Länder, in denen jede/r Angeklagte unabhängig vom Geldbeutel eine/n Anwält/in bekommen kann:
Viele Menschen hierzulande glauben: Wer angeklagt ist, bekommt auf Wunsch immer eine Verteidigung. Notfalls halt auf Staatskosten (oder zumindest so, dass der Staat die Kosten vorstreckt). So ist es ja auch in den meisten Nachbarländern.
Aber so ist es nicht. In Deutschland gewährt der Staat nur bei besonders schweren oder kniffligen Delikten eine sogenannte „notwendige Verteidigung“. Das trifft nur auf etwa 10 Prozent der Fälle zu.
In der großen Masse der Fälle, die täglich die Amtsgerichte beschäftigen, bei den kleinen Diebstählen, den einfachen Betrügereien, den Trunkenheitsfahrten ohne Verletzte gibt es das nicht.
Das heißt: Da kann man sich entweder einen Strafverteidiger leisten. Oder man kann es halt nicht. Tough luck.
Das ist ein Zustand, von dem Staaten wie Italien, Frankreich, Polen schon längst sagen: Das darf nicht sein. So eine Härte gegenüber mittellosen Beschuldigten haben wir auch gar nicht nötig.
Die @NeueRichter-Vereinigung fordert (mit Presseerklärung von gestern) die Einführung einer „Prozesskostenhilfe im Strafrecht“ auch in Deutschland. Sehr gut, dass eine solche Stimme aus der Richterschaft kommt!
In Österreich und Deutschland ähneln sich die Probleme, wie die Europakarte zeigt, hab mich daher heute sehr gefreut, dass Ö1 das Thema aufgegriffen hat: oe1.orf.at/player/2022020…
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Gestatten: Ramona J., 57 Jahre alt. Die gebürtige Hamburgerin bietet sich Männern auf dem Elendsstrich rund um den Hansabrunnen im Stadtteil St. Georg an, weil sie keine andere Möglichkeit sieht, ihre Drogensucht zu befriedigen. Verkehr 15 Euro. Oral 8 Euro.
Weil sie damit gegen eine in Hamburg geltende Sperrgebietsverordnung verstößt, landet sie regelmäßig vor Gericht. Und bekommt regelmäßig eine Geldstrafe aufgebrummt, die sie nur stemmen kann, indem sie wieder auf den Strich geht.
Viele Menschen glauben, Diebstähle, die aus Not heraus begangen werden, würden bei Gericht eher milder bewertet.
Leider kennen viele Menschen nicht die deutsche Regel des „gewerbsmäßigen“ Diebstahls.
Kleiner 🧵👇
Gestatten: Herr C., 50 Jahre alt, Wohnhaft im „Pik As“, einer Übernachtungsstätte für obdachlose Männer in Hamburg. Das Amtsgericht verurteilte ihn wegen Diebstahls dreier Rasierer (Gesamtwert 59,97 Euro) bei Rossmann.
Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland war von 2 großen Lebenslügen geprägt. 1.: Im KZ habe es auch unschuldige Tätigkeiten gegeben. Nicht jeder Wachmann sei am Verbrechen beteiligt gewesen. Mit dieser Begründung…
…haben deutsche Strafgerichte jahrzehntelang darauf bestanden, dass einem KZ-Wachmann erst einmal individuell eine bestimmte Gewalttat nachgewiesen musste. Sonst könne es ja sein, dass er gar nichts Verbrecherisches getan habe.
Diese Sichtweise hat die Justiz erst 2011 hinter sich gelassen, in dem Münchner Urteil gegen den einstigen KZ-Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, John Demjanjuk. Da war es freilich schon zu spät, um noch relevant zu sein für viele Tausend deutsche KZ-Wachleute.
Es ist beunruhigend für Jurist*innen, bei einem Besuch im Haus der Wannsee-Konferenz die Lebensläufe der Männer zu lesen, die dort einst bei einem Arbeitsfrühstück die Ermordung der europäischen Juden besiegelten. „Ordentliche“ Juristenlebensläufe. 1/4
Auch die Sprache, die sie in ihrem Schriftverkehr pflegten, ist heutigen Jurist*innen unheimlich vertraut. Wer sich diese Zeit nimmt, der sieht seine eigene juristische Profession danach mit anderen Augen. Es ist beunruhigend, aber es ist eine gute Beunruhigung. 2/4
Die Legende, wonach Juristen im NS im Großen und Ganzen neutral geblieben seien, als nüchtern-ideologieferne Techniker des Rechts, ist noch sehr lange gepflegt worden. Die deutsche Juristenschaft hat es sich hinter dieser Verdrehung der Tatsachen gemütlich gemacht. 3/4
Richterin am Amtsgericht Lena Dammann (Amtsgericht Hamburg-St. Georg), Oberstaatsanwalt Andreas Franck (Generalstaatsanwaltschaft München), Generalstaatsanwalt a.D. Helmut Fünfsinn (Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main),
Richter am Landgericht Christoph Gerken (LG Hamburg), Oberamtsanwältin Julia Grothues-Spork (Amtsanwaltschaft Berlin), Richter am Sozialgericht Claudius Hübbe (Hamburg), Richterin am Landgericht Lisa Jani (Landgericht Berlin),
Viele Jazzclubs in Berlin in den 1920ern wurden von Arabern geführt. Sie waren auch ein Schutzraum für jüdische Musiker. Kleiner Thread
Auf einer Fläche von 5000 Quadratmetern westlich der Gedächtniskirche am Ku’damm drängelten sich ein gutes Dutzend Bars: die Königin-, Roxy-, Uhu-, Kakadu-, Rosita- und Patria-Bar, mittendrin das Orient-Restaurant Schark („Osten“ auf Arabisch) in der Uhlandstraße.
Livrierte Portiers scheuchten alle außer den sehr elegant und vornehm wirkenden Besuchern davon, wodurch – wie M.H.Kater in „Gewagtes Spiel. Jazz im NS“ (1995) zeigt - auch die verhassten Spione der Reichsmusikkammer ferngehalten wurden, die sich stets schäbig kleideten.