Wieder bekomme ich eine Email: "Ihr Wissenschaftler glaubt ja bloß nicht an paranormale Phänomene, weil ihr sie nicht erklären könnt!" Und das tut mir immer ein bisschen weh. Wer das sagt, hat ganz grundlegend missverstanden, wie Wissenschaft funktioniert - und wie schön sie ist.
Niemand lehnt ein Phänomen ab, weil man es nicht erklären kann. Im Gegenteil: Unerklärte Phänomene sind das Lieblingsthema in der Wissenschaft. Genau darum geht es ja: Unerklärtes erklärbar zu machen. Würden Wissenschaftler daran nicht glauben, wären sie arbeitslos.
Das Traurige daran ist das Bild von der Naturwissenschaft, das hinter dieser Aussage steht: Ein Bild von Leuten, die ihre bekannten Theoreme verkünden und alles ablehnen, was sich damit nicht vereinbaren lässt. Ich kenne in der Wissenschaft niemanden, der so denkt.
Im Gegenteil: Immer wieder erstaunt es mich, was in der Wissenschaft alles genau untersucht und überprüft wird. Was alles hinterfragt wird. Welche beißend unangenehmen Fragen bei Fachvorträgen gestellt werden, die punktgenau die wackeligen Punkte der bisherigen Theorien anbohren.
"Unsere bisherige Sichtweise wird schon stimmen, was nicht dazu passt, ignorieren wir" ist ungefähr das Gegenteil der in der Naturwissenschaft üblichen Herangehensweise. Schließlich hat man viel zu gewinnen, wenn man die bisherige Sichtweise umkrempelt.
Ruhm und Ansehen bekommt man in der Wissenschaft nur, wenn man eine neue Sicht auf die Wirklichkeit eröffnet, nicht durch braves Verkünden bekannter Tatsachen. Es gibt also einen gewaltigen Anreiz, sich unerklärte Phänomene anzusehen - und das wird auch ständig gemacht.
Wenn man dabei etwas Tolles findet, ist es eine Sensation. Und wenn nicht, hat man immerhin das Vertrauen in das bestehende Wissen erhöht. Und genau deshalb, weil das so oft gemacht wurde, können wir uns auf unsere bekannten großen Theorien so sehr verlassen.
Der Grund, warum die Welt des Paranormalen belächelt wird, ist einfach, dass man solche Phänomene schon oft genug untersucht hat, von "belebtem Wasser" bis Gedankenübertragung. Und nie kam dabei etwas Interessantes heraus.
Würde man dabei etwas finden, würde dieses Phänomen zum Teil der Wissenschaft werden. Man würde versuchen, es genauer zu studieren und zu erklären. Wenn man das Phänomen unter wissenschaftlichen Bedingungen aber gar nicht nachweisen kann, gibt es auch nichts zu erklären.
Die Wissenschaft hat bei solchen Experimenten also nichts zu befürchten: Entweder sie wird erweitert, oder das bereits bekannte Wissen wird weiter bestärkt. (Viel Genaueres gibt's dazu in meinem Buch "Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl" nachzulesen).
Die Vorstellung, Wissenschaftler hätten Angst vor dem Neuen und Unbekannten, weil sie dann widerlegt werden könnten, ist ähnlich falsch wie die Vorstellung, Fische seien wasserscheu.

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2 Dec
Ausländer sind schuld an der Corona-Welle? Ich bin sehr erstaunt über diese Aussagen. Mit den Gesetzen der Mathematik sind sie nicht so recht vereinbar. Ich glaube, hier gibt es ein Missverständnis mit der Natur von Exponentialfunktionen. (Thread)
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1) Zahl der Fälle zu einem früheren Zeitpunkt (z.B. im Sommer)
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27 Nov
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20 Nov
Wir müssen einfach für höhere Bildung sorgen, dachte ich lange Zeit. Wir müssen der breiten Bevölkerung wissenschaftliche Fakten beibringen, Mathematik und logisches Denken, dann wird alles gut!
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12 Nov
"Warum äußerst du dich als Physiker zu medizinischen Themen wie COVID-19? Das ist doch nicht dein Gebiet!" Das höre ich jetzt wieder besonders häufig, oft gewürzt mit üblen Beschimpfungen. Gut, ich erkläre es gerne noch einmal.
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9 Nov
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30 Oct
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