Geld mit Aktivismus verdienen. Zu der Sache, die da kürzlich hochgekocht ist, schwirrten mir auch noch lose Gedanken im Kopf rum.
Ich erinnere mich noch gerne an die Mail eines großen Wohlfahrtsunternehmens … wie toll mein Blog sei. Wie toll ich schreibe.
Wie wichtig die Texte seien. Und ob ich denn etwas für ihr Magazin beitragen könne.
Das Magazin, wohlgemeint professionell produziert und nicht in Kartoffeldruck von der Nichte des Vorstands in der Vorschule hergestellt.
Ich kannte die Reaktion natürlich vorher, dennoch konnte ich mir die Antwortmail nicht verkneifen. Das sei ja wunderbar und ich auch sehr geschmeichelt. Und sehr gerne würde ich etwas für das Magazin beitragen.
Wie umfangreich der Text den sein solle und welches Zeilengeld sie üblicherweise zahlen würden.
Kurz: was man sich an Umfang vorstellte, war durchaus beachtlich. Nichts, was ich eben mal so nebenbei runterschreiben würde.
Zeilengeld, bzw. Bezahlung überhaupt, sei leider nicht vorgesehen.

Dem Wohlfahrtsunternehmen müsste eigentlich beim Herumsuchen auf meinem Blog oder beim Bauchpinseln aufgefallen sein, dass ich nicht nur zum Privatvergnügen schreibe, sondern beruflich.
Aber obwohl sie hätten erwarten können, von mir einen Text zu erhalten, der nicht im Kartoffeldruck nebenbei entstanden ist, hat der Aspekt, dass ich auch Aktivistin in eigener Sache bin, den Schalter umgelegt.
Meine Zeit, meine Arbeit war auf einmal nichts mehr wert, außer einem feuchten Händedruck und ein paar warmen warmen Worten, die aber keine Miete zahlen.
Gerade im Bereich der Behindertenrechtsbewegung scheint immer noch das Denken verhaftet, dass wir dankbar sein müssen, wenn man uns überhaupt zuhört. Dass wir ein bisschen Zoo auf Veranstaltungen spielen dürfen, für "Oh" und "Ah" und "wie toll sie das meistern!".
Und für "Herr Müller vom Vorstand, Frau Meier aus dem Aufsichtsrat und Klaus unser Selbstvertreter!"
Damit man sich anschauen kann, für wen man denn spendet oder sich eben gutmenschig fühlen kann. Aber eben immer mit dem leichten Touch, dass es doch schon was besonderes ist, wenn wir überhaupt mit am Tisch sitzen dürfen.
Deswegen setzen sich die meisten von uns dafür ein, dass auch und gerade Selbstvertreter bezahlt werden. Als Zeichen des Respekts. Als Wertschätzung sowohl der Arbeit gegenüber, als auch der investierten Zeit.
Ja, wir setzen uns für die Sache ein, auch in eigener Sache, weil wir Dinge verändern wollen. Idealerweise zum Positiven.

Ja, wir freuen uns über eine Plattform. Ja, wir freuen uns über Reichweite. Aber beides rechtfertigt nicht, auf Bezahlung zu verzichten.
Wenn ich einen Text unbezahlt schreibe, obwohl es nicht ein Thema ist, das gerade dringend aus meinem Kopf raus muss - wie dieser Thread - dann kanibalisiert es meine bezahlte Arbeit und es kanibalisiert Projekte, die irgendwann mal Gewinn abwerfen und es kostet meine Freizeit.
In anderen Worten: Ich habe Kosten.
Es ist das Mindeste, wenn ich irgendwo meine Expertise oder auch nur den etwas Behinderten-Deko beitragen soll, mir einen Ausgleich für diese Kosten anzubieten.
Aus Wertschätzung demgegenüber, das ich beitragen kann. Denn natürlich, haben jene, die Einladen oder eine Plattform bereitstellen, etwas davon. Sonst würden sie es nicht tun. Reden wir uns (und redet ihr uns) nicht ein, dass es aus altruistischen Beweggründen wäre.
Ob nun handfeste Information oder Unterhaltung, ob neue Blickwinkel oder Menschelndes: Aktivisten, und eben auch Selbstvertreter und Behindertenrechtsaktivisten, tragen zu Veranstaltungen, zu Publikationen, einen Mehrweit bei.
Nur weil wir etwas tun _wollen_, weil wir Aktivismus aus eigenem Antrieb betreiben, weil es eine Herzenssache ist, macht es das nicht wertlos. Im Gegenteil.
Weil es eine Herzenssache ist, können sich die Unternehmen und Publikationen, die uns anheuern, sicher sein, dass Inhalte und Präsentation stimmen. Weil wir mit Leib und Seele dabei sind.
Wer Aktivisten nicht bezahlt, schränkt auch die Zahl und Bandbreite der Stimmen künstlich ein, denen er Gehör verschafft.
Denn erneut: für etwas nicht nur nicht bezahlt zu werden, sondern die Zeit auch noch von Sachen abknappsen zu müssen, die Geld einbringen, muss man sich erst mal leisten können.
Ohne Bezahlung können nur priviligierte Aktivisten überhaupt mitreden.
Das ganze wird noch verschärft, wenn nicht mal Fahrtkosten übernommen werden. Wie zum Beispiel bei der Entwicklung der bayerischen Autismusstrategie für Selbstvertreter kein Reisekostenbudget vorgesehen war.
Für die Teilnehmer aus Wohlfahrtsverbänden, Therapieanbietern, der Politik und der Wissenschaft aber sehr wohl. Aber gut, dort wollte man Selbstvertreter eigentlich auch am Liebsten nicht dabei haben.
Dennoch, wenn man sich hinstellt und es skandalisiert, dass Aktivisten für einen _Dienst_ eine _Leistung_ die sie erbringen, bezahlt werden, wenn also ein Teil Aktivisten etwas erreicht haben, das _selbstverständlich_ sein sollte, dann ist das fragwürdig.
Dann wird impliziert, dass Aktivismus nur 'echt' sein kann, wenn man aus Liebe zur Sache auch gefälligst ordentlich Selbstausbeutung betreibt. Und wer sich das nicht leisten kann, der kann wohl auch kein Aktivist sein.
Oder aber, man mag etwas nur nicht und versucht es auf die gute, alte Neidtour.
Aber okay, wir können uns natürlich darauf einigen, dass alle, die etwas erreichen wollen, nicht mehr bezahlt werden. Politiker, Lobbyisten, Kolumnisten. Vor allem Kolumnisten. 😏
Was mir persönlich jedenfalls nicht mehr passieren wird, ist, dass sich ein Unternehmen eine Stunde Beratung abgreift und nicht mal den Anstand hat, eine Übernahme der Fahrtkosten auch nur anzubieten.

Respect Activists.
Pay us.

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31 Jan
Unpopular Opinion: Es gibt nur ein Setting, in dem unfallfrei über Rassismus*, Sexismus oder Behindertenfeindlich diskutiert werden kann. Alle anderen Settings sind von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Auf einer Skala von "Steigbügelhalter des Faschismus" bis zu "Meh".
+Antisemitismus, Antiziganismus etc.
Setting 1: Reden mit Rassisten, Sexisten, behindertenfeindlichen Personen.

Damit macht man sich unweigerlich auch zum Steigbügelhalter dieser Ideologien, weil man etabliert, dass man über die systematische Benachteiligung & Diskriminierung von Menschengruppen reden kann.
Read 14 tweets
30 Jan
Ich wollte noch etwas zu Neutralität schreiben, da der Begriff meinem Empfinden nach derzeit mal wieder massiv mißverstanden oder gezielt mißbraucht wird.
Allgemein, im Bezug auf Wissenschaft und im Bezug auf das Wissenschaftsverständnis von Hendrik Streeck.
Denn seine Position wird anscheinend sehr oft als die neutrale Position empfunden, während Positionen wie die von Viola Priesemann als 'extrem' empfunden werden. Meinem Eindruck nach, ist das auch, wie Streeck sich selbst zu verkaufen versucht.
Als neutrale, wissenschaftliche Instanz. Allerdings ist er anything but.

Erst mal vielleicht die weniger wissenschafts-theoretischen Aspekte von "Neutralität":
Wir haben unsere Gesellschaft unsere Kultur eingerichtet, dass wir Extreme verachten und Kompromisse schätzen.
Read 54 tweets
30 Jan
Rechte, entschuldigt, Konservative, die sich wieder so gebärden, als müssten wir noch Jahrzehnte im "Lockdown" leben.
Es geht genau darum, das nicht zu müssen. Und das erreicht man nun mal besser, wenn man nicht wie ein ungeduldiges Kind alles sofort wieder normal haben will.
Konservative 2021 und wie sie durch den Pandemie-Marshmellowtest fallen.
Noch jemand, der mir erklären will, dass Lockdowns Ungerechtigkeiten vergrößern? Ja, deswegen sollte man sie so konsequent wie möglich gestalten, damit sie so kurz wir möglich sein können.
Read 5 tweets
30 Jan
#Streeck
Weil gestern wieder jemand meinte, Streeck habe ja im Nachhinein erklärt, wie er das mit dem Schulexperiment wirklich meinte und das müsse man dann ja akzeptieren:
Da Muster, Streeck sagt was Menschenfeindliches, es gibt einen Aufschrei, Streeck gibt den falsch Verstandenen und rudert in der Formulierung, nicht aber in der Sache, ein wenig zurück.
Das ist die Taktik der Diskursverschiebung nach Rechts, wie sie auch die AfD anwendet.
Und nur weil Streeck schnieke und smart aussieht, gewinnend lächeln kann, Akademiker ist und nicht so dreist dumpf rassistisch daherkommt, wie die AfD, sollte man sich nicht täuschen lassen.
Read 9 tweets
29 Jan
Zu Beginn sprach eine WHO-Mitarbeiterin, die nachdrücklich darauf hinwies, dass wir die Pandemie nicht Land für Land bekämpfen können und sich auch die Wirtschaft erst erholt, wenn alle Länder sicher sind.
Kai @kakape über die Verträge mit den Impfstoffherstellern.
"The contracts are secret and I think they shouldn't be."

Sehe ich genauso.

Generell geht es gerade um "Vaccine nationalism". u.a. darum, dass einige Länder mehr Dosen gekauft haben, als sie Einwohner haben.
Read 45 tweets
28 Jan
Was mich ja fertig macht, ist die Inkonsequenz, wie mit Covid-19 umgegangen wird. Einerseits dieser Fall hier, dem wohl ein Strafverfahren folgt: swr.de/swraktuell/rhe…
Auf der anderen Seite Schüler, die mit infizierten Schülern Kontakt hatten, die Symptome haben, aber die nicht getestet werden und bei denen man sagt, joa, geht mal noch zur Schule.
Also, ich finde nicht falsch, dass hart durchgegriffen wird, wenn Leute die Quarantäne brechen.
Ich finde es nur falsch, wenn es dann Ausnahmen für ganze Systeme gibt. Wenn Schulen Eltern erst nach Tagen über einen Fall an der Schule und in der Klasse benachrichtigen, trotz Risikogruppen in den Familien.
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