/2 Eine Maßnahme ist dann verhältnismäßig, wenn diese ein legitimes Gemeinwohlanliegen verfolgt und dazu geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne also angemessen ist.
/3 Bei der gegenwärtigen Diskussion wird seitens der Befürworter der Politik der konkrete Zweck einer Maskenpflicht offengelassen. Es wird vielmehr auf die vermeintliche Effektivität einer derartigen Maßnahme abgestellt. Dies erschwert eine Verhältnismäßigkeitsprüfung enorm.
/4 Wenn nur das Mittel auf die drei Aspekte der
Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit bezogen wird, fehlt es an dem, was die Prüfung leisten soll: das Mittel abzugleichen auf ein Ziel vor dem
Hintergrund der Verluste, die für ein Rechtsgut entstehen. Eine Prüfung ohne
/5 Bestimmung von Ziel und Rechtsgut ist keine Verhältnismäßigkeitsprüfung, sondern bestenfalls eine Korrelationsvermutung mit Faktenhypothese (bei der dann prärogativ auf die Einschätzung des Gesetzgebers abgestellt werden
kann) [so Lepsius, DER STAAT 60 (2021), 609 (630)].
/6 Schon vor 20 Monaten wurde in einem Rechtsgutachten die ungenaue Zweckbestimmung der Maßnahmen als Problem in Zusammenhang mit deren gerichtlicher Prüfung hervorgehoben (vgl. Kießling/Möllers/Volkmann, S. 7 f., fragdenstaat.de/anfrage/antrag…)
/7 Von der im kürze veröffentlichten Evaluation des Sachverständigenausschuss nach § 5 Abs. 9 IfSG, wird auch erwartet dazu Stellung zu nehmen und klare Handlungsempfehlungen zur Konkretisierung der Ziele auszusprechen.
/8 Unabhängig von einem konkreten Ziel, lässt sich die Eignung einer flächendeckend angeordneten Maskenpflicht vertretbar annehmen. Denn dadurch können Infektionen verhindert werden, jedenfalls in gewissen Maße.
/9 Sie ist auch erforderlich, da eine gleichgeeignete Maßnahme, die die Grundrechte weniger einschränkt nicht ersichtlich ist.
/10 Nun ist die Frage ob eine derartige Maßnahme auch angemessen ist. Es stellt sich Frage nach der Intensität der Maßnahme. Die Gerichte verweisen häufig auf eine geringe Intensität dieses Eingriffs (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.04.2022 – 2 Rb 37 Ss 25/22 –, Rn. 17).
/11 Hier machen es sich die Gerichte meines Erachtens zu leicht und betrachten das Eingriffsgewicht einer derartigen Maßnahme nicht korrekt. Die Eingriffsintensität wächst mit der Zahl der
betroffenen Grundrechtsträger (vgl. BVerfGE 100, 313 (376); 109, 279 (353)).
/12 Besonders schwer wiegen daher Eingriffe, die über eine große Streubreite verfügen, weil sie eine Vielzahl von Personen betreffen (vgl. BVerfGE 100, 313 (392); 107, 299 (320 f.), BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. –, Rn. 294).
/13 Die Intensität einer derartigen Maßnahme steigert sich zudem durch ihre Sanktionsbewehrung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. –, Rn. 222).
/14 Schlussendlich müssen auch additive Effekte betrachtet werden, die die Intensität weiter erhöhen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. –, Rn. 223, 295).
/15 Selbst wenn vertretbar davon ausgegangen werden kann dass isoliert betrachtet für den Einzelnen eine Maskenpflicht einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 oder auch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG von nur geringer Intensität darstellt, so trifft dies in der Gesamtschau nicht zu
/16 Denn dabei bleibt außer Betracht, dass eine Vielzahl an Grundrechtsträger betroffen sind, dass die ein Bußgeld bei Nichtbefolgung zahlen müssten und das immer wieder in ihre Grundrechte eingegriffen wird über einen Zeitraum von schon über 2 Jahren.
/17 Man kann kaum mehr vertretbar von einer lediglich geringen Eingriffsintensität ausgehen. Dem Gegenüber steht die Frage wie wichtig die Gemeinwohlbelange sind. Dazu wäre die Wirksamkeit dieser Maßnahme zu ermitteln.
/18 In diesem Zusammenhang wurde in letzten Tagen Zahlreich auf die Studie des MPI verwiesen. Wie z.B. vom ZDF:
/19 Das MPI sagt das die FFP2-Maske erst dann wirkt, wenn sie richtig getragen wird. Deshalb kann auch nicht pauschal eine hohe Effektivität einfach unterstellt werden,
/20 da dies voraussetzt das jeder die Maske korrekt trägt (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 30. 12.2021 – 3 MR 35/21 –, Rn. 38 mit weiteren Nachweisen, gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/jportal/portal…).
/21 In anbracht der Dauer der Pandemie ist es auch zumutbar für den Staat die Wirksamkeit der Maßnahme zu ermitteln. Denn Unsicherheiten dürfen nicht pauschal zu Lasten der Grundrechtsträger gehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781/21 u.a. –, Rn. 185).
/22 Das Gewicht der potentiellen Gemeinwohlbelange wird weiter dadurch herabgesetzt, dass die Maßnahme mittlerweile Zwecken dient, die eher eine untergeordnete Bedeutung haben.
/23 Weniger der Verhinderung der Überlastung des Gesundheitssystems sondern mehr der Verringerung des individuellen Lebensrisikos.
/24 Das Ziel der Risikovorsorge bringt ein geringeres Gewicht in die Abwägung ein als die Gefahrenabwehr (vgl. Isensee, in Isensee/Kirchhof, HdStR, Bd. IX, 3. Aufl. 2011, § 191, Rn. 235).
/25 Das Gewicht der Gemeinwohlbelange überwiegt vor diesem Hintergrund nicht offensichtlich das Eingriffsgewicht. Deshalb lässt sich die Verhältnismäßigkeit einer Maskenpflicht nicht pauschal annehmen sondern bedarf einer eingehend Prüfung durch die Staatsgewalten.
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/1 Neues zur #Maskenpflicht im #ÖPNV. Das OVG Lüneburg hatte dazu einen Antrag abgelehnt, jedoch interessanterweise entschieden, dass die Maske temporär zum Essen abgesetzt werden darf (Beschl. v. 02.06.2022 - 14 MN 259/22 -, rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal…).
/2 Zunächst zu der beanstandeten Regelung, die auch unter bestimmten Voraussetzungen die Pflicht zum tragen einer FFP2-Maske vorsieht (Rn. 8):
/3 Das Gericht meint, dass eine Maskenpflicht unabhängig von einer konkreten drohenden Überlastung des Gesundheitssystem angeordnet werden darf (Rn. 14). Bei diesen "niederschwellige Schutzmaßnahmen" muss dann nur die Verhältnismäßigkeit beachtet werden (Rn. 15).
/1 Vorgestern hatte der @BVerfG seinen Beschluss zur einrichtungsbezogenen #Impfpflicht veröffentlicht (BVerfG, Beschl. v. 27.04.2022 - 1 BvR 2649/21 -, bundesverfassungsgericht.de/e/rs20220427_1…). Es ist kein Urteil - wie vielfach behauptet - sondern ein Beschluss!
/2 Das liegt daran, das keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, was kritisch zu sehen ist wie schon bei den Entscheidungen zur Bundesnotbremse.
/3 Es sollen nun die wichtigsten Aussagen der Entscheidung vorgestellt werden. Zunächst bejaht das BVerfG einen Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, obwohl nicht unmittelbar in dieses Grundrecht eingegriffen wird (Rn. 112 ff.).
/2 Die Entscheidung ist um einiges interessanter als die andere, weil diese Kammer nicht davon ausgeht, dass es ihr nicht zusteht die Entscheidung des Verordnungsgebers zu überprüfen. Sie überprüft diese und kommt dann zu dem Ergebnis, dass diese vertretbar war.
/3 Zunächst ist offensichtlich, dass die Normen so schwammig formuliert sind, dass diese ein gehöriges Maß an eigener Interpretation den Gerichten abverlangen (S. 10).
/1 Das OVG Lüneburg hat die Entscheidung des VG Osnabrück betreffend der Dauer des #Genesenenstatus kassiert (Beschl. v. 18.03.2022 - 14 ME 153/22 -, rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal…). Der Beschluss der VG Osnabrück war der erste stattgebende Beschluss in der Sache.
/2 Hier ist eine Zusammenfassung des Beschlusses des VG Osnabrück.
/2 Zunächst behauptet die AfD es würde ein Zweiklassensystem entstehen, weil einige Ihrer Abgeordnete auf der Tribüne Platz nehmen müssen. Dem folgt das BVerfG nicht. Da alle Abgeordneten gleichermaßen von der Regelung betroffen sind (Rn. 46)
/3 Dann bemängelt die AfD in nicht nachvollziehbarer Weise eine Fehlinterpretationen verfassungsrechtlicher Maßstäbe durch die Regelung (Rn. 52).