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"Staatsverschuldung belastet kommende Generationen" - dieses altbekannte Argument wird im Zuge der Diskussion um die Corona-Schulden auf jeden Fall kommen.

Aber es ist ökonomisch falsch und sollte deshalb aus dem politischen Raum verschwinden. Hierzu ein kurzer Thread.
Der Grund ist einfach: zu jeder Staatsschuld gehört ein Vermögenstitel.

Wenn der Staat sich verschuldet, verkauft er eine Staatsanleihe. Aber dazu gibt es halt auch einen Käufer, der sie erworben hat.

Die Schulden werden vererbt, die Vermögenstitel auch. /2
Staatsverschuldung ist also keine Lastenverschiebung *zwischen* Generationen, sondern *innerhalb* einer Generation: vom Steuerzahler (der für Zinsen aufkommen muss) an die Eigentümer der Staatsanleihen (die Zinsen kassieren).

Beide sind Mitglieder derselben Generation. /3
Eigentlich sind das einfache Zusammenhänge.

Aber die Reaktionen auf meinen @handelsblatt Beitrag zu den Corona-Schulden haben mir gezeigt, dass es weiterhin großen Informationsbedarf zu dem Thema gibt.
Daher noch ein paar weitere kurze Anmerkungen. /4

handelsblatt.com/meinung/gastbe…
Eine Belastung kommender Generationen durch Staatsverschuldung entsteht insoweit, dass deren fiskalischer Handlungsspielraum durch die Zinsverpflichtungen eingeschränkt wird.

Heute gehen nur rund 5% des Bundeshaushalts für Zinsen drauf. Aber es waren schon mal >16%. /5
Bei einem hohen Zinsanteil kann der Bund also nicht so einfach Geld für andere Sachen ausgeben. Bzw., er müsste dann entweder Steuern erhöhen oder die Verschuldung noch weiter hochfahren, wodurch dann eine Schuldenspirale droht.

Das wären schlimme Aussichten... /6
...aber all das hat nichts mit inter-generationaler Verschiebung zu tun. Die Zinsverpflichtung, egal wie hoch, besteht ja weiterhin ggü Mitgliedern der aktuellen Generation.

Es ist und bleibt ein Verteilungsproblem im hier und jetzt: tax payer -> bond holder. /7
Die präzisen Verteilungseffekte von öffentlicher Verschuldung sind leider extrem kompliziert.

Wer wie viel Steuern zahlt, ist noch halbwegs einfach zu bestimmen. Aber wem gehören die Staatsanleihen und wer bezieht somit die Zinsen? Das lässt sich leider nur grob abschätzen. /8
Hier ist ein sehr guter Thread von @tobyarbo der sich das genauer angeschaut hat. Spoiler: extrem komplex!

Viele Banken oder Versicherungen halten Staatsanleihen. Doch wessen Guthaben, Lebensvers-Policen etc letztlich dahinter stehen, ist unklar. /9

Besonders kompliziert wird es, weil viele heimische Staatsanleihen von Ausländern gehalten werden.

Hier entstehen also Zahlugsverpflichtungen ggü Leuten, deren Kapitaleinkommen der Staat nicht so einfach sekundär wieder besteuern könnte, wenn er es wollte. /10
Relativ einfach ist es nur bei den Anleihen, die von der Zentralbank gehalten werden. Dorthin abgeführte Zinsen fließen als ZB-Gewinn wieder zurück

Da gilt linke Tasche, rechte Tasche -> wir leihen uns das Geld selber (bzw. "drucken" es). /11
Heißt das nun, dass Staatsverschuldung völlig unproblematisch ist und wir uns deshalb (wegen Corona oder sonstwas) einfach über beide Ohren verschulden können als wenn es kein morgen mehr gibt?

NEIN - das ist nicht der Punkt meines Threads! /12
Es gibt viele offene Fragen über die es sich zu diskutieren lohnt, zB:
- wie wird die künftige Zinsentwicklung sein?
- spielt die Schuldenquote hierfür eine Rolle?
- oder Demographie?
- können Zentralbanken niedrige Zinsen garantieren (wie #MMT sagt) oder hat das Nebenwirkungen?
Der Punkt meines Threads ist anders & ganz einfach: bitte sinnvolle ökonomische Argumente benutzen!

Wer vor Staatsschulden warnen möchte - sei es allgemein oder in Bezug auf Corona - der soll das gerne tun. Aber ohne die gedankenlose Binse "Belastung kommender Generationen" /END
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