In den ideologischen Debatten unserer Zeit - um Corona, Klima, Trans, Political Correctness usw. - fallen die dummen Menschen bekannten Denk-Verzerrungen (cognitive biases) zum Opfer, während die intelligenten Menschen rational denken, Empirie und Logik beachten, richtig? Falsch.
Dan Kahan fand in einem Experiment heraus, dass besonders intelligente Menschen eine Aufgabe nicht besser lösen können als weniger intelligente, wenn … das Ergebnis ihrer politischen Überzeugung zuwiderläuft. Ja, sie waren sogar SCHLECHTER als die weniger intelligenten Menschen.
Bei Aufgaben ohne politische Implikationen schnitten intelligente Menschen zwar besser ab als weniger intelligente, aber sobald Überzeugungen ins Spiel kamen, wurde der Muskel Intelligenz nicht mehr zur Problemlösung gebraucht, sondern im Gegenteil dazu, sich selbst zu betrügen.
Ein Artikel zur Studie trägt den Titel „The most depressing discovery about the brain, ever“. Der Traum der Aufklärung, dass Bildung, Journalismus, Wissenschaft uns vor Trugschlüssen, gefährlichen Ideologien und der Ausblendung von Gefahren bewahren könnten, scheint ausgeträumt.
Eigentlich wissen wir es seit langem: Intelligenz und Rationalität sind zweierlei. Es gibt intelligente Menschen, die überaus irrational sind (viele Führer, die man fälschlicherweise für ”dumm” gehalten hat), und es gibt weniger intelligente, die in kaum eine Denkfalle tappen.
Das 20. Jahrhundert hat uns gezeigt, dass ein Großteil der Intellektuellen den totalitären Versuchungen rechts und links anheimgefallen ist, über Jahre und sogar Jahrzehnte durch keine Information über furchtbare Menschheitsverbrechen von der eigenen Überzeugung abzubringen war.
Was folgt daraus? 1) Wir müssen uns immer wieder zwingen, gegen eigene Überzeugungen zu denken, Argumenten von Gegnern eine Chance zu geben, obwohl es unangenehm ist. Irgendwo hat Thomas Bernhard geschrieben: ”Alles, was ich im Leben erreicht habe, habe ich gegen mich erreicht.”
2) Wir müssen die Aufklärungs-Illusion aufgeben. Beispiel Klima: Mehr Information, mehr Berichterstattung werden viele nicht überzeugen. Das Einzige, was hilft: Widerstände zu reduzieren. (Frage: Ist die politische Linke gut darin, bei Unüberzeugten Widerstände zu reduzieren?)
Ich habe bereits in einem Thread über das „schwierige Wissen“ geschrieben, das wir nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Die Befunde von Dan Kahan und die Unterscheidung zwischen Intelligenz und Rationalität wären so etwas wie eine psychologische Grundlage.

Hier Dan Kahans TedTalk „Are Smart People Ruining Democracy?“

Hier der Artikel „The most depressing discovery about the brain, ever“:

alternet.org/2013/09/most-d…
Ein Artikel in der New York Times über Intelligenz und Rationalität:

nytimes.com/2016/09/18/opi…
Und ein kleiner Rationalitätstest. Und keine Angst, wenn man intelligent, aber irrational ist, kann man immer noch Chef oder Präsident werden.

magazine.utoronto.ca/research-ideas…
Es sei denn, die Menschheit löst auch noch diese Aufgabe: Nicht mehr jede Menge intelligenter Irrationalisten (und sogar Soziopathen) zu unseren Chefs, zu wirtschaftlichen und politischen Führern zu machen. Davon hängt tatsächlich unsere Zukunft und die Zukunft des Planeten ab.

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Feb 8
Sollte man das sogenannte N Wort nicht sagen?

#JoeRogan entschuldigt sich. Zu Recht?

Ich möchte gegen das Sprachtabu argumentieren.
1) Die psychologische Begründung

Die Diskurse von Kolonialismus, Sklaverei, Nationalsozialismus und anderen menschenverachtenden Systemen haben eine Vielzahl von Wörtern hevorgebracht, die mit schlimmster Herabsetzung, Misshandlung und Mord verbunden sind. Um die Erinnerung ...
an diese Verbrechen wachzuhalten (und auch den gegenwärtigen diskriminierenden Gebrauch dieser Wörter zu kritisieren), muss es möglich sein, die Wörter in Wissenschaft, Literatur, Journalismus, Kunst, Comedy und musealen Dokumentationen zu verwenden - in allen Kontexten, die ...
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Feb 7
Fortschritt, der nicht wie Fortschritt aussieht:

Ich vermute, dass wir irgendwann, auf die Kulturkriege zurückblickend, feststellen werden, dass die Gesellschaft als ganze gelernt hat.

Es ist kein Lernen, das man zeigt oder zugibt, sondern diffundierendes, einsickerndes Lernen.
Um der "crazy left" ja nicht Recht zu geben und zu beweisen, wie irrsinnig alle Vorwürfe der Linken sind, bemühen sich zum Beispiel Ideologen auf Fox News, nichts eindeutig Rassistisches, Sexistisches oder Homofeindliches zu sagen. Umgekehrt sehe ich, wie Linke sich in den USA...
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Jan 11
Ob Corona, Klimawandel, Political Correctness in Geschlechterfragen - die Frage ”Was ist wahr?”, die in der modernen Gesellschaft vor allem die Wissenschaft beantworten soll, steht im Zentrum der größten Konflikte der Gegenwart. Aber was ist Wissenschaft? 1/30
Wissenschaft unterscheidet sich nicht wesentlich von gewöhnlicher Wahrnehmung und gewöhnlichem Denken, wie Gegenüberstellungen von Wissenschaft auf der einen Seite und ”gesundem Menschenverstand” bzw. ”natürlicher Erfahrung” auf der anderen Seite glaubenlassen. 2/30
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Jan 6
Die Lücke, die wir Linken lassen:

Verschwörungsmythen entstehen in einem narrativen Vakuum. Unsere Erfahrungen verlangen nach einer Erzählung. Dabei gilt: Wenn du eine Geschichte nicht richtig erzählen kannst, wird jemand kommen, der sie falsch erzählt.

Die Lücke wird gefüllt.
In den vergangenen 20 Jahren gab es viele politische Probleme, die buchstäblich geschichts-los geblieben sind, die nicht Teil des Narrativs einer großen politischen Kraft wurden und damit frei vagabundierendes und verfügbares Material für Verschwörungserzählungen abgaben.
1) Milliardäre. Der durch nichts legitimierte, demokratisch nicht steuerbare politische Einfluss von Milliardären wie den Koch-Brüdern, Zuckerberg, Soros, Gates usw. Die Linke müsste das Problem viel stärker aufgreifen, erst recht da, wo das Geld plötzlich ”auf ihrer Seite” ist.
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Jan 4
Lesenswerter Text von Steven Pinker: Wege, in diesem Jahr rationaler zu werden.

Whenever we engage in an intellectual discussion, our goal ought to be to converge on the truth. But humans are primates - and often the goal is to become the alpha debater.

bbc.com/news/world-597…
It can be done non-verbally - the supercilious posture, the hard stare, the deep voice, the peremptory tone, the constant interruptions and other dominance displays.
Dominance can also be pursued in the content of an argument, using a host of dirty tricks designed to make an opponent look weak or foolish. These can include:
•Arguing "ad hominem" - attacking the person rather than the argument itself
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Jan 4
Was ist moralisches Handeln? Das Gute zu tun, und das Böse zu bekämpfen? Fast alle unsere moralischen Erzählungen von Heiligen Büchern über Sagen und Märchen bis hin zu Netflix-Serien folgen diesem Muster. Die Linke. Die Rechte. Jede Terrororganisation, jeder Verschwörungsglaube.
Führt Empathie zum moralisch richtigen Handeln? Nicht unbedingt. Oft ist das Gegenteil der Fall: Mit Opfern mitzufühlen, führt dann zum Wunsch, die Täter mit Gewalt zur Rechenschaft zu ziehen. Muslime, die mit muslimischen Opfern mitfühlen, greifen ”Ungläubige” an. Israelis …
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