… transfer-Aufgaben gestellt. Wobei - wenn wir ehrlich sind - zumindest im schulischen Kontext die auf Reproduktion basierenden Prüfungsformate überwiegen. Ja, auch in Deutsch oder Geschichte! Andernfalls hätten die „Interpretationshilfe“ und dergleichen … (Thread 2/3)
… keine so hohe Nachfrage! Und auch wären sonst geschichtliche Zusammenhänge länger als bis zum Abitur präsent! Ja, nicht immer, nicht überall, bei dir und mir natürlich nie! Und viele Prüflinge wissen auch wirklich viel, haben viel verstanden.
Viele Prüflinge kommen aber auch mit „Bulimielernen“ sehr gut durchs Schulleben und stehen dann wie oben zitierte Studierende überfordert vor zu großen Herausforderungen. Aussagen wie die von Thomas Städler (glanzundelend.de/Artikel/abc/s/…)
sind sicherlich diskussionswürdig, völlig „bar jeder Wahrheit“ aber sicherlich nicht. Man kann über die Zahlen streiten - es bleibt aber der fade Beigeschmack, dass (fast) jeder von uns schon Ähnliches gedacht und erlebt hat. Fragt mal Personaler…
Es stellt sich also die Frage, warum das so ist. Eine einfach Antwort wäre: reproduktions-Aufgaben sind nicht nur leicht zu „erlernen“, vor allem sind sie leicht zu korrigieren, dann zu vergleichen und schließlich auf dieser Grundlage zu bewerten.
Also das perfekte Modell in unserem Bildungssystem, das den Vergleich gleichaltriger Menschen zu DEM grundlegenden, strukturellen Instrument der Evaluierung von Bildungs- und Lernprozessen gemacht hat. Dazu erscheint es auch nur als “gerecht“, …
... denn alle werden ja schließlich gleich geprüft und haben so die gleichen Chancen. Die vielbeschworene „Bildungsgerechtigkeit“ tritt also außer Kraft, wenn nicht mehr nach diesem Modell geprüft wird, so die Angst von Traditionalisten und Heuchelei so manchen „Wortführers“.
Folgerichtig führe „der Verzicht (anm.: auf Prüfungen) zu weniger Vergleichbarkeit und mehr Ungerechtigkeit“, so Peter Meidinger am 07.04.2020 in der @tazgezwitscher (taz.de/Praesident-des…).
Ja, innerhalb dieses Systems gedacht und vorausgesetzt, dass diese Form von Prüfungen wirklich gerecht wären und valide, vergleichbare Ergebnisse hervorbringen würden, kann ich den Gedanken nachvollziehen. Einziges Problem: das ist nicht so!
Mein Kind wächst zweisprachig auf und lernt in meiner kleinen Holzwerkstatt schon als Zweijähriger so manches physikalisches Prinzip. Dazu sind Oma und Opa nur 10 Autominuten entfernt und das Haus steht bis unters Dach voller Bücher (ok, das war gelogen).
Das (imaginäre) Nachbarskind hat verstrittene Eltern, wechselt wöchentlich zwischen Mama zu Papa, verbringt viel Zeit alleine vor dem Fernseher oder Tablet (weil Mama und Papa arbeiten müssen und der jeweils andere Partner nicht daheim ist), Oma und Opa …
… wohnen 300 km entfernt, der Anschluss ans Dorfleben (Vereine) fehlt, an Instrumentalunterricht ist finanziell gar nicht zu denken, usw. usf.. Ja, das zweite Kind ist „erfunden“, aber ich glaube alle Lehrer kennen (leider) zu genüge solche Kinder!
Wer will ernsthaft behaupten, dass diese Zwei Kinder die gleichen Chancen haben, wenn sie in die erste Klasse kommen? Und wer will behaupten, dass es Schule schaffen kann (ich würde hinzufügen: soll), beide Kinder ein paar Jahre später auf „den gleichen Stand“ zu bringen?
Wer das nicht glaubt, der muss auch an den vorherrschenden Prüfungsformaten und der gesamten Struktur des Prüfens zweifeln. Was folgt daraus? Keine Prüfungen mehr? Nein! Auch ich finde Prüfungen wichtig! Ich bezweifle nur, dass diese zwei Kinder …
… in der gleichen Form, zum gleichen Zeitpunkt, mit dem gleichen Inhalt und in Hinsicht auf das (möglichst) gleiche Ziel hin geprüft werden sollen, bzw. können. Ich möchte für mein Kind, dass es an sich selbst geprüft wird. „Wo standest du gestern, wo stehst du heute …
… und wo willst du morgen sein?“ Und wenn es das Ziel nicht erreicht hat, dann möchte ich, dass man sich gemeinsam mit meinem Kind Gedanken macht, warum es sein Ziel nicht erreicht hat. Faulheit? Dann eine klare Rückmeldung und u.U. Konsequenzen.
Sorgen, Nöte, Ängste, oder einfach „nichts kapiert“? Dann bringt mein Kind eine „geprüfte“ 6 nicht weiter, sondern Vertrauen, Unterstützung und Begleitung! Und genau das Gleiche möchte ich für das Nachbarskind gewährleistet wissen! Individuelle, prozessorientierte …
… Begleitung und Prüfung. „Ja, finde ich auch ganz toll. Und in der Grundschule kann ich mir das auch vorstellen. ABER später, spätestens beim Abschluss müssen die Leistungen doch miteinander verglichen werden! Sonst ist es ungerecht!“
Im jetztigen System ist das sicherlich so. Was aber, wenn wir genau hierauf verzichten und jedem Lernenden seinen eigenen Lernweg zugestehen. Was, wenn wir EINGANGSprüfungen anstatt ABSCHLUSSprüfungen in der Breite etablieren würden?
Das wäre aus meiner Sicht EINE Möglichkeit, aus dem passiven, durch Druck erzwungenen Lernen ein motiv(iert)-geleitetes Lernen anzubahnen. Solange Kinder die Reichweiten ihrer Entscheidungen noch nicht selbst überblicken können, erführen sie mehr Struktur und Führung.
Diese würde sich zunehmend „zurückziehen“ (in Hinsicht auf die Vorgabe von Inhalten) und vermehrt in eine Begleitung übergehen, die gemeinsam mit dem Lernenden Ziele identifiziert und deren Realisierung organisiert. Ziel wäre, dass aus dem „ich muss“ …
… und dem „kann mir jemand sagen wofür?“ ein „ich will, weil ich dieses Ziel habe“ wird. Vielleicht denkst du: „Klingt gut, aber was ist mit der Allgemeinbildung? Wenn die Lernwege auseinandergehen, wie stellen wir sicher, dass alle Kinder über eine Allgemeinbildung verfügen?“
Oder: „Was, wenn der Abiturient alles auf ein Musikstudium gesetzt hat, dann aber merkt, dass er doch lieber Ingenieur werden möchte? Da fehlen ihm doch dann alle Grundlagen?“. Nun, darauf gibt es meines Erachtens (mind.) zwei Antworten!
1. Die Kinder, die in diesem Jahr eingeschult werden, werden unter VÖLLIG anderen Rahmenbedingungen leben und arbeiten, als wir sie heute kennen. Die Dystopien möchte ich gar nicht teilen, aber würden wir entsprechenden Menschen zuhören, …
… die einen weitaus tieferen „Einblick“ in die Zukunft haben als wir, dann müssten wir als aufgeklärte, wissenschafts-zugewandte Gesellschaft endlich eingestehen, dass der seit Jahrhunderten geltende und definierte Begriff des „Allgemeinwissens“ in dieser Zukunft …

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