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23 Feb, 12 tweets, 3 min read
Ganz wichtiger Aspekt: #219a verbietet Ärzt*innen nicht nur das Informieren, erschwert nicht nur Infos für ungewollt Schwangere, sondern "stabilisiert das gesellschaftliche Tabu". Schlecht soll sich fühlen, wer selbstbestimmt entscheidet. Es geht bei 219a auch um Stigmatisierung.
Wer länger über 219a nachdenkt, kann diesen Aspekt nicht übersehen. Die selbstbestimmte Entscheidung über den Körper wird, weil man den Körper deswegen nicht (mehr) einsperren kann (zumindest bei Einhaltung von § 218a), in ein Geflecht aus Paragraphen eingefangen u stigmatisiert
§218 dokumentiert den Verfügungsanspruch des Staates (Patriarchats) über den gebärfähigen Körper u vollzieht ihn quasi, mittlerweile immerhin mit Einschränkung. 219a hingegen widmet sich dem gesellschaftlichen Klima, ist eine Art Hebel für 218, weil er Informationen kontrolliert
Ganz bewusst setzt sich 219a an die Stelle zwischen ungewollt Schwangere und jene, die die Expert*innen sind: Ärzt*innen. Der Staat durchbricht quasi das Vertrauens- und Informationsverhältnis, setzt sich wie eine Art Gatekeeper an eine höchst sensible und private Position.
Schon dadurch allein stigmatisiert und entmündigt er, ungewollt Schwangere genauso wie Ärzt*innen, denn er signalisiert, hier geht es um Informationen, die der staatlichen Aufsicht bedürfen, weil es um strafbewehrte Dinge geht. Die Dinge sind so verboten, dass sie nicht mal
auf einer Internetseite von denen stehen dürfen, die sich am besten mit der Thematik auskennen. Stattdessen müssen die Informationen auf einer staatlichen Seite stehen. Der Staat bemächtigt sich hier eines sonst geschützten Informations-Verhältnisses zwischen zwei Individuen.
Überspitzt lässt sich sagen: Würde der Staat sich ehrlich machen und seine wahre Intention zeigen, dann würde er Infos zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlichen sondern bei Polizei und Staatsanwaltschaften.
Wenn wir an diesem Punkt der Überlegung sind, fällt sogar etwas anderes auf: Auf eine gewisse Art und Weise irrlichtert der Staat und Gesetzgeber hier vollkommen mit #219a rum. Die Frage stellt sich ja, warum außer Ärzt*innen alle anderen informieren können. Ich, Du, Sie?
Ich bin überzeugt davon, dass diese völlige Widersprüchlichkeit etwas mit der ursprünglichen Intention von 219a in den 1930er Jahren hatte, der alte 219a (§ 219 RStGB) war Baustein einer absoluten nationalsozialistischen Biopolitik und Informationskontrolle, die letztlich jede
Information kontrollieren und verbieten wollte, in diesem Fall zum Thema Schwangerschaftsabbrüche.
Wichtig ist hierbei: Es ging damals darum, Informationen zum Schwangerschaftsabbruch generell zu verbieten, vor allem in der Öffentlichkeit, und es ging insbesondere darum, Ärzt*innen zu verbieten, kund zu tun, dass sie es tun. Geblieben ist heute die Fokussierung auf Ärzte.
Meine These: Man(n) hat 1974 bei der Reform von §218 einfach die alten Paragraphen §§ 219, 220 als einen Stigmatisierungs-Paragraph 219a zusammengefasst. Und der Spirit davon war: informierende Ärzt*innen sind Täter*innen. Information ist Straftat. Das ist die furchtbare Idee

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21 Feb
Es macht mich schlicht fassungslos, dass die Bauernverbände ausländische Saisonkräfte inmitten der größten Pandemie gern fünf Monate ohne Krankenversicherung schuften lassen möchte und die @cducsubt sie auch noch dabei unterstützen möchte. @hubertus_heil darf dem nicht zustimmen.
Die Leute werden ausgebeutet, häufig betrogen, kaum eine Behörde interessiert o kontrolliert die teils unmenschlichen Bedingungen, die Leute leben teils zusammengepfercht wie Tiere und dann sollen sie auch noch riskieren, die Behandlung für ne Coronaerkrankung selbst zu bezahlen.
Braucht man doch keine Phantasie um zu wissen, wie #B117 und andere Mutationen in den Massenunterkünften grassieren werden, und die lächerlichen Auflagen für die Unterkünfte kontrolliert doch eh keiner, damit den Arbeitgebern ja keiner das Geschäft mit der Ausbeutung vermiest.
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21 Jan
Viele Journalist*innen stellen Merkel, Spahn u Co. viele Fragen zu Masken. Aber keiner fragt, ob es angesichts von Milliarden Ausgaben für Masken und einer Maskenpflicht nicht mal sinnvoll wäre, wenn der Bund selbst produzierte. Wir sind dem Markt doch völlig ausgeliefert.
Fakt ist: Das Vorgehen der Bundesregierung ist seit Beginn der Pandemie völlig widersprüchlich. Zumindest was die grundsätzliche Frage "Staatliches Handeln/Eingriff versus Freier Markt betrifft." Mit geradezu wahnsinnigen u teils streng geheimen Verträgen hat sie "eingegriffen"
Sie hat nicht nur Beschaffungsverträge zu absurden Konditionen abgeschlossen, sondern hat versucht, die hiesige Wirtschaft "anzureizen" mit Förderungen. Da hätte man ja schon sagen können, also, entweder gehts von allein oder nicht, aber bitte nicht mit Halb-Sozialismus
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21 Jan
In Portugal explodieren gerade die Zahlen und eine Katastrophe bahnt sich ihren Weg: 14700 Fälle die letzten 24 Stunden, auf 🇩🇪 ungerechnet wären das fast 120000 Neuinfektionen. 🇵🇹 hat in 🇪🇺 mit die wenigsten Intensivstations-Betten und wenig Testkapazitäten.
Die Mutation macht schon 20 Prozent der Neuinfektionen aus. Die portugiesische Regierung war verrückt genug, so wie viele Politiker*innen es hierzulande auch wollten und immer noch wollen, die Schulen die letzten Wochen offen zu lassen. Die Zahlen explodieren seitdem.
Bei den gemeldeten Zahlen handelt es sich nur um einen Teil der tatsächlichen Zahlen. Portugal verfügt nicht über genug Testkapazitäten. Jetzt hat die Regierung die Schulschließung angekündigt, quasi als Notbremse, aber für viele Tausende dürfte das zu spät sein.
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21 Jan
Die jüngsten Entwicklungen um die Ärztin @haenel_kh und ihre Verurteilung nach #219a machen erneut deutlich: Es muss dringend politisch etwas passieren. Wir haben Gesetze, die Feinden der Selbstbestimmung in die Hände spielen. Dazu ein paar Gedanken.
Wie befürchtet zeigt sich jetzt: Der faule #219a Kompromiss ist eine Art Maulkorb für Ärzt*innen. Eine Art Zensur. War bis zur Reform unklar, was an Infos sie publizieren dürfen, ist jetzt total klar: Eigentlich nichts. Lediglich, dass Sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Ärztinnen werden dadurch zum Schweigen gebracht - besser als zuvor, und besser, als es sich jene Fanatiker, die sie seit Jahren anzeigen, vielleicht erträumt haben. Hier hilft ihnen jetzt ein SPD-CDU-CSU-Gesetz. Die Fanatiker zeigen an, und Richter haben keinen Spielraum mehr.
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19 Jan
Was bitte soll der Unterschied zwischen medizinischen Masken und selbstgefertigten Stoffmasken sein, außer dass die Leute das Zeug kaufen müssen?
Wirkt eher wie der Fetisch der Zertifikat-Nation, die einen haben Prüfzeichen, die anderen nicht.
Viele scheinen es immer noch nicht zu verstehen: es gibt im Wesentlich drei verschiedene Maskenarten: 1. die Alltagsmasken, die sich das Land nach Monaten der Politikverweigerung teilweise selbst gebastelt hat. 2. Medizinische Masken (kennt man vom Zahnarzt) 3. FFP2 Masken.
Was vor dem Gipfel gerade diskutiert wird, ist: ob man statt FFP2 Pflicht, eine Pflicht für Medizinische Masken (Typ 2) einführt und damit Typ 1 in Bus und Bahn und Shops verbietet.
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12 Jan
Jetzt haben wir den Salat u es ist einen Skandal: @Markus_Soeder kündigt an, eine FFP2-Maskenpflicht im Nahverkehr und Supermarkt einzuführen. Und das, obwohl die Bundesregierung nahezu alles versemmelt hat, um für FFP2-Masken-Preise zu sorgen, die sich jeder leisten kann.
Er erdreistet sich sogar zu sagen, dass die Masken zum Teil sogar »deutlich im Überfluss, zum Teil jedenfalls, vorhanden« seien. Ganz so, als gebe es die für einen Schnäppchenpreis. Nein, diese kosten, sofern man sie nicht im Großpack bestellt, immer noch 3 bis 8 Euro das Stück.
Ein Skandal ist es auch, weil für Grundsicherungs- oder Hartz-IV-Beziehende kein einziger Euro für diese wichtigen Produkte zur Verfügung gestellt wurde und wird. Und ja, jeden Tag 3 oder 5 Euro für ne Maske ausgeben ist unmöglich wenn man gerade mal 4,85 pro Tag für Essen hat.
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