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Ich finde es gut, dass aus Anlass der letzten #hartaberfair-Sendung kontrovers über politische Talkshows diskutiert wird. Ich versuche mit diesem Thread Aufmerksamkeit auf den problematischen Rahmen des Talkshowgeschehens zu richten, der Ausgaben wie diese hervorbringt. (1/14)
Zuallererst: es ist schon merkwürdig, wie sich das Format bis heute entwickelt hat. Seine Ursprünge hat es im ›kontradiktorischen Gespräch‹ des Weimarer Radio - 1927 eine Insel des demokratischen Pluralismus - und im ›Gesprächsfernsehen‹ der Nachkriegszeit.
Die Alliierten sahen im Lernen des Diskutierens einen wichtigen Schritt auf dem Weg der Demokratisierung und so sprossen etwa ›Gespräche über den Schlagbaum‹ (französischer Sektor) aus dem Boden. In der Bundesrepublik machte sich »Diskussionslust« (Verheyen) breit.
Die frühen Diskussionssendungen waren enorm beliebt, weil man quasi live am Fluss der politischen Gedanken teilhaben konnte. Erst ab den 80ern verschob sich etwas: die Politik wurde komplexer, Quote und Konflikt wurden wichtiger, das Privatfernsehen machte Konkurrenz.
Heute haben wir ein Format, das mit einer enormen Themenverengung arbeitet (pro Jahr gibt es 1 bis 2 Themen, die alles dominieren), ohne diese Spezialisierung zur rundumblickenden Analyse zu nutzen (es werden dazu einfach immer ähnliche Ausgaben gedreht).
Statt sich dieser Verengung bewusst zu sein, wähnt man sich in den Redaktionsstuben auf dem Scheitelpunkt des Volkswillens, versucht die nationale Debatte zu ›spiegeln‹. Das ist aber weder möglich noch sinnvoll und folgt rhetorisch einer populistischen Struktur.
Ein Beispiel für die Verengung. Europa kommt kaum vor (dschn. 4 Sendungen p.a.). Wenn, dann nur im Krisenmodus (»Scheitert der Euro?«) und nur von Außen, aus Regierungs- bzw. Exekutivperspektive (»wollen die Griechen unser Geld?«). Von Parlament und Unionsbürgerschaft keine Spur.
Aber auch personell ist der Rahmen verengt. Betrachtet man die Listen der meisteingeladenen Gäste, findet man immer dieselben Personen (30 auf 10 Jahre). Eine Art Berliner Talkshow-WG, die die gesamte Politik repräsentieren soll (allein die Vorstände von Union+SPD sind größer)
Internationale Gäste? Wenn dann als Sündenbock (Varoufakis bei Jauch) oder Erklärbär der Ausländer (Brexit-Journalisten, Slowenien-Diplomat). Ist das in einem gemeinsamen politischen System wie der EU noch sinnvoll? Müssten wir nicht mit etwa Franzosen gemeinsam diskutieren?
Hinzu kommt die strenge Rollenlogik, in der die Gäste zu spielen haben (»Ein Ja, ein Nein, ein Ja, Aber, ein Nein, Aber«). Ein System, das die Diskussionen eigentlich schon im Vornherein beendet. Abweichungen ausgeschlossen. Wer nicht reinpasst, wird nicht eingeladen.
Darin fühlte sich die AfD wohl. Sie inszenierte sich als Opfer, stilisierte die anderen Politiker zu einem Einheitsblock, stimmte der populistischen Grundvermutung (»Politik trifft auf Wirklichkeit«) jeder Talkshows eifrig zu und nutzte Themen- und Personalverengung für sich.
Und die Krönung? Mit »Unterhaltung« (die Standard-Verteidigung) hat das alles nichts zu tun. Zuschauer schauen Talkshows informationszentriert, mit kaum einer affektiven Regung. Sie erwarten Meinungsbildung, von mitreißender oder blickweitender Show und Rhetorik keine Spur.
Das ist mit Blick auf die Geschichte und Potentiale des ideell wunderbar demokratischen Formats umso trauriger. Um es richtig zu nutzen, müsste man sich nur von den tausend selbstauferlegten Fesseln befreien, die man in Köln irrtümlicherweise für den Volkswillen hält.
So, genug ausgeplaudert. Man sollte ja nicht den ganzen Buchinhalt twittern. Wer zu Formatgeschichte, Themenverengung, Rollenlogik, TINA- und AfD-Rhetorik mehr lesen will, sollte mal bei @KlettCottaTweet reinschauen (14/14)
klett-cotta.de/buch/Tropen-Sa…
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