Weil sich hier gerade einige Leute darüber empören, dass meine Prognose falsch war und die Inzidenz Anfang April nicht bei bei 200 liegt: Hier der bundesweite Inzidenzverlauf seit meiner Prognose, von 67 am 1.3. auf 144 am 1.4. auf aktuell 130.
Angesicht dieser Kurve hier im Februar hätte ja ein Halbblinder sehen können, dass das im März nie auf 200 gehen kann. Höchstens 144! Das sieht man doch ganz klar! Wie konnte ich nur 200 sagen?!!
Ich entschuldige mich also für meine unseriöse Panikmache bei all denen, die jetzt aus lauter Angst vor den 200 unnötig Masken und Vorräte gekauft und ihren Urlaub abgesagt haben, wo doch bei 144 alles ganz sicher ist.
Ausgenommen natürlich die Thüringer und die Sachsen, wo die Inzidenz noch über 200 liegt: Ihr dürftet euch eigentlich nicht beschweren, oder?
Und vielleicht auch nicht, wer im fünftel der Landkreise wohnt, wo die Inzidenzen deutlich über 200 liegen. Aber alle anderen: Ihr solltet nie wieder auf mich hören, so wie ich mit dieser 4-Wochen-Prognose daneben lag.
Alles faule Ausreden, höre ich einige rufen. 200 waren vorausgesagt, wir sind bei 130, und jetzt kommt die Saisonalität und der Spuk ist bald vorbei. Im Ernst: Jedes Frohlocken darüber, dass meine Prognose von 200 nicht eingetreten, halte ich für mindestens verfrüht.
Die Deutschen sind nicht so maßnahmenmüde, wie es im März den Anschein hatte, und für viele waren und sind die 144 Anlass zur Beunruhigung. Oh, und ich bilde mir ein, vielleicht ein ganz bisschen dazu beigetragen zu haben, dass es die 200 nicht geworden sind.
Wie es jetzt weiter geht hängt stark von Schulen und Kitas ab, und wann und im welchem Umfang die öffnen werden. Werden die öffnen, werden wir wieder steigende Zahlen sehen, und kommen noch weitere Öffnungen dazu, wonach es derzeit weniger aussieht, ...
...werden wir die 200 noch sehen. Sollten wir aber weitgehend öffnen und die Zahlen sinken trotzdem im Großen und Ganzen weiter, dann müsste ich in der Tat einräumen, die Sache grundsätzlich falsch eingeschätzt zu haben.
Wie ich auf die 200 gekommen bin? Ich fand, das ist eine schöne, runde Zahl. Die zufällig in der Nähe dessen lag, was ein im Mittel um 0,1 höherer R-Wert an Steigerung in dem Zeitraum bringen würde, die ich wiederum aus der Variantenausbreitung und höheren B117-Attack-Rate ...
...abgeschätzt hatte, die ich da noch mit +40% beziffert hatte, aber da das nur bei Kindern der Fall ist und über alle Altergruppen eher +30% richtig sind, lag ich etwas drüber, und an Ostern hatte ich auch nicht gedacht. Im Mittel waren es eher 0,07 mehr R im März und nicht 0,1.
Tatsächlich habe ich für Abschätzung ca. 30 Sekunden gebraucht, das meiste im Kopf gerechnet, nur zum Potenzieren habe ich den Taschenrechner genommen. Dafür lag ich, finde ich, gar nicht so schlecht, aber das muss jeder selbst beurteilen.
Grundsätzlich sind Modellierungen über einen Zeitraum von 4 Wochen oder länger immer sehr fehlerbehaftet, und aus den reinen Zahlen selbst kann man nicht mehr als ein paar Tage vorhersagen.
Eine Prognose über längere Zeit muss auch das Verhalten von Politik und Öffentlichkeit mit einberechnen, sowie Maßnahmenmüdigkeit, individuelle Reaktionen auf steigende Zahlen und natürlich Wetter und Impffortschritt.
Tatsächlich habe ich einfach Glück gehabt, dass meine Abschätzung im Rahmen lag, denn für vieles fehlt nicht nur eine hinreichend genaue Datengrundlage, manches ist auch nicht gut vorhersagbar, angefangen beim Wetter bis hin zur Stimmung in Gesellschaft und Politik.
Ach ja, und so etwas wie der Auftritt von Angela Merkel bei Anne Will kann auch erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Situation in Bevölkerung und Politik haben und den R-Wert beeinflussen.
Und zu guter Letzt gibt es offenbar ein Kommunikationsproblem, an dem ich nicht ganz unschuldig bin. Normalerweise schreibe ich an meine Prognosen "wenn wir nicht mehr tun" dran, und Anfang März hatte ich da weniger Hoffnung als jetzt.
So kann ich das Präventionsparadox für mich in Anspruch nehmen, wenn mehr getan wurde, und ich habe das Gefühl, dass seit die Kanzlerin Krach gemacht hat, Lockerungen nicht mehr so angesagt sind wie im März, im Gegenteil, und das sollte sich auch in den Zahlen niederschlagen.
Ich hoffe, dass wir mit geeigneten Maßnahmen die Zahlen jetzt in den Griff kriegen, was dann zwar den Schönheitsfehler hat, dass Einige den Schluss daraus ziehen werden, dass es das Wetter war und wir die Maßnahmen gar nicht gebraucht hätten, aber das nähme ich für ...
...niedrige Zahlen gern in Kauf. Ist auch mein Geld. Schulen und Kitas, davon wird es wohl abhängen. Aktuell besteht zumindest Hoffnung auf eine richtige Trendwende, aber die Stimmung kann ganz schnell wieder umschwenken, wenn die Zahlen etwas sinken.
Positiv ist, dass die #B117-Variante jetzt so weit verbreitet ist, dass nicht mehr allzu viel mehr R dazukommen wird bis 100%, +0,03 vielleicht, wobei das regional noch anders sein kann. Etwas helfen tut uns mittelfristig das Wetter und die Impfungen, aber das geht alles langsam.
Der Haupteinfluss ab jetzt ist unser Verhalten: Steigen die Zahlen bald, liegt das an uns, und fallen sie weiter, könnten wir uns das zu Recht als Verdienst anrechnen, so, wie nach der 1. Welle.

Bleibt gesund. Masken helfen. Auch im Freundeskreis. Schützt eure Freunde. Und euch.

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