#Polen/s Präsident Andrzej #Duda spricht heute als erster ausländischer Staatschef seit Beginn der russischen Invasion auf die #Ukraine️ vor dem Parlament (Verkhovna Rada). Symbolischer Höhepunkt der komplexen und konfliktreichen polnisch-ukrainischen Geschichte. Ein Thread/1
"Noch ist #Polen/die #Ukraine nicht verloren/gestorben" die Nationalhymnen beider Länder beginnen ähnlich, beide Länder thematisieren den schwierigen Beginn ihrer Staatswerdung. Die frühneuzeitliche polnische Adelsrepublik und das ukrainische Hetmanat verschwanden im 18. Jhd./2
Sie wurden Opfer ihrer imperialen Nachbarn (Russland/Österreich/Preußen [nur Polen]) aber auch interner Konflikte. Beides waren aber keine Nationalstaaten, sondern dienten der Bewahrung v. tradit. Standesrechten. Keine Demokratien aber Gegenmodelle zum autokratischen Zarenreich/3
Die Ausformung nationaler Zugehörigkeit begann im 19. Jahrhundert im Kontext imperialen Fremdherrschaft im Zarenreich und Österreich-Ungarn. Wien nutzte die Konkurrenz der poln./ukr. Nationalbewegungen und spielte diese gegeneinander aus, förderte aber auch Kultur und Bildung/4
Anders im Zarenreich. Die gescheiterten polnischen Aufstände (1830/1863) führten zu Rerpressionen, auch gegen Ukrainer: Der Kreml begann mit einer forcierten Russifizierung. Moskau bezeichnete ukr. Sprache und Kultur als "rückständig" und "bäuerlich" und ließ sie bekämpfen/5
1918 zerfielen die Imperien und es begann eine neue und "moderne" (National-)Staatsbildung. Polen und Ukrainer hatten dabei mit ähnlichen Problemen zu kämpfen: Eine zerstrittene Parteienlandschaft, umkämpfte Grenzen und revisionistische Nachbarn (Deutschland, Sowjetrussland)/6
(Agrar)Sozialismus oder Nationalismus? In beiden Staaten begann der Streit um die künftige Staats- und Nationsform. In Polen hoffte Marschall Józef Piłsudski auf eine modernisierte Neuauflage der Adelsrepublik, mit Ukrainern/Belerussen als "Juniorpartnern" gegen Russland/7
Sein Konkurrent Roman Dmowski verlangte dagegen "ethnische" Homogenisierung gegen Ukrainer und v.a. geg Juden. Parallele Richtungskämpfe entwickelten sich auch in der Ukraine. In den Grenzgebieten (Galizien/Wolhynien) kam es zu bewaffneten Kämpfen zwischen Nationalbewegungen/8
Wer war Ukrainer und wer Pole? Die Risse gingen oftmals durch die Familien. Nationale Zugehörigkeit war nichts Festes oder gar "Natürliches" - Städte wie Lwiw/Lwów/Lemberg hatten eine (wie die Namen schon andeuten) gemischte Bevölkerung. Die Juden standen zwischen den Fronten/9
Nach dem polnisch-russischen Krieg (1920) wurde die historische Ukraine zwischen Polen und der Sowjetunion (ab 1922) aufgeteilt. Anfangs genossen die Ukrainer unter den Kommunisten mehr kulturelle Freiheiten, doch Stalin setzte ab 1934 erneut auf brutale Repressionen/10
Im Grenzgebiet war die OUN aktiv, die unter ihrem Anführer Stepan #Bandera bis heute berüchtigt ist. 1934 ermordete die OUN den polnischen Innenminister Pieracki. Die ukrainischen Nationalisten töteten im Grenzgebiet zahlreiche Polen. 1939/40 verbündeten sie sich mit Hitler/11
Bandera und seine Organisation waren antisemitisch und anti-polnisch. Doch ein langrfistiges Bündnis mit Deutschland scheiterte. Nach dem Angriff auf die Sowjetunion forderten die ukr. Nationalisten einen eigenen Staat, Hitler lehnte ab und Bandera landete 1942 im KZ Sachsenh./12
Nach dem 2. WK ordneten die Siegermächte Europa neu. Stalin annektierte die ehemals polnischen Ostgebiete und konnte damit seine (im Bündnis mit Hitler) erlangten Gebietsgewinne behalten. Es begann ein gewaltsamer "Bevölkerungstausch" mit dem Ziel der ethn. Homogenisierung/13
Die von #Stalin eingesetzte kommunistische Regierung vertrieb umgekehrt viele Ukrainer aus dem polnischen Staatsgebiet oder siedelte diese um. Die Geschichte der komplexen Verflechtung in den Grenzgebieten wurde mit Gewalt beendet, kehrte nach Zerfall der Sowjetunion zurück/14
Die 1990er/2000er waren zwischen Polen und der Ukraine eine Zeit zwischen Spannungen und Kooperation. Historische Wunden klafften erneut auf, die Ukrainer betrachteten Polen auch als Vorbild. Beide Staaten starteten ihre Unabhängigkeit auf einem ähnlichen ökonomischen Niveau/15
Nach Zugang zu NATO und EU konnten die Polen die post-sowjetische Stagnation, Korruption und Misswirtschaft deutlich besser überwinden. Die Ukraine blieb dies v.a. durch die Intervention Russlands verwehrt. Der Kreml erkannte die Ukraine nie als vollends souveränen Staat an/16
Trotz aller Schrecken ist die historisch einmalige Kooperation zwischen Polen und der Ukraine ein Hoffnungsschimmer - Überwindung einer spannungsreichen und umstrittenen Vergangenheit. Im Gegensatz zur Sicht #Putin/s ist Geschichte eben nicht unveränderliches "Schicksal"/Ende
Fotos: Piłsudski und der ukrainische Hetman Petljura in Kiew (1920), Pol. Präsident Kwaśniewski und ukr. Präsidentschaftskandidat Yushchenko am "Runden Tisch" (2004)
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2022: Europa sucht (leider) wieder nach einer neuen Sicherheitsordnung. Dabei stellt sich erneut die Frage, wie man mit einer "gekränkten Großmacht" umgeht. #Macron warnt vor einer Demütigung #Russland/s. Ist eine "gerechte" Ordnung überhaupt möglich? Ein historischer Blick 🧵/1
Der #WienerKongress (1815) beendete die Revolutionskriege und ordnete Europa neu. Für #Gauland ein positives Beispiel, was mehr über seine Weltanschauung als historische Kenntnisse aussagt. In Wien trafen sich die Großmächte der Restauration, der Hochadel und die Fürsten/2
Die Verhandlungen und die Grenzziehung verliefen ohne jegliche Rücksicht auf die Bürger und ihre Rechte. Liberale Bewegung sollten im Gegenteil klein gehalten werden, was die "Karlsbader Beschlüsse" (1819) noch einmal bekräftigen. Nachhaltig war diese Ordung aber nicht/3
#Russland/s Krieg in der #Ukraine ist auch ein Kampf um Erinnerung. Wer hat das Recht auf das Erbe der #Sowjetunion und wie geht man mit der komplexen Geschichte der untergegangenen Weltmacht um? Am #TagderBefreiung spitzt sich dieser Konflikt der Symbole zu - ein Thread 🧵/1
Staatenbund, Bundesstaat oder (groß-)russisches Imperium? Die #Sowjetunion war alles davon. In der westl. Wahrnehmung verschwimmt diese Differenzierung. Im Englischen wird #Russia/#SovietUnion meist synonym verwendet, auch in Deutschland findet oft keine Unterscheidung statt /2
Die #Sowjetunion ging 1922 aus Sowjetrussland hervor als #Lenin seine Hoffnungen auf die Weltrevolution aufgeben musste. Er war nicht nur Ideologe sondern auch Pragmatiker der Macht: Nur knapp 50% der Bevölkerung waren Russen, andere Nationalitäten erhielten zunächst Freiräume/3
Ich bin promovierter Historiker und habe die letzten Jahre zum 1.WK/Zwischenkriegszeit gearbeitet. Nein, der #VersaillerVertrag hat nicht den 2.WK ausgelöst oder zum Aufstieg Hitlers geführt. #Gauland bedient sich (mal wieder) nationalistischer Mythen /1
Frankreichs bedeutende Industriegebiete im Nord-Osten waren fast vier Jahre lang von Deutschland besetzt, wurden ausgeplündert und am Ende systematisch zerstört. Reperationen waren aus Sicht von Paris angemessen. Letztendlich zahlte Dtl. davon auch nur einen Bruchteil/2
Gemessen an der Wirtschaftsleistung war die Belastung durch Reperationen für z.B. Ungarn deutlich größer. Deutschlands Industrie blieb durch den Krieg unangetastet. Die Briten setzten außerdem auf ein "Gleichgewicht" der Mächte und stutzten viele Forderungen Frankreichs zurück/3
Als die deutsche Armee 1941 vor #Moskau stand, ließ #Stalin eine heilige Ikone mit einem Flugzeug um die Stadt herum fliegen. Obwohl er brutale Repressionen gegen die orthodoxe Geistlichkeit anordnete, verstand er die Verknüpfung von russ. Nationalismus und Orthodoxie /1
In der existenziellen Krise des II. Weltkriegs stellte Stalin die kommunistische Ideologie (z.T.) hinten an und setzte auf ("groß")russischen Nationalismus. #Putin und seine Propaganda sehen das heutige #Russland ebenfalls in seiner Existenz durch den "Westen" bedroht /2
#Putin legitimiert seine Herrschaft als Verteidiger vor den Feinden von außen. Erneut hätten es "Faschisten" auf Russland abgesehen. Diesmal aber in Form der "Liberal-Faschisten", die versuchen würden, dem Land eine "fremde" Ordnung aufzuzwingen" - die liberale Demokratie/3