Zuerst, ihr habt Friedrich Merz nicht zum Vorsitzenden gewählt. Das ist gut.
Allerdings hat sich das Gefühl der Erleichterung dann doch recht schnell verflüchtigt, als mir klar wurde, wen ihr statt dessen gewählt habt:
Nämlich Armin Laschet. Der Armin Laschet, der den beinahe historischen Schritt gegangen ist, Behindertenpolitik tatsächlich zum Wahlkampfthema zu machen.
Nur eben leider nicht, in dem er auf Behindertenverbände zugegangen ist und die UNBRK in NRW endlich konsequent umsetzt.
Sondern, in dem er die _Abschaffung_ von Inklusion zum Wahlkampfthema machte, um damit Stimmen von Bildungsbürgern zu fangen, die nicht wollen, dass ihr Kind in der Schule neben einem behinderten Kind sitzt.
Und die Stimmen von Lehrern, die keine behinderten Kinder im Unterricht wollen, denn 'sonst hätten sie ja Sonderpädagogik studiert'.
Die CDU hat in NRW, zusammen mit der FDP, Wahlkampf für den _Abbau_ von Menschenrechten geführt.
Da könnt ihr jetzt natürlich sagen, Behindertenpolitik ist nun nicht wirklich so euer Fokus, wenn es um die Parteiführung und die Bundespolitik geht.
Und ich muss sagen: Das sollte aber euer Fokus sein.
Denn die Behindertenpolitik ist richtungsweisend, wo eine Partei steht. Wie es um ihre Ethik, ihre Moral, ihr Gewissen bestellt ist.
Wie es darum bestellt ist, sehen wir in NRW und von NRW ausgehend gerade täglich.
Natürlich wird Laschet seine Berater, seine Vertrauten auch mit in die Bundespolitik bringen und natürlich sagt die Wahl dieser Berater und Vertrauten viel darüber aus, wo Laschet steht. Wo sein ethischer Kompass hinweist.
Dieser Kompass steht sehr deutlich auf Sozialdarwinismus.
Es ist NRW, es ist Laschets Berater Streeck, der gerade täglich das Märchen vom "Risikogruppen schützen" herunterbetet und damit meint, dass man die Kasernen in denen Risikogruppen untergebracht sind, abschottet.
Und das ist weit, weit mehr als nur eine Abwiegelungstaktik um Maßnahmen ausweichen zu können, die erst mal die Wirtschaft weiter einschränken würden.
Dieser Kniff, zeichnet 'Risikogruppen' nämlich seit Anbeginn der Pandemie, als Gruppe, die nicht wirklich dazu gehört.
Er macht Risikogruppen auch zu Sündenböcken. Denn er impliziert, dass all die Maßnahmen im Moment nur deswegen nötig sind, damit die Risikogruppen nicht sterben. Er impliziert die unzutreffende Annahme, es sei normales Leben möglich, wären da nicht diese Risikogruppen.
Das Menschen mit Behinderungen (und in diesem Fall auch Menschen mit chronischen Erkrankungen und alte Menschen) zu Sündenböcken gemacht werden, ist nicht neu aber es ist immer ein Warnsignal.
Literaturtipp: Scapegoat: Why We Are Failing Disabled People amzn.to/2LOe29Y
Es gibt eigentlich kaum eine schlimmere Form des Otherings. "Die" gehören nicht dazu. Schlimmer noch: "Die" halten uns 'Normale' zurück. "Die" belasten unsere Gesellschaft.
Das Narrativ "Die halten uns Normale zurück" sah man im Anti-Inklusions-Wahlkampf.
Bei dem natürlich die alten und unzutreffenden Legenden wiedergekäut wurden, dass es auf Kosten der nichtbehinderten Kinder geht, wenn sie mit behinderten Kindern zusammen lernen. (Spoiler: tut es nicht.)
Diese Narrative haben bereits öfter in der Geschichte völlig ausgereicht um Übergriffe auf und Pogrome an behinderten Menschen auszulösen.
Das sind keine unschuldigen politisch-rhetorischen Tricks.
Das ist Benzin versetzt mit Waschpulver.
Wenn eine Gruppe nicht zur Gesellschaft gehört, dann ist es in Ordnung, wenn sie ausgesondert wird. Auch von vor allem zu "ihrem Besten". Nichts anderes sagt "Risikogruppen schützen" aus.
Und genau das ist, was Menschen mit Behinderungen meinen, wenn sie von der Schonraumfalle reden.
Denn diese Narrative existieren ja auch außerhalb der Pandemie.
Man sieht es auch daran, dass für Laschet, für Streeck, für alle anderen "Risikogruppen schützen"-Sager, Risikogruppen außerhalb von Einrichtungen gar nicht existieren.
Das ist ein "selbst schuld"-Narrativ über die Bande.
Selbst schuld, wenn ihr nicht dort lebt, wo wir euch schützen können. Wenn ihr euch in Gefahr begebt, müsst ihr auch mit der Gefahr leben.
Damit bleibt im Prinzip die Wahl: sich ausgrenzen lassen oder auf Unterstützung verzichten. Beides grenzt aus. Isoliert.
Um es abzuschließen:
Unter Laschet gehören Menschen mit Behinderungen nicht dazu. Sie sind eine Last. Man lässt sie natürlich nicht einfach verrecken, das wäre ja unmenschlich, aber man schränkt den Teil, in dem sie sich bewegen dürfen, soweit ein, wie es der Gesellschaft dient.
Wer nicht dem Ideal entspricht, nicht gesund, 'able bodied' und wahrscheinlich weiß, hetero und männlich ist, muss sich mit dem begnügen, das die Gesellschaft bereit ist zu geben. Mit Almosen.
Ist das, wir ihr euch die Gesellschaft vorstellt, liebe CDU-Mitglieder?
Eine Gesellschaft, die eine Gruppe ausschließt, wird morgen andere Gruppen ausschließen.
Eine Gesellschaft, die eine Gruppe zurücklässt, wird morgen andere Gruppen zurücklassen.
In diesem Sinne: Nächstes Jahr ist ja Wahl. #CripTheVote
Ich muss in letzter Zeit viel über Cargo-Kulte im Zusammenhang mit der Pandemie nachdenken. Einfach weil so vieles, was abläuft, sich jeder rationalen Erklärung entzieht.
Cargo-Kult im Sinne von symbolischen und oft sinnlosen oder gar kontraproduktiven Ersatzhandlungen, die die Pandemie beenden sollen.
Nehmen wir die Masken- und Lockdown-Gegner. Beiden Maßnahmen zusammen ist erst mal gemein, dass sie eine Umstellung des eigenen Lebens erzwingen, neu sind und dass sie einem aufgezwungen werden.
Das ist das faulste, das unmenschlichste, das visionsloseste und auch kurzsichtigste Konzept zum Umgang mit der Pandemie.
Kurz: es ist Aufgeben.
Und zwar aufgeben, bevor man überhaupt wirklich angefangen hat zu kämpfen.
Es ist beschämend, es ist empathielos, wenn sich die Gesellschaft, die Politik einfach hinstellt und sagt "Was sollen wir denn machen?". Wenn ein Teil der Bevölkerung als überflüssig deklariert wird. Wenn ein Teil der Bevölkerung von der Gesellschaft abgekoppelt werden müsste.
Und zwar auch nur der Teil der Bevölkerung, der nun schon in Heimunterbringung ist, bzw. wenn andere vulnerable Teile der Bevölkerung aus den Familien hinaus und in Heimsettings gezwungen würden, wenn das berühmte "Risikogruppen schützen" nur diese Wohnformen schützt.
Wo ich "Sportunterricht" trenden sehe, wird mir gerade was klar. Vielleicht sollte es uns nicht verwundern, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zu Covid-19 gerade von den Kultusministerien ignoriert werden.
Sie ignorieren wissenschaftliche Erkenntnisse seit Jahrzehnten gekonnt.
* Sportunterricht bringt in der Form nichts, gegen Übergewicht und Bewegungsarmut im Erwachsenenleben? Egal, lass uns die Faulenzer mal übers Feld treiben und den Unsportlichen das Leben richtig zur Hölle machen.
* Teenager würden besser lernen, wenn man sie nicht in der Früh entgegen dem jugendlichen Chrono-Rhythmus aus dem Bett reisst? Die Scheisser sollen gefälligst lernen früh um 7 stramm zu stehen. Lass mal noch ne nullte Stunde einführen.
Diese Erleichterung, wenn Du nach dem Gespräch mit der Psychiaterin den Eindruck hast, dass doch noch andere* vernünftige Menschen auf diesem Planeten existieren.
*abgesehen von meinem Mann, meiner Schreibgruppe, meinen Bekannten, meinen Twitter-Kontakten & anderen selbst gewählten Bezugspersonen
Das ist auch etwas, das Verschwörungsmythen mit einem machen. Obwohl man natürlich weiß, dass man recht hat und, dass man kritisch und bewusst Fakten bewertet …
… es schleicht sich immer mal wieder der Gedanke ein, ob man nicht doch die Person ist, die nicht mehr klar sieht.
Nochmal zu der Doktorarbeit-Sache. Der Angriff auf Drostens Doktorarbeit ist Teil eines größeren Bildes. Einer "Strategie" von der ich ausgehe, dass sie keine ausgeklügelte Strategie in dem Sinne ist, sondern einfach das natürliche Verhalten von Menschen, die gewinnen wollen. 1/
Und zwar auch dann, wenn sie definitiv nicht recht haben und das gewinnen Nachteile für uns alle mit sich bringen würde. (Ja, Menschen sind nicht logisch und ich tu mir echt immer wieder schwer, derartiges Vorgehen zu verstehen.)
Es geht um "Flooding the Zone with Bullshit". 2/
Wie gesagt, ich halte diese Strategie oft nicht für planvoll eingesetzt, sondern eher instinktgesteuert.
Man versucht einfach alles, irgendwas, gegen eine Person, eine Idee, ein Vorhaben vorzubringen, ganz egal wie abwegig.
3/
Ein kurzer Thread über die Fixierung der Pandemie-Leugner auf Christian Drostens Doktorarbeit.
Daran hat mich nämlich von Beginn an irgendwas gestört, ich konnte nur nicht den Finger drauf legen.
Inzwischen denke ich, ich kann es. 1/
Das erste Mal ins so richtig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit ist das Thema "Plagiatsjäger" wohl durch Karl-Theodor zu Guttenberg gekommen. Bzw. dort wurde auch zum ersten Mal sowas wie für das Kernproblem sensibilisiert: Doktortitel als Karrierehelfer. 2/
Nicht nur in der Politik, aber eben auch. (Es ging eine Weile das Gerücht, dass beispielsweise SAP jeden einstellt, der einen Doktortitel hat. Egal welche Fachrichtung. Weil es sich gut macht, Consultants mit Dr. Titel zu haben. Allerdings in diesem Fall echte - schätze ich.) 3/