Das @BVerfG hat kurz vor Weihnachten die Geschäftsverteilung fürs Jahr 2023 beschlossen und nun online gestellt. Diesmal gibt es eine gravierende Änderung: Die Zuständigkeit für einen wichtigen Rechtsbereich wechselt vom Zweiten Senat in den Ersten Senat. Sogar rückwirkend. 🧵 1/
Die Änderung betrifft Ermittlungsmaßnahmen in Strafverfahren, also Wohnungsdurchsuchung, Telekommunikations-Überwachung, #Staatstrojaner, Verkehrsdaten/#Vorratsdatenspeicherung, Beschlagnahmung und Auswertung von Mobilfunkgeräten etc. 2/
Bisher war hierfür der Zweite Senat zuständig, der traditionell den Ruf hat, konservativer als der eher liberale Erste Senat zu sein. Insofern könnten sich also Bürgerrechtler und Strafverteidiger Hoffnung machen, künftig noch bessere Chancen in Karlsruhe zu haben. 3/
Solche Zuständigkeitswechsel fanden in den letzten Jahren allenfalls vorübergehend statt, um die Überlastung eines Senats zu vermeiden. Der jetzige Wechsel ist hingegen auf Dauer angelegt. Es werden sogar bereits anhängige Verfahren rückwirkend dem Ersten Senat übertragen. 4/
Dies dürfte z. B. die Verfassungsbeschwerden gegen den #Staatstrojaner zur Strafverfolgung betreffen, die von @freiheitsrechte, @digitalcourage, @TeleTrusT_Info, @fdpbt u. a. eingereicht wurden. Über sie wird wohl nicht der Zweite Senat, sondern der Erste Senat entscheiden. 5/
Im Zweiten Senat war bisher Sybille Kessal-Wulf als Berichterstatterin für das Staatstrojaner-Verfahren zuständig. Sie war von der CDU/CSU als Richterin vorgeschlagen worden und bleibt zuständig für das materielle Strafrecht, also z. B. für die Verfahren zum Cannabis-Verbot. 6/
Wenn es um Maßnahmen in konkreten Strafverfahren ging, war bisher Christine Langenfeld (ebenfalls Vorschlag CDU/CSU) Berichterstatterin. Sie ist auch für Parlamentsrecht zuständig und muss u. a. die Flut von Organklagen der AfD abarbeiten. Evtl. auch ein Grund für den Wechsel. 7/
Im Ersten Senat wird die ehemalige BGH-Ermittlungsrichterin Yvonne Ott alleinige Berichterstatterin sein. Sie kam 2016 auf SPD-Vorschlag ans BVerfG und übernimmt von der ausscheidenden Richterin Britz auch die Zuständigkeit für Datenschutz im Landesrecht (Polizeigesetze etc.) 8/
Der Wechsel der Zuständigkeit zum Ersten Senat erscheint auch deshalb sinnvoll, weil es zwischen den Senaten in der Vergangenheit Streit darüber gab. So musste 2008 der sog. 6er-Ausschuss (je 3 Richter pro Senat) entscheiden, wer für die #Vorratsdatenspeicherung zuständig ist. 9/
Während der Erste Senat die #Vorratsdatenspeicherung in seinem Zuständigkeitsbereich zunächst aussetzte und dann für verfassungswidrig erklärte, lehnte der Zweite Senat die Eilanträge gegen die StPO-Regelungen ab und hatte auch im Hauptsacheverfahren nichts auszusetzen. 10/
Der Zweite Senat ließ selbst extrem grundrechtsintensive digitale Ermittlungsmaßnahmen wie das Sicherstellen und Auswerten von Smartphones, Mail-Postfächern und Cloud-Speichern auf Grundlage des seit über 100 Jahren fast unveränderten § 94 StPO zu. /11
Der Erste Senat verwirft hingegen immer wieder Gesetze, die dem Staat keine engen und detaillierten Grenzen seiner Befugnisse ziehen. Man darf gespannt sein, ob er diese Linie künftig auch in StPO-Verfahren durchzieht. Falls ja, wird der Gesetzgeber einiges zu tun bekommen. /12
Bei den sieben Altverfahren, die in der Zuständigkeit des Zweiten Senats verbleiben, handelt es sich übrigens um Verfassungsbeschwerden gegen Maßnahmen aus konkreten Strafverfahren, z. B. gegen eine Razzia wegen #Adbusting eines Bundeswehr-Plakats: lto.de/recht/hintergr… /13
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Die Fans passen ehrlich gesagt nur so halb in diese Aufzählung, weil es beim Fußball dann doch Situationen gibt, wo robuste Sicherheitskräfte wohl unvermeidlich sind. Auch wenn das im Konkreten oft übertrieben wird.
Der Rest ist sehr richtig und wichtig.
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Ist mit den beamten- und dienstrechtlichen Regelungen das Mitbestimmungsrecht der Personalvertretungen gemeint? Mitbestimmung finde ich wichtig, der Primat demokratisch legitimierter Entscheidungen der Politik ist aber natürlich zu respektieren.