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Habe in den letzten Wochen mit Lehrenden und Personen aus dem Wissenschaftsmanagement unterschiedlicher Unis über ein weiteres #Onlinesemester gesprochen. Kein repräsentative Umfrage, aber ein paar sehr einhellige Meinungen. Thread 👇
Erstmal die schlechten Nachrichten: das #Onlinesemester hat Kapazitäten gefressen - bei Lehrenden, Studierenden und im Management. Ist für mich schwer zu sagen, wer krasser betroffen war - wir wurden unterschiedlich getroffen. Meine Tendenz ist: die Studis traf es am Heftigsten.
Das liegt vor allem an der wirtschaftlichen Lage. Für viele Studierende die jobben ist von einem Tag auf den anderen ohne Aussicht auf Perspektive die Finanzierung weggefallen. Hinzu kommt, dass Kurse teilweise stark unterschiedlich aufgebaut wurden. Flexibilität an allen Enden.
In der jetzigen Situation ist bei vielen Studierenden die Unsicherheit wie es weitergeht ein großes Problem. Studierende wollen teilweise aus wirtschaftlichen Gründen ihr Zimmer kündigen, wissen aber nicht, wie präsent sie sein müssen.
In den Veranstaltungen herrscht ebenfalls Stress. Für die Studierenden wie gesagt v.a. durch unterschiedliche Lehrmodelle, für die Lehrenden v.a. aufgrund von Chaos in der Planung (fehlende Gesamtstrategie) und die daraus resultierende Mehrbelastung in der Planung der Lehre.
Hier kann man zumindest positiv entnehmen, dass es im kommenden Semester Gewöhnungseffekte geben kann. Unter dem Strich ist die Umstellung aber noch (längst nicht) vollzogen. Wie auch? Wir erleben hier eine ruckartige Umstellung der Didaktik, teilweise stark autodidaktisch.
Die Technik bereitet allen Beteiligten immer wieder Probleme. Ich habe da berufsbedingt gemischte Gefühle: Anwender*innenprobleme, die auf fehlende Kenntnisse zurückgehen mischen sich in der Wahrnehmung mit technischen Problemen.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die ITs ganz gut vorbereitet waren. Woran es mE an vielen Stellen hakt, ist die Integration der Systeme. Es gibt augenscheinlich Fachbereiche, die es nicht hinbekommen haben Onlinelehre zu ermöglichen & es bei Arbeitsaufträgen belassen haben.
Im Wissenschaftsmanagement ist die #COVID19 bedingte zusätzliche Arbeitsbelastung mE durchschnittlich am Geringsten, aber hier gibt es starke Differenzen.
Die Bewirtschaftung der Räumlichkeiten sind zunächst naturbedingt bei quasi 0 gelandet, was dazu geführt hat, dass viele Tätigkeiten, die sonst B- oder C-Priorität hatten, angegangen werden konnten. Andererseits sind lokale Prüfungsszenarios eine Herausforderung.
Vermutlich am stärksten betroffen sind die Einheiten, die sich mit Studium und Lehre beschäftigen, da sie parallel und in Zusammenarbeit mit den Fakultäten die Lehrszenarios erarbeiten und dabei teilweise ungewohnte Wege beschreiten müssen.
Ich höre von allen Unis, dass sich die Arbeit mit den bzw. einigen Fakultäten schwer gestaltet - das liegt mMn nicht unbedingt an den Fakultäten selbst, sondern an einem universitären System, in dem nicht immer klar ist, wer wo die Vorgaben macht.
Es gibt hier auch sehr unterschiedliche Anforderungen, z.B. Studiengänge, die Arbeit in Labors oder Feldarbeiten erfordern. Hier war teilweise über Wochen keine Lösungsfindung möglich, wo andere Studiengänge, die darauf nicht angewiesen waren, schon operativ sein konnten.
Ich muss mal zu den positiven Punkten kommen, denn obwohl das Feedback von allen Personen, mit denen ich gesprochen habe, durchwachsen war, gab es eigentlich in allen Rückmeldung auch viel Zuversicht.
Der Grund liegt dabei vermutlich in der Dynamik, die die aktuelle Situation ausgelöst hat. Es bröckeln an allen Ecken und Enden Strukturen und eben nicht nur zum Negativen. Im Wissenschaftsmanagement ist das beispielsweise sehr sichtbar an Präsenzregeln.
Telearbeit war über Jahre in der Verwaltung vieler Unis ein Politikum & die Einrichtung mit hohem verwaltungstechnischen Aufwand verbunden. Ich würde auch behaupten, dass daneben Misstrauen eine große Rolle spielte. Das Semester hat Vertrauen in die Tragfähigkeit aufgebaut.
Bei den Lehrenden ist die aktuelle Mehrbelastung mE das Potenzial der zukünftigen Arbeit: die neuen Modi in denen Lehrveranstaltungen aktuell abgehalten wurden, werden langfristig eine Transformation der Lehre mit sich ziehen.
Das heißt nicht, dass die #Onlinelehre beibehalten wird - der Umstand, dass ein Wechsel im Lehrmodell möglich war, ist aus meiner Sicht das eigentliche transformative Momentum. Anlässe die Lehre anders und flexibler zu gestalten gibt es - nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft.
Während sich die Universitätsverwaltungen da natürlich laufend eigene Gedanken machen, werden Studierendenausschüsse mMn in Zukunft stärker als zuvor Einfluss auf die Entwicklung ihrer Universitäten nehmen können, einfach weil man auf Zusammenarbeit angewiesen ist.
Digitale Medien werden ebenfalls erheblich an Bedeutung gewinnen. War die Lehre an vielen Faks bereits stark digital organisiert, werden die Medien die Lehre in Zukunft stärker prägen und nicht bloß helfende Mittel zum Zweck sein.
Die Universitäten können durch #Onlinelehre auch personalpolitisch profitieren, weil es einfacher ist Blockseminare an anderen Standorten durchzuführen wenn lokale Präsenz nicht oder nicht mehr so stark erforderlich ist.
Ein Bereich, den ich aktuell sehr spannend finde, sind transnationale univ Zusammenschlüsse wie die #EuropeanUniversities Initiative der EU. Das Modell war bereits zuvor auf Kooperation in der Lehre ausgerichtet. Unter #COVID19 erhält es einen neuen Bezug und neue Perspektiven.
Dass Universitäten Kurse in mehreren Ländern gleichzeitig anbieten und die Kurse vollständig gemischt sind, war vorher eine Vision. Dafür ist noch viel Fußarbeit erforderlich, aber gedanklich ist das schon viel mehr als nur eine Vision.
...was mich zurückbringt zu der Arbeit, die noch gemacht werden muss...
Zunächst ist es extrem wichtig, nicht auf einen Selbstläufer #Onlinelehre zu setzen. Das Personal und die Studierenden sind am Limit. Wir brauchen Spielräume, Flexibilitäten und Sicherheiten - insbesondere was Studierende und zeitlich befristetes Personal betrifft!
Die problematischen Bedingungen im wissenschaftlichen Mittelbau sind seit Jahren bekannt. Es arbeiten immer noch gut 90% des wiss. Personals auf zeitlich befristeten Stellen. Was für einige gut ist, bedeutet für andere #FrististFrust. Gerade jetzt gehen diese Personen ans Limit.
Es ist vollkommen verständlich, dass sich die universitäre Selbstverwaltung gerade auf Schadensbegrenzung beschränkt, aber ebenso wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen muss die jetzige Krise genutzt werden notwendige Systemreformen durchzuführen.
Es ist auch nicht so, dass wir darauf nicht vorbereitet sind. Verbände wie @NGA_Wiss und @gew_bund beschäftigen sich schon seit langem mit Fragen der strukturellen Änderung. Die Universitäten sind gerade jetzt auf ihr Personal angewiesen - mehr Mitsprache ist erforderlich.
Die Dynamik, die momentan an Universitäten für einen positiven Wandel und ein erfolgreiches Krisenmanagement führt, sollte daher von allen Beteiligten genutzt werden. Nie waren die Mehrkosten für strukturellen Wandel so gering wie jetzt, da ohnehin umstrukturiert werden muss.
Für das kommende Semester wünsche ich mir weiterhin gute Gespräche, kreative Ideen und gegenseitigen Respekt für die Anstrengungen, die wir alle in kauf nehmen, um unsere Universitäten nicht nur am Laufen zu halten, sondern sie auch nachhaltig und zukunftsorientiert zu entwickeln
Hängt gerne eure Erfahrungsthreads hier dran. Der hier von @AmreiBahr deckt sich sehr gut mit dem was ich meinen Gesprächen entnommen und selbst erfahren habe
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