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11 Oct, 43 tweets, 11 min read
Verschwörungsideologie + Coronaleugnung: Naidoo, Hildmann, Wendler - was fällt uns auf? Es sind so gut wie immer: Männer.

Corona zeigt auch die Krise von fragiler Männlichkeit, traditionellen Männlichkeitsbildern und (Achtung, Reizwort) des Patriarchats.

(Viel zu langer) Thread
Eigentlich naheliegend, mitten in einer Pandemie & einer globalen Rezession so etwas wie Verunsicherung oder sogar Angst zu empfinden. Aber in einem traditionell männlich gedachten Rollenbild gilt das als schwach - & Schwäche ist ein wirklich schwieriges Konzept für viele Männer.
Wir befinden uns, höchstwahrscheinlich wegen einer Fledermaus auf einem Markt irgendwo auf einem anderen Kontinent, in einer globalen Ausnahmesituation, wie sie keine lebende Person je erlebt hat. Das heißt: Keine Blaupausen, keine Sicherheiten, keine einfachen Antworten.
Womöglich zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren nun einige (Männer) ein Gefühl, mit dem sie offenkundig nicht umzugehen wissen: Ohnmacht. Und die Reaktionen auf dieses Ohnmachtsgefühl sind wirklich spannend.
Nicht nur männliche Prominente, sondern auch männliche Politiker sind diejenigen, die durch mangelnde Vorsicht, Selbstüber- und Fehleinschätzungen, teilweise Corona-”Skepsis” oder sogar Leugnung (und damit verbundener Wissenschaftsfeindlichkeit) auffallen:
Zum Beispiel FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der dem RKI öffentlich politisch motivierte Zahlen vorwirft und Menschen, die Angst vor einer Infektion haben, rät, einfach zu Hause zu bleiben:

zB. Armin Laschet, d. sich ggü. Markus Söder zu profilieren versuchte mit Aussagen wie „Mir sagen nicht Virologen, welche Entscheidungen ich zu treffen habe“, damit komplett baden ging & nun nicht nur schlechte Umfragewerte, sondern auch hohe Infektionszahlen zu verantworten hat.
(Söder, der den komplett anderen Weg gegangen ist - mit zur Schau gestellter Vorsicht und Fotos vor Klopapier + Atemmasken, genießt gerade die besten Umfragewerte seiner Karriere - trotzdem ist auch seine Krisenkommunikation für Männer exemplarisch, dazu gleich nochmal)
Zum Beispiel Friedrich Merz, der zu Beginn der Pandemie, im Gegensatz zu vielen anderen Politiker:innen, noch weitgehend unbesorgt durch das Land reiste, viele Menschen traf und schnell an Corona erkrankte. Spannend dabei:
Merz twitterte an Tag 9 ein Foto von sich, das ihn “zu Hause arbeitsfähig” zeigte. Das ist ein Schlüsselelement, das vor allem männliche Politiker immer wieder bedienen: Stärke und Unverwundbarkeit zeigen - so ein bisschen Corona haut mich nicht um.

Ähnlich zu beobachten bei den ebenfalls an Corona erkrankten Johnson (weniger erfolgreich), Bolsonaro (erfolgreich) und natürlich Trump, der die zur Schau gestellte Unverwundbarkeit mit dem Video seiner Rückkehr ins Weiße Haus ins absolut Groteske trieb:

(Bevor jemand fragt: Nein ich setze keinen der oben genannten Politiker mit Johnson, Bolsonaro oder Trump gleich, sondern will nur zeigen, welche Muster bestimmten Entscheidungen zugrunde liegen könnten)
Auch viele männliche Journalisten zeigen ähnliches Verhalten: Einfach(st)e Antworten, als gesunde Skepsis getarnte Faktenleugnung bzw. Tatsachenverkürzung bis hin zu demokratieschädigendem Populismus.
Dazu hier nur exemplarisch Screenshots von Reichelt, Poschardt, Augstein und Steingart - die Liste ließe sich lang erweitern.
Diese Ohnmacht und das Gefühl, keine bzw. nur unzureichende Antworten zu haben, verträgt sich nicht mit toxischer Männlichkeit.
Das ist (u.a.) auch der Grund, warum @c_drosten so ein rotes Tuch für viele Männer ist: Er korrigiert sich, räumt Unsicherheit & Unkenntnis ein und versucht nicht, Unfehlbarkeit zu suggerieren.
(Goes without saying: Das ist natürlich auch der Grund, warum kluge Frauen so oft schlimmen Anfeindungen ausgesetzt sind, man denke nur an @maithi_nk, @Natascha_Strobl, @Luisamneubauer uva.)
Ohnmacht & Unsicherheit passen nicht in das Selbstverständnis vieler Männer. Und da viele (v.a. weiße, heterosexuelle Cis-) Männer die Privilegien, die sie mit Geburt mit auf den Weg bekommen haben, noch nie wirklich reflektiert haben, machen sie gerade 1 schmerzhafte Erfahrung:
Ihnen wird etwas verwehrt, das sie haben wollen:

Sei das der Fußball, die Reise nach Mallorca, das Bier in der Kneipe: All das klingt erst einmal verschmerzbar -
aber für Männer, die ernsthafte ihre Freiheit durch das Masketragen in der U-Bahn oder das Tempolimit auf Autobahnen beschnitten sehen, ist das eine radikale Erfahrung.
Eine Erfahrung, die jemand mit dem Nachnamen “Arslan” bei der Wohnungssuche, die eine Frau Ende 20 bei der Jobsuche oder eine Schwarze Person an der Clubtür potentiell andauernd machen: Jemand sagt “Das geht nicht” und man kann nichts dagegen tun.
(Diese Ohnmachtserfahrung von den viel beschriebenen “alten weißen Männern” sehen wir natürlich auch deutlich beim um-sich-schlagen zu allem, wohinter sie “Identitätspolitik” vermuten. Schaut euch bitte an, wie @ebonyplusirony dazu ganze Redaktionen rasiert)
Sobald sich also ein Ohnmachtsgefühl einstellt, gehen viele Männer zum Gegenschlag über - “ich bin schlauer” (Kubicki), “ich lasse mir nichts sagen” (Laschet), “ist doch alles ganz einfach” (Reichelt) oder, das Extrem: “das ist alles gelogen” (Wendler, Hildmann usw.)
Für Männer sind Situationen, in der sie keine Antwort haben, schwer erträglich: (Anekdotische) Beweise?
Macht mal mit Männern ein Feuer. Vier Männer haben fünf Expertenmeinungen, wie es am besten geht.

Schonmal im Fitnessstudio von einer Frau darauf hingewiesen worden, wie die Übung EIGENTLICH geht? Ich nicht.
So wie wir also während einer WM Millionen Fußballtrainer haben, die es alle besser können als Jogi Löw, jetzt haben wir Millionen Virologen, die Christian Drosten für komplett unfähig halten.
Nur ist in puncto Corona dieses Infragestellen von wissenschaftlicher Kompetenz, während man selber keinerlei Expertise aufzuweisen hat, wirklich gefährlich.
Das Phänomen tritt mMn während Corona in neuer Qualität hervor, ist aber natürlich nicht ganz neu, s. diesen NYT-Artikel, der einen Zusammenhang zwischen männlichem Verhalten während Corona und anderen Sachverhalten darstellt:

Über das Versagen von Bolsonaro, Trump, Johnson und anderen Populisten und ob das etwas mit toxischer Männlichkeit zu tun hat, gibt es bereits einige Artikel:

Aber auch die Frage, ob weibliche Führungskräfte die Coronakrise besser managen, wurde bereits zu beleuchten versucht:

And now, Plot Twist: Feminismus will, entgegen der Erwartung vieler Männer, diese weder unterjochen noch benachteiligen. Im Gegenteil ist eine feministische Welt nämlich eine, in der auch Männer von diesen dysfunktionalen Verhaltensmustern befreit (ja, befreit) werden.
Patriarchalen Strukturen benachteiligen zwar (natürlich) in erster Linie alle Menschen, die keine Cis-Männer sind. Aber auch Männer profitieren von einer Welt, die solche Strukturen hinterfragt, aufbricht und durch bessere ersetzt.
Auf die Gedanken hinter diesem langen Thread bin ich oft nicht von allein gekommen - wo ich es noch wusste, habe ich gekennzeichnet, woher sie stammen. Von wem ich dazu generell viel lese, lerne und wem ihr auch unbedingt folgen solltet, hier:
(Oh Gott es tut mir leid, wie lang dieses Ding geworden ist. Diese absolute Unfähigkeit sich kurz zu fassen muss auch mal gecancelt werden)
Nächstes Mal spreche ich vorher mit @jagodamarinic, die bringt die Dinge schneller auf den Punkt als ich ❤️

Bin leider mit meinem Thread direkt aufgeflogen:

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11 Oct
Im @szmagazin erklärt @sherlockhollmer, warum Begriffe wie "Power-" oder "Karrierefrau" (die u.U. sogar gut gemeint sind) eher schaden als helfen.

Fantastischer Artikel, bitte lesen!

sz-magazin.sueddeutsche.de/abschiedskolum…
"Der Begriff »Powerfrau« suggeriert, dass sie Power hat, trotz ihres Geschlechts. Die »Karrierefrau« macht Karriere, obwohl sie eine Frau ist. [..]. Sie steigt nicht auf, weil sie gut ist, sondern weil sie sich rücksichtslos erkämpft, was ihr eigentlich nicht zusteht."
"Von der Powerfrau gibt es [..] kein männliches Gegenstück. Wozu auch? Man muss nur betonen, was nicht selbstverständlich oder allgemeingültig ist, das, was von der Norm abweicht. Und die Norm ist eine Gesellschaft, die gelernt hat, dass der Mann von Natur aus Höheres anstrebt,
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26 Sep
Man führt sich viel zu selten vor Augen, wie absolut niederschmetternd und wirklich GROTESK die Situation ist, in der wir uns in Sachen #Klimakrise befinden - Thread.
So gut wie alle ernstzunehmenden Klimawissenschaftler*innen auf der ganzen Welt warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen der Klimakrise, die - wenn nicht gebremst - das Ende der menschlichen Zivilisation wie wir sie kennen bedeuten wird.
Seit Jahrzehnten kann sich weder die internationale Staatengemeinschaft noch die Europäische Union oder die Bundesregierung zu Maßnahmen durchringen, die auch nur IM ANSATZ ausreichend wären, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern.
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23 Sep
Doro Bär verlässt Ludwig-Erhard-Stiftung aus Protest gegen @RolandTichy & den sexistischen Ausfall gegen @SawsanChebli.

Wieder ist es eine Frau, die Rückgrat zeigt, wenn es darauf ankommt.

Bei allen politischen Differenzen: Bravo @DoroBaer, meine Hochachtung haben Sie.
Sowas passiert, wenn jemand öffentlich Haltung und überparteiliche Solidarität zeigt und Konsequenzen zieht. Und nur dann.

Die mehr als 40 Männer in der Ludwig Erhard Stiftung können bei @DoroBaer schauen, wie das geht.

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20 Sep
Zur Situation bzgl. @LindaTeuteberg auf dem #FDPBPT bei @c_lindner|s Rede wurde glaube ich das Meiste schon gesagt.

Weg von diesem konkreten Vorfall sind es aber genau solche Situation, in die Männer Frauen immer und immer wieder bringen und die unendlich unfair sind:
1. Mann überschreitet eine Grenze

2. Frau hat zwei Optionen: a) sie schweigt / lächelt / sieht professionell darüber hinweg oder b) sie schreitet ein.

a) führt im Zweifelsfall dazu, dass Leute sagen, sie lässt sich alles gefallen, setzt sich nicht durch, ist nicht stark o.ä.
b) führt im Zweifelsfall dazu, dass Leute (bzw.: Männer) sagen, sie sei "schwierig / zickig / hysterisch" und macht aus einer Mücke einen Elefanten.

Dann Täter-Opfer-Umkehr: "Man weiß gar nicht mehr, was man sagen darf, wenn es immer sofort so hochkocht".

Zack, Frau ist Schuld.
Read 9 tweets
18 Sep
Am 25.09. ruft @FridayForFuture unter #KeinGradWeiter zum nächsten großen Klimastreik auf.

Heute haben die Ost-Ministerpräsident*innen sich für die Ölpipeline #NordStream2 ausgesprochen.

Warum das bemerkenswert ist? Thread.

spiegel.de/politik/deutsc…
.@FFF_Berlin führt hier aus, was NordStream2 bedeutet und warum es das genaue Gegenteil von Klimaschutz ist:

Nun haben sich einige der besagten Ministerpräsident*innen in der Vergangenheit FFF gegenüber sehr aufgeschlossen präsentiert. Das jetzige Vorgehen zeigt aber leider, dass das nur Lippenbekenntnisse waren.

Wenn es dann um Politik geht, spielt Klimaschutz leider keine Rolle mehr.
Read 12 tweets
17 Sep
Zwei Takte zu dem immer wiederkehrenden konservativen / "liberalen" Geraune von "Ideologie", wenn es um progressive Politik geht. Thread.
Dieser Talking Point (gerne in Verbindung mit Wendungen wie "Schaum vor dem Mund") hat zwei Ziele:

#1 Diskreditierung des Gegenüber (kann nicht rational denken, darum nicht ernstzunehmen)

#2 Zementierung des Status Quo

Letzteres würde ich gerne näher ausführen:
Konservative benutzen den Vorwurf "Ideologie" immer dann, wenn etwas verändert werden soll, was sie nicht verändern wollen.

Sei das aus wirtschaftlichen Eigeninteressen, Furcht um Wählerstimmen oder einfach einer fehlenden Vision für & Angst vor Zukunft + Wandel.
Read 33 tweets

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