Die Pandemie hat mich zum Umdenken gebracht: Wir leben nicht in einem wissenschaftlich-aufgeklärten Zeitalter, unsere Gesellschaft ist geprägt von Aberglauben und magischem Denken. Darüber zu jammern bringt nichts. Wir müssen einen Weg finden, trotzdem Probleme zu lösen. (Thread)
Lange dachte ich: Dass wir uns grundsätzlich an Fakten halten müssen, an Statistik, an Messergebnisse, an Logik, das ist doch Konsens. 250 Jahre nach dem Zeitalter der Aufklärung steht das doch nicht mehr zur Debatte!
Natürlich gibt es Leute, die esoterische Rituale statt wissenschaftlicher Medizin ausprobieren, die an Geister, Telepathie oder Wünschelruten glauben. Aber das hielt ich für eine Anomalie. Für eine ärgerliche Randerscheinung der Gesellschaft, die auch noch verschwinden wird.
Ich glaube mittlerweile, das war ein Fehler. Ich habe unterschätzt, wie tief verankert magisches Denken in uns Menschen ist - da nehme ich mich selbst keinesfalls aus. Zwischen "wissen, was richtig ist" und "fühlen, was richtig ist" klafft eine riesige Lücke.
Rational betrachtet wissen wir: Ein kurzer, harter Lockdown von vielleicht 3 Wochen, an den sich alle halten, würde die Pandemie auf harmloses Maß zurückdrängen, zumindest für einige Zeit. Wir wissen: Sich impfen lassen ist weniger gefährlich als sich nicht impfen lassen.
Wir wissen auch: Wir müssten dringend radikale Schritte gegen den Klimawandel setzen, sonst endet das übel. Aber nichts davon können wir umsetzen. Warum? Weil es am Wissen mangelt? Weil diese Dinge nicht gut erklärt werden? Weil uns irgendwelche Zahlen und Fakten fehlen? Nein.
Der Grund ist, dass wir Menschen eben nicht notwendigerweise das tun, von dem wir wissen, dass es richtig ist. Das kann man dumm nennen oder irrational, man dann laut darüber schimpfen und gelehrte psychologische Analysen schreiben. Aber das bringt nichts. Wir sind nun mal so.
Ich persönlich weiß auch, dass ich mehr Sport machen sollte. Dass ich Zahnseide benutzen sollte. Dass ich nachts weniger arbeiten sollte. Trotzdem schaffe ich den Schritt von der rationalen Erkenntnis zur konkreten Handlung extrem schwer. Da geht es uns wohl allen ähnlich.
Daher ist es wohl der falsche Weg, das rationale Handeln als Selbstverständlichkeit zu sehen, und jede Irrationalität als bloße Abweichung, die zurechtgebogen werden muss. Wir müssen anerkennen, dass wir irrationale Wesen sind.
Wenn wir rational über uns selbst nachdenken, wäre es irrational, unsere Irrationalitäten nicht mitzubedenken. Wir müssen rational mit unseren Irrationalitäten umgehen. Sie zu leugnen und so zu tun als wären wir streng rational - das wäre irrational.
Das Schwierige daran: Das Lösen von Problemen wie etwa der Klimakatastrophe wird noch schwieriger. Es genügt nicht, zu überlegen, wie man handeln sollte, wir müssen auch noch überlegen, wie wir uns irrationale Wesen auch tatsächlich dazu bringen können, das Richtige zu tun.
Aber ich glaube, wir müssen es tatsächlich so versuchen: Unsere Irrationalität als Tatsache annehmen und in unsere Strategie einbauen - anstatt darüber zu schimpfen und täglich enttäuscht zu sein, dass unlogisch gehandelt wird. Vulkanier sind von Vulkan. Menschen von der Erde.
Vielleicht ist das eine Chance: Vielleicht war die Grenzziehung zwischen "Verstand" und "Gefühl" nie richtig. Beides gehört zusammen. Vielleicht ist die künstliche Trennlinie dazwischen der wahre Grund, dass der Geist der Aufklärung sich nicht wirklich durchgesetzt hat.
Vielleicht sollten wir die Rationalitäts-Anforderungen an uns selbst ein bisschen entspannen - und dann gemeinsam überlegen, wie wir konkrete Probleme lösen. Trotzdem. Oder jetzt erst recht.
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Ein Thread zu Astra Zeneca: Jetzt ist genau das eingetreten, worüber Epidemiologen seit Monaten reden: Wenn man Millionen Menschen impft, dann werden manche von ihnen ein paar Tage danach sterben. Das ist klar. Das heißt aber nicht, dass die Impfung der Grund dafür ist.
Auch unter den Leuten, die heute in Europa Karotten essen, werden in den nächsten Tagen manche sterben. Oder unter den Leuten, die heute blaue Schuhe tragen. Krankheit oder Todesfall ein paar Tage nach einem Ereignis ist zunächst kein Grund, beides in Verbindung zu bringen.
Was man sich ansehen muss: Gibt es einen statistischen Zusammenhang? Sterben unter den Leuten, die geimpft wurden (oder Karotten essen, oder blaue Schuhe tragen) prozentuell mehr als bei der Gesamtbevölkerung? Und bisher sagen die Zahlen: Nein.
10 Jahre nach Fukushima stelle ich fest: Kernenergie ist ein vergiftetes Thema. Man kann darüber nicht mehr vernünftig diskutieren, überall flammt nur noch Hass hoch. Das nehme ich zur Kenntnis, aber es ist schade, denn es gäbe kluge Argumente dafür und dagegen. (Thread)
Dass Kernenergie massive Nachteile hat, wissen wir alle: Ein Reaktorunfall wie der in Chernobyl ist etwas wirklich Übles. Zwar sterben derzeit in Europa alle paar Tage mehr Leute an COVID19 als jemals an Folgen von Reaktorkatastrophen gestorben sind, aber das ist kein Argument.
Etwas Übles wird nämlich nicht dadurch besser, dass man auf etwas noch Schrecklicheres verweist. Dazu kommt der Atommüll - ein Problem auf einer Zeitskala von vielen Jahrtausenden (oder, mit Transmutation, zumindest Jahrhunderten).
Es ist ärgerlich, wenn bei jeder klimafreundlichen Technologie wieder ein Haar in der Suppe gesucht wird. Ja: Auch Batterieherstellung verursacht Schäden. Und Windräder töten manchmal Vögel. Alles hat Nachteile. Aber das ist bloß Immunisierung gegen Veränderung. (Thread)
Man kann nicht erst dann etwas umsetzen, wenn es perfekt ist. Das hat noch nie funktioniert. Medikamente haben Nebenwirkungen, trotzdem soll man sie nehmen. Technik bringt Gefahren, trotzdem kann sie die Welt verbessern. Perfektion zu verlangen verhindert jede Veränderung.
Das ist natürlich praktisch, wenn man nichts ändern will: "Technologie X benötigt Element Y. Das wird in Land Z auf umweltschädliche Weise abgebaut. Daher ist Technologie X umweltschädlich." Mit dieser assoziativen Kontaktschuld-Strategie kann man immer alles schlechtreden.
Der Physiker Roland Wiesendanger von der @unihh publizierte eine "Studie", die nachweisen soll, dass SARS COV-2 aus einem Labor stammt. Ich habe mir das jetzt ein bisschen angesehen und bin etwas schockiert. Was ging da alles schief? (Thread) zdf.de/nachrichten/po…
Zunächst: Der Autor ist nicht vom Fach, er ist Physiker. Das ist ok, das heißt nicht, dass er nichts zu Coronaviren sagen darf. Ich bin auch Physiker. Unterschied: Ich stelle keine eigenen Theorien zu Coronaviren auf, die dem Befund der Experten widersprechen. Er schon.
Wenn man dem Konsens der Experten widerspricht, ganz besonders, wenn man selbst nicht vom Fach ist, muss man ein ganz besonders großes Gewicht an Argumenten vorlegen. Tut er das? Sehen wir uns seine Studie an. Er behauptet, ein ganzes Jahr lang daran gearbeitet zu haben.
Perseverence landet am Mars! Es wird wunderbar! Mein Lieblingsdetail daran ist ein Gerät, das vorerst noch gar keine Daten über den Mars liefern wird: Der Helikopter Ingenuity. Eigentlich eine völlig verrückte Idee. (Thread)
Das Hauptziel der Mission ist, den High-Tech Mars-Rover Perseverence Messungen durchführen zu lassen. Aber zusätzlich ist eben auch der Mini-Helikopter Ingenuity dabei. Zum ersten mal wird ein motorisierter, kontrollierter Flug auf einem fremden Planeten stattfinden.
Das ist überhaupt keine naheliegende Idee. Eigentlich ist der Mars nämlich völlig ungeeignet dafür: Seine Atmosphäre ist extrem dünn (ca. 1% der Dichte der Erdatmosphäre). Ein Helikopterblatt findet also kaum Luftmoleküle, um sich abzustoßen. Es ist wie Sprinten auf Glatteis.
Gerade WEIL mir internationale Gerechtigkeit sehr am Herzen liegt, ärgere ich mich über die Behauptung, Biontech/Pfizer müssten nur die bösen Patente fallen lassen, und schon könnte man überall auf der Welt Impfstoffe basteln. Nein, so läuft das nicht. (Thread)
Man kann nicht einfach irgendwo im improvisierten Garagenlabor Impfstoffe herstellen, auch wenn man die "Rezeptur" dafür kennt. Das klappt vielleicht mit Crystal Meth, aber nicht mit mRNA-Impfstoffen. Das stellen sich offenbar manche Leute zu einfach vor.
Es geht dabei nicht nur um die mRNA-Sequenz selbst, die Biontech entwickelt hat. mRNA ist höchst instabil, man braucht allerlei Tricks, um sie in passende Lipid-Nanopartikel einzupacken. Dafür braucht man passende Maschinen, erfahrenes Personal und vieles mehr.