Thread by @RonenSteinke

Viele Jazzclubs in Berlin in den 1920ern wurden von Arabern geführt. Sie waren auch ein Schutzraum für jüdische Musiker. Kleiner Thread

Auf einer Fläche von 5000 Quadratmetern westlich der Gedächtniskirche am Ku’damm drängelten sich ein gutes Dutzend Bars: die Königin-, Roxy-, Uhu-, Kakadu-, Rosita- und Patria-Bar, mittendrin das Orient-Restaurant Schark („Osten“ auf Arabisch) in der Uhlandstraße.

Livrierte Portiers scheuchten alle außer den sehr elegant und vornehm wirkenden Besuchern davon, wodurch – wie M.H.Kater in „Gewagtes Spiel. Jazz im NS“ (1995) zeigt - auch die verhassten Spione der Reichsmusikkammer ferngehalten wurden, die sich stets schäbig kleideten.

Wenn sie sich doch einmal hineingedrängt hatten auf der Suche nach jüdischen Musikern oder solchen, die „Nigger-“ oder „Juden-Jazz“ von Irving Berlin oder George Gershwin spielten, ..

dann waren die Künstler auf der Bühne bereits von einer geheimen Glocke gewarnt worden und zeigten falsche Songtitel auf ihren Notenblättern vor. „Schwarzer Panther“ statt „Tiger Rag“. Man führte die braunen Zensoren an der Nase herum.

So konnte z.B. der jüdische Violinist Paul Weinapel, der in den späten 1930ern auf Druck der Reichsmusikkammer sein Engagement verloren hatte, mit seiner Kapelle von der Sherbini- in die Ciro-Bar umziehen.

Als die Reichsmusikkammer abgelenkt war, wurde er in aller Stille wieder im Sherbini angestellt.

Die Ciro-Bar lag direkt neben der Carlton-Bar, geführt von dem Ägypter Ahmed Mustafa. Er war zunächst als Varieté-Tänzer nach Berlin gekommen, ließ dann das Abendpublikum Schlange stehen für ..

Künstler wie den Swing-Pianisten Fritz Schulz-Reichel, Pseudonym: der schräge Otto, der Reißzwecken in den Filz der Anschlagshämmer seines Klaviers drückte, um den typischen Kneipenklaviersound der Jahrhundertwende zu erzeugen.

Zwischen hellen Terracotta-Wänden hingen Kitschgegenstände von Kleopatra bis zu König Faruq, und „wieder einige Stufen hoch, und wir sind im Silber-Raum, von dem aus man das elegant mondäne Leben an sich vorbeirauschen lassen kann“

(Vgl Knud Wolffram, „Tanzdielen und Vergnügungspaläste. Berliner Nachtleben in den dreißiger und vierziger Jahren. Von der Friedrichstraße bis Berlin W., von Moka Efti bis zum Delphi“, 1992)

Noch eleganter war nur das besagte Sherbini, betrieben von Mostafa el-Sherbini, einem ägyptischen Dandy und Jazzschlagzeuger, der die Stieftochter eines Grafen geheiratet hatte.

Er hat, ebenso wie der Geschäftsführer der Carlton-Bar, Abdel Aziz Helmy Hammad, von 1942 an mitgeholfen, das jüdische Mädchen Anna Boros in Berlin zu verstecken. Ein verschwiegenes Netzwerk arabischer Bohemiens.

Bild: Jeanne Mammen 

Dem @Tagesspiegel habe ich dazu noch bisschen mehr erzählt:
tagesspiegel.de/berlin/berlin-…