Könnten wir die Mammutsteppe wieder auferstehen lassen - ein Ökosystem, das vor zehntausenden Jahren weite Teile Eurasiens und Amerikas dominierte? Ein Experiment in Russland könnte ein Schlüssel für die Bekämpfung der Klimakatastrophe sein. (Thread)
Wo heute Tundra (mit niedrigem Bewuchs) und Taiga (mit hohen Bäumen) dominieren, war früher weites Grasland - ähnlich wie in den offenen Landschaften im Süden Afrikas, nur eben die kalte Version davon. Mit Mammuts statt Elefanten und wolligen Pferden statt Zebras.
Warum sich das geändert hat, ist nicht ganz klar. Vermutung: Der Mensch drang in diese Gegenden vor, tötete die großen Tiere. Dadurch wurden Pflanzen nicht mehr niedergetrampelt und Wälder breiteten sich aus. Das Ökosystem veränderte sich völlig.
"Pleistozän-Park" ist der Versuch, dieses Ökosystem zurückzubringen - weit im Osten Russlands, in Nordostsibirien. Man versucht dort, große Tiere anzusiedeln, die dort wieder ein Grasland entstehen lassen könnten.
Für das Klima könnte das große Vorteile bringen: Zunächst würden die Tiere im Winter dafür sorgen, dass die Schneedecke nicht so dick wäre. Dadurch würde der Boden im Winter stärker abkühlen, und das wiederum könnte den derzeitigen Verlust an Permafrostboden aufhalten.
Das ist besonders wichtig, weil im Permafrostboden viel Methan gespeichert ist, das ein noch viel stärkeres Treibhausgas ist als CO2. Taut der Boden auf und setzt das Methan frei, könnte das unser Klima kippen lassen.
Die Mammutsteppe hätte aber noch einen zweiten Klimaeffekt: Im Gegensatz zu Wald könnte so dauerhaft immer neuer Kohlenstoff gebunden werden. Das Gras stirbt ab, eine immer dickere Humusschicht entsteht, die über viele Jahrtausende Kohlenstoff speichert - das wäre die Hoffnung.
Bisher wurden dort auf 16 km² zottelige Jakuten-Pferde, Rentiere und Elche angesiedelt, und es scheint zu funktionieren. Man könnte auch Raubtiere ansiedeln, etwa sibirische Tiger. Und überlegt wird, ob es mit Gentechnik auch möglich wäre, das Mammut zurückzubringen.
Soll man das tun? Dürfen wir auf diese Weise in Ökosysteme eingreifen? Ich finde schon - aber mit Vorsicht. Es handelt sich ja um die Wiederherstellung eines Ökosystems, das bereits da war, bevor der Mensch durch die Jagd alles veränderte.
Und außerdem: Wir können die Natur nicht mehr als im Großen und Ganzen vom Menschen unabhängigen Urzustand betrachten, aus dem wir uns zurückziehen können. Wir haben alle Ökosysteme des Planeten massiv beeinflusst. Die Chance zu sagen "ok, wir halten uns raus" ist längst vorbei.
Wir haben die Welt massiv verändert, da gibt es kein zurück mehr. Und dafür müssen wir jetzt auch Verantwortung übernehmen. Wir haben gezeigt, dass wir massiv in die Natur eingreifen können - dann verwenden wir unsere Kräfte doch auf eine Weise, die der Natur (und uns) gut tut!
Begleiten muss man das natürlich mit viel Forschung. Aber dass man solche Experimente wagt, finde ich toll. Ein nordisches Grasland ungeheuren Ausmaßes, in der friedlich Herden großer Tiere herumziehen und der Boden CO2 bindet - die Vision ist jedenfalls schön.

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