Thread by @valentinhacken_

Heute ist Tag 20 im #HalleProzess. Das Gericht lehnte zunächst, wie absehbar, den Antrag des Angeklagten ab, das Verfahren auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen. Bis auf einen Anwalt hielt das niemand für aussichtsreich.

https://twitter.com/valentinhacken_/status/1323991920444661761

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Das Gericht vernimmt nun als Zeugen Benjamin Steinitz, Geschäftsführer von @Report_Antisem, als Sachverständigen. Er führt aus, dass RIAS auf der Grundlage der @TheIHRA-Antisemitismus-Definition arbeite. Nach dem Anschlag in Halle habe RIAS 14 leitfadengestützte 2/ #HalleProzess

Interviews in Sachsen-Anhalt geführt, sowie spätere Nachbefragungen. Daraus hat @Report_Antisem eine "Problembeschreibung Antisemitismus Sachsen-Anhalt" erarbeitet, die hier online verfügbar ist: report-antisemitism.de/documents/2020… 3/ #HalleProzess

Der Zeuge betont, dass sich sog. Botschaftstaten anders auswirken, als allgemeine Kriminalität. Sie erschütterten die Gewissheit, sich im Alltag sicher bewegen zu können. Auch wenn die Tat nur bestimmte Personen betreffe, wirke sie in einer ganzen Gruppe nach. 4/ #HalleProzess

Der gesellschaftliche Umgang mit solchen antisemitischen Botschaftstaten sei ein wichtiger Indikator für die Verfasstheit der Demokratie, so der Zeuge. Zuvor sprach er von immer wieder realem Versagen staatlicher Behörden im Umgang mit antisemitischen Taten. 5/ #HalleProzess

Alle von @Report_Antisem in Sachsen-Anhalt nach dem Anschlag Befragten hätten nach dem Anschlag angegeben, Antisemitismus im Alltag zu erleben. Dabei seien der post-Shoah- und der israelbezogene Antisemitismus die häufigsten Formen. 6/ #HalleProzess

Dieser, den Alltag jüdischer Menschen prägende Antisemitismus, so der Zeuge, führe zu einem konflikthaften Prozess – die Aushandlung zwischen der Sichtbarkeit der eigenen, jüdischen Identität und den Notwendigkeiten für Sicherheit, Schutz vor Konfrontation. 7/ #HalleProzess

Für jüdische Eltern, so der Zeuge, stelle sich so auch in Sachsen-Anhalt die Frage, wie Kinder in ihrer jüdischen Identität erzogen & gestärkt werden können, wenn ihnen gleichzeitig antisemitische Anfeindung, Beleidigung, Bedrohung, Gewalt drohe. 8/ #HalleProzess

Die Erfahrung von @Report_Antisem zeige, so der Zeuge, dass die meisten von Antisemitismus Betroffenen Vorfälle nicht zur Anzeige brächten, nach einer Studie der EU-Grundrechteagentur (FRA) 79 % der Betroffenen. Dies erkläre sich u.a. durch Resignation, 9/ #HalleProzess

antisemitische Straftaten würden selten durch die Strafverfolgungsbehörden als solche erkannt und ebenso selten konsequent verfolgt, entsprechend würden Anzeigen als nutzlos erlebt. Zudem befürchteten Betroffene, dass Täter_innen durch die Anzeige ihren Namen 10/ #HalleProzess

erhielten und sie somit noch stärker gefährdet werden könnten. Insgesamt hätten von Antisemitismus betroffene Menschen wenig Vertrauen in die Polizeiarbeit. Der Zeuge nennt als Beispiel aus Sachsen-Anhalt einen Vorfall, bei welchem bei einem Einbruch in eine 11/ #HalleProzess

jüdische Gemeinde die Polizei ein Gemeindemitglied, das nachts mit der Polizei den Tatort anschauen sollte, zuerst in das Gebäude schickte. Auf Nachfrage, warum nicht der Polizeihund das Gebäude zuerst betrete, verwies die Polizei darauf wie teuer der Hund sei. 12/ #HalleProzess

Der Zeuge erinnert an den Vorfall in Halle, bei dem vor der Synagoge ein Hakenkreuz aus Papier abgelegt wurde. Ein Polizeibeamter zerstörte es, statt den Vorfall ordnungsgemäß aufzunehmen. Ebenfalls weist er auf einen antisemitischen Vorfall in Halle-Neustadt 13/ #HalleProzess

hin, den Bericht gibt es bei @opferberatung hier: facebook.com/MobileOpferber… Das Verhalten der Polizei, führt der Zeuge aus, führe immer wieder zu einer sekundären Vikitimisierung von Jüdinnen und Juden. Zudem wirke sich die Existenz rechtsextremer Netzwerke in der 14/ #HalleProzess

negativ auf das Vertrauen von Jüdinnen und Juden in die Polizei aus. Insgesamt beobachte er eine deutliche Differenz in der Wahrnehmung antisemitischer Taten zwischen Jüdinnen & Juden und nicht-jüdischen Menschen, benennt Wahrnehmungsdefizite. 15/ #HalleProzess

"Leider müssen wir davon ausgehen, dass das Problem des Antisemitismus bei der Polizei in Sachsen-Anhalt ein strukturelles ist", sagt der Sachverständige von @Report_Antisem. Er verweist auf antisemitische Vorfälle bei der Bundespolizei in Sachsen-Anhalt. 16/ #HalleProzess

Für viele jüdische Menschen sei der Anschlag auf die Synagoge in Halle eben nicht überraschend gewesen, sondern stehe in der Kontinuität antisemitischer Gewalt in Deutschland. Schockiert habe den Sachverständigen, wie der Innenminister sich in Dessau geäußert 17/ #HalleProzess

habe. Der @ZentralratJuden warf dem Minister damals die Förderung von Antisemitismus vor. Der Innenminister sei den Herausforderungen (für den Schutz der jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt) nicht gewachsen. 18/ #HalleProzess tagesspiegel.de/politik/aeusse…

Was der Sachverständige von @Report_Antisem in seiner Aussage betonte, das gezielte Töten von Jüdinnen und Juden in Deutschland habe 1945 nicht geendet, extreme Gewalt auch gegen das Leben fand weiter und finde weiter statt. Mit Blick auf den Prozess betont er 19/ #HalleProzess

dass die Botschaft der Tat des Angeklagten konterkariert werde durch die vielen Stimmen der Nebenkläger_innen, deren Positionierung in & um den #HalleProzess. Verhandlung ist nun für 1 Std unterbrochen, Verteidiger des Angeklagten lehnt Gutachter Leyfgraf ab. 20/ #HalleProzess

Der Sitzungsvertreter des Generalbundesanwalts hat nun ablehnend Stellung genommen zum Antrag der Verteidigung, den Gutachter Prof. Dr. Leygraf (psychiatrisches Gutachten) wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Sitzung bis 13:15 Uhr unterbrochen. 21/ #HalleProzess

Das Gericht lehnt den Antrag des Angeklagten, den psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Leygraf wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen ab. Die Vorsitzende Richterin führt aus, es bestünden schon Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags, 22/ #HalleProzess

Sachverständige könnten nur – wie Richter_innen, siehe § 24 StPO – im Ganzen abgelehnt werden, nicht etwa Teile ihres Gutachtens / ihrer Aussage. Auch inhaltlich lehnt das Gericht den Antrag ab, unterstellte fehlende Sachkunde sei kein Grund für die Ablehnung, 23/ #HalleProzess

Gründe für eine Unparteilichkeit des Gutachters seien nicht erkennbar. Die Verteidigung stellt nun einen Beweisantrag, ein Neurologe solle untersuchen, dass der Angeklagte angab, er habe vor der Synagoge "Rot gesehen", dies sei ggf. "Migräne mit Aura" gewesen. 24/ #HalleProzess

Nun hört das Gericht erneut Prof. Dr. Leygraf. Er führt aus, dass es eine solche "Aura" (mit Wahrnehmungsstörungen) gebe, etwa als Vorstadium einer Migräne bevor die Kopfschmerzen einsetzten. Es sei unwahrscheinlich, dass dies bei einer Person geschehe, die 25/ #HalleProzess

bis dahin keine Migräne gehabt habe. Sehr unwahrscheinlich sei es, dass so etwas erstmalig bei der Begehung einer Straftat geschehe und danach wieder verschwinde. Dass dabei jemand "Rot sehe" sei ebenfalls unwahrscheinlich. Was der Angeklagte beschrieben habe, 26/ #HalleProzess

sei nicht mit einer "Migräne-Aura" zu erklären. Darüber hinaus sei es für die Frage der Schuldfähigkeit irrelevant. "Wer einmal eine Migräne-Aura erlebt hat, kann damit nicht mehr Autofahren", sagt der Zeuge. Ein erstmaliges Erleben löse panische Angst aus, 27/ #HalleProzess

man habe das Gefühl man habe einen Schlaganfall. Nichts davon sei bei dem Angeklagten zu erkennen. Der hat im Prozess nichts dergleichen geschildert, lediglich, dass er vor der Synagoge zwischenzeitlich "wie im Tunnel" gewesen sei (und seine Taten fortsetzte). 28/ #HalleProzess

Das Gericht hat eben den Antrag des Nebenklägers Ismet Tekin auf Erteilung eines rechtlichen Hinweises an den Angeklagten abgelehnt. Der Antrag bezog sich auf das Tatgeschehen im Kiez Döner. 29/ #HalleProzess

https://twitter.com/valentinhacken_/status/1323988789098938368

Das Gericht, führt die Vorsitzende Richterin aus, habe bereits mit dem Beschluss, dass sich der Betroffene der (Neben-)Klage anschließen könne festgestellt, dass der Angeklagte ihn betreffend mglw. mit Eventualvorsatz auf Tötung gehandelt habe. 30/ #HalleProzess

Ebenfalls abgelehnt wurde ein weiterer Antrag auf Erteilung eines tatsächlichen Hinweises. Der Schuss durch die Scheibe des Kiez Döners werde in der Ermittlungsschrift schon so benannt, dass der Angeklagte alle 31/ #Halleprozess

https://twitter.com/valentinhacken_/status/1323991920444661761

ihm zur Verfügung stehenden Mittel genutzt habe und es mit ihnen darauf angelegt habe, die Menschen im Kiez Döner zu töten. Damit sei der Schuss durch die Scheibe des Kiez Döners schon erfasst. Derzeit werden Adhäsionsanträge von Polizisten gestellt. 32/ #HalleProzess

Nun werden weitere Adhäsionsanträge durch Nebenkläger_innen gestellt. Damit können vermögensrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden, ohne ein zusätzliches zivilrechtliches Verfahren anzustrengen (siehe § 403 StPO), hier bisher Schadensersatz & Schmerzensgeld 33/ #HalleProzess

Die Vorsitzende Richterin verliest gerade folgenden Artikel der @mzwebde (aus der Printausgabe, beruhend auf Meldung der DPA). mz-web.de/politik/-grupp… 34/ #HalleProzess

Nebenklageanwältin @RPietrzyk beantragt, eine antisemitische Äußerung des Angeklagten in der Verhandlung heute gem. § 183 GVG protokollieren zu lassen, es bestehe der Anfangsverdacht der Volksverhetzung (§ 130 StGB). 35/ #HalleProzess

Zu diesem Antrag, dem sie sich anschließt, nimmt Nebenklägerin @molussia_anders Stellung und verweist darauf, die Protokollierung der Äußerung sei auch aus hist. & wissenschaftlicher Hinsicht wichtig, ein Bagatellisieren durch die Vorsitzende sei verletzend. 36/ #HalleProzess

Zudem beantragt @RPietrzyk als Sachverständigen @Matthias_Quent vor Gericht zu hören. Er könne zur Tatmotivation des Angeklagten aussagen, insbesondere dazu, dass der Angeklagte sich in eine Reihe rechts motivierter Taten stellen wollte und gleichzeitig andere 37/ #HalleProzess

zu weiteren (Nachahmer-)Taten motivieren wollte, sie in die Lage versetzen wollte solche Taten zu begehen. Gem. § 46 II StGB sei es die Aufgabe des Gerichts, auch das Motiv des Angeklagten hinreichend zu erkunden. Über die Punkte, zu denen @Matthias_Quent aus- 38/ #HalleProzess

sagen könne, sei bisher nicht Beweis erhoben worden. Hieran gab es in der Vergangenheit immer wieder Kritik, u.a. dem BKA wurde & wird vorgeworfen, dass es bei den Ermittlungen die ideologischen Hintergründe der Tat analytisch nicht richtig erkannt und 39/ #HalleProzess

dargestellt habe. Der zur Tatmotivation & den Dokumenten des Angeklagten vernommene BKA-Ermittler habe dazu, so die Nebenklageanwältin, kaum aussagen können. Hier brauche es einen Sachverständigen Zeugen. Damit ist der Prozesstag zu Ende. 40/ #HalleProzess

Den Bericht zu Tag 20 im #HalleProzess läuft heute bei @radiocorax im Morgen- und Mittagsmagazin und & Kooperation mit @HalggR und dem AK Protest im @StuRa_Halle zum Nachhören bei Spotify, Apple Podcasts und im Blog.

Aktuelle Folge im Blog: anschlag.halggr.de/folge-20-sachv…