hergestellte Impfstoffe (u.a. wurde auch der erste Impfstoff gegen Meningokokken Ende der 80er in Kuba entwickelt) möglich wurde. thelancet.com/journals/lanin…
Und jetzt stellen wir uns einmal vor, was möglich wäre, wenn der Maßstab nicht eine kleine Insel unter US-Embargo mit eingeschränkter Meinungsfreiheit wäre, sondern:
Ein globales, kooperatives, demokratisches und öffentliches Gesundheitssystem, das Patente freigibt, Produktionswissen teilt und rational alle Produktionskapazitäten für unterschiedliche Impstofftechnologien einsetzen kann.
Auch bisherige Pandemien waren der Anlass, um die Gesundheitssysteme zu verbessern und auf neue Beine zu stellen. Bauen wir darauf auf: Eine globalvernetzte Produktion braucht ein ebensolches Gesundheitssystem.
Je, schneller wir einsehen, dass die Pandemie erst vorbei ist, wenn sie für alle vorbei ist, wird der Spuk vorbei sein. Dafür braucht es nicht dem Imperativ der Profitorientierung, sondern Zusammenhalt, Kooperation und Solidarität.
Nachtrag I: Heute haben sich auch die Rektorin der Central European University (CEU), Shalini Randeria, und die Geschäftsführerin des Austrian Institute for Health Technology Assessment, Claudia Wild für eine Freigabe von Wissen & Patenten ausgesprochen: science.orf.at/stories/3210122
Nachtrag II: Wirklich ganz, ganz tolle Arbeit leisten auch @MSF_austria zum Thema. Siehe dazu zB:
So zynisch funktioniert der Finanzmarktkapitalismus. #Omikron: Was für die Menschheit die Aussicht auf weitere Erkrankungen, Elend und Lockdowns ist, bedeutet für die Pharmaindustrie massive Kursgewinne. Was es jetzt braucht: Rascher Aufbau eines globalen Gesundheitssystems (1/4)
Das 1) Patente und Produktion der Impfstoffe unter öffentliche Kontrolle stellt 2) diese gerecht global nach Bedürftigkeit verteilt 3) im globalen Süden Infrastruktur für Virus-Sequenzierung schafft und 4) ein wirklich grenzüberschreitendes Pandemiemanagement hochzieht. (2/4)
Da ist nicht “nur” ein moralischer Imperativ, sondern im Interesse aller. Sonst bekommt der Virus noch mehr Chancen auf weitere Mutationen: Die Pandemie ist erst vorbei, wenn sie für alle vorbei ist. (3/4)
In Südafrika ist eine #Mutation des #Corona-Virus aufgetaucht, die wohl hinter explosionsartigem Anstieg steht & als „besorgniserregend“ eingestuft wird, weil sie die Impfung umgehen könnte. Das zeigt wie gefährlich das Zurückhalten von Patenten durch Konzerne & EU ist (Thread).
Warum blicken Expert:innen besorgt nach Südafrika? Weil die Variante 32 Mutationen am Spike-Protein aufweist. Just jener Teil des Virus, den viele Impfstoffe verwenden, um das Immunsystem gegen Covid scharf zu stellen. derstandard.at/story/20001314…
Das zeigt einmal mehr wie falsch, das Zurückhalten der Impfstoffpatente im Interesse der Profite der Pharmabranche ist. Vor sechs Monaten schrieben Oliver Prausmüller und ich dazu:
Evidenzbasiert hat sich Stephan Schulmeister neu positioniert: »Wenn Kapitalismus dauerndes Wachstum braucht & Letzteres unausweichlich die Klimakrise vertieft, dann muss entweder der Kapitalismus überwunden oder eine Klimakatastrophe in Kauf genommen werden. Ein Dilemma.« (1/5)
Schulmeister ist einer der brillantesten Kritiker des Neoliberalismus. Dennoch hat er lange für einen gut regulierte Marktwirtschaft argumentiert. Im Angesicht der Klimaerhitzung scheint er nun auch den Kapitalismus in Frage zu stellen. tickets.orf.at/Sendung/Detail… (2/5)
Für mich ist das ein Vorbild für evidenzbasierte Wissenschaftlichkeit. Schließlich weisen neure Studien nochmal detailliert aus, dass sich Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch nicht absolut voneinander entkoppeln lassen. awblog.at/gruenes-wachst… (3/5)
Die gegenwärtige „Impfdebatte“ lässt ein Unbehagen in mir entstehen. Sie fokussiert auf die Impfgegner und individualisiert damit. Der Fokus sollte aber ein anderer sein:
1) Welche gesellschaftlichen Verhältnisse produzieren in einem solchen Ausmaß (rassistische) Wahnvorstellungen und Angstzustände, dass breite Massen an abstruseste Verschwörungstheorien glauben?
Mit einem solchen Schwerpunkt würden nämlich Vereinzelung, Entfremdung und die Zerstörung von Räumen von Reflexion, Rationalität und Kritik und ihr Zusammenhang mit dem Spätkapitalismus in den Blick geraten.
Wir erleben gerade das Ende von Sebastian Kurz. Jene, die ihn großgemacht haben, lassen ihn fallen. Wegen der wirtschaftlichen Folgen eines vermeidbaren Lockdowns. Und Umfragen & der Straße, die zeigen: die ÖVP hat die rechtspopulistische Führung verloren. Und jetzt? (Thread).
Salomon (Kurier) gibt Kurz plötzlich Schuld an Pandemie & Spaltung der Gesellschaft. Mayer (Standard), der Kurz gegenüber einst mehr als Fan denn als Journalist auftrat, fordert die ÖVP auf Kurz in die Wüste zu schicken. Kehrtwenden auch in Krone, Kleiner Zeitung & Presse.
Es hat gedauert. Aber mit der Verkündigung des Lockdowns aufgrund einer Pandemie, die er schon für beendet erklärt hatte, bricht Kurz nun auch der Überbau weg. Kurz ist am Weg vom Schmuck zum Schandfleck des Bürgertums.
Der Tatverdacht gegen Kurz & Co wird bisher: medial weitgehend unvollständig wiedergegeben. Es geht nicht allein, um Untreue & Bestechung. Sondern um die Veruntreuung von Mitteln der Republik, um die Demokratie zu kaufen & damit Artikel 1 der Verfassung zu unterlaufen (Thread).
Rechtlich sind die Verfahren abzuwarten. Das Substrat der Staatsanwaltschaft ist aber so dicht, dass politisch bereits folgendes klar ist: Es ging darum eine illiberale und gekaufte Demokratie u.a. durch Korruption der medialen Öffentlichkeit zu ermöglichen.
Erst, wenn die Dinge so beim Namen genannt werden, wird klar, was es jetzt braucht: 1) Das Parlament muss Kurz das Misstrauen aussprechen 2) Die ÖVP muss aus allen Staatsapparaten entfernt werden 3) Im Parlament muss ein Konsens gegen die gekaufte Republik erarbeitet werden.