Thread by @miob1781

Ich hatte kurz überlegt, ein paar Sätze zu dieser (hörenswerten!) Aufführung von #Bach|s h-Moll-Messe zu schreiben. Aber meine Follower interessieren sich in erste Linie für Corona-Content.

Also gut. Man kennt Bachs Vokalwerke heute vor allem in den Aufnahmen der großen Vier (Herreweghe, Koopman, Gardiner, Suzuki). Die sind auch großartig und verfügen über fantastische Musiker.

https://twitter.com/AchimGrindler/status/1339704709012205568?s=20

Doch es gibt weniger bekannte Dirigenten, die genauso interessante Interpretationen haben und manchmal frischen Wind reinbringen (auch wenn die Musiker nicht ganz auf dem Topniveau vom Collegium Vocale Gent sein mögen).

Einer von denen ist Vaclav Luks mit dem tschechischen Collegium 1704. Was bei dieser Aufnahme auffällt sind die teilweise sehr schnellen Tempi. Doch Luks verbindet das mit großer Expressivität. Das ist in dieser Kombination nicht häufig anzutreffen.

Ich habe mich über die Jahre an immer schnellere Tempi gewöhnt und heute finde ich die meisten Aufnahmen eher zu langsam als zu schnell. Aber hier wird mein Tempoempfinden noch einmal beschleunigt. D.h., ich finde Tempi überzeugend, die ich früher für zu schnell befunden hätte.

Schon seit Längerem finde ich, dass es bei Bach - mit wenigen Ausnahmen - keine wirklich langsamen Tempi gibt. Die langsamen Sätze müssen fließen, sonst werden Melodie und Rhetorik zerstört. Das gelingt hier wunderbar - wie herrlich gleiten das Kyrie I oder das Qui tollis.

Doch ich bin wirklich überwältigt vom frenetischen Jubel des Gloria, des Et resurrexit, oder des Sanctus. Das habe ich bei langsameren Tempi so nie gehört.

Freilich finde ich manche Tempi zu schnell. Darunter das Kyrie II und das Credo I. Aber mein Horizont hat sich erweitert.

Wobei: Ich höre gerade das Kyrie II und kann dem Tempo jetzt schon viel mehr abgewinnen.

Hier noch ein paar gute Bach-Interpreten fernab ausgetretener Wege. Allen voran das allofbach.com Projekt der Niederländischen Bachvereinigung, in der so großartige Dirigenten wie van Veldhoven, Sato, Rademann oder Dijkstra mitwirken.

Ein ähnliches Projekt (aber auf Vokalwerke beschränkt) wird von der Bachstiftung St. Gallen mit Rudolf Lutz unternommen. bachipedia.org/werke/

Paul McCreesh hat einen ganzen Epiphanias-Gottesdienst inclusive einer Messe und zweier Bach-Kantaten nachgebildet.

Besonders bei Bachs frühen Vokalwerken überzeugt Philippe Pierlot mit dem Ricerca Consort.

Ein echter Geheimtipp sind die Aufnahmen von Eric Milnes mit Montreal Baroque.

Noch geheimer ist das Goldberg Baroque Ensemble. Hoffentlich finden sie die Gelegenheit zu weiteren Aufnahmen.

Viele werden Marcel Ponseele schon mal gehört haben, denn er ist der gefragteste Barockoboist. Doch er hat mit Il Gardellino auch selber Aufnahmen geleitet.

Ebenso leitet der Cellist Christophe Coin einige Bach-Kantaten, wo er selber spielt.

Ach, und wenn Jordi Savall auf seine alten Tage noch ein paar Bach-Kantaten aufnehmen würde, das wäre ein Traum.