Und wieder schreiben mich Leute an: "Die Wissenschaft weiß doch auch nicht alles! Nur weil man nicht erklären kann, wie XXX wirkt, glaubt man nicht daran! Das ist Arroganz!"
Nein. Das ist ein großes und gefährliches Missverständnis. Also noch einmal von vorn. (Thread)
Niemand in der Wissenschaft lehnt etwas ab, weil man nicht weiß, wie es wirkt. Ich verstehe gar nicht, wie man überhaupt auf diese Idee kommen kann. Das wäre doch genau das Gegenteil von dem, was Wissenschaft ausmacht.
Wie stellt man sich das vor? Dass jemand ein erfolgreiches Experiment macht, und dann sagt: Es darf eigentlich nicht funktionieren, also glaube ich nicht daran!
Wirklich? Kann sich irgendwer tatsächlich vorstellen, dass irgendein Wissenschaftler auf der Welt so blöd sein könnte?
Das Gegenteil ist wahr: Die Wissenschaft ist voll von Phänomenen, deren Mechanismus man noch nicht versteht. Galaxien benehmen sich anders als gedacht? Dann denken wir eben über dunkle Materie nach! Keiner weiß, was sie genau ist, aber man kann sie untersuchen!
Ein Medikament wirkt, aber niemand weiß warum? Tolle Sache! Dann wird es zugelassen. Und hoffentlich forscht man weiter, denn wenn man zusätzlich auch noch herausfindet, auf welche Weise es wirkt, kann man es vielleicht sogar noch besser machen. Das ist Wissenschaft!
Dinge zu untersuchen, deren Wirkungsweise man nicht versteht, ist genau die Alltagsarbeit in der Forschung. Genau darum geht es. Deswegen ist es so absurd, wenn der Vorwurf kommt: "Ihr könnt es nicht erklären, daher lehnt ihr es ab!" Nein, niemand tut das!
Die Wissenschaft weiß auch nicht alles. Das hat auch nie jemand behauptet, der sich ernsthaft mit Wissenschaft befasst. Aber Achtung! Das heißt nicht, dass man nichts weiß, oder dass man deshalb alles irgendwie für möglich erklären kann.
Wenn etwas nämlich nicht wirkt, dann kann man zeigen, dass es nicht wirkt. Und dann ist es völlig sinnlos, über Wirkmechanismen zu diskutieren - denn es wirkt ja nicht. Im Bereich der Alternativmedizin passiert das sehr oft.
Wenn ich beweisen will, dass in meinem Keller kein Drache wohnt, dann muss ich nur in den Keller gehen und das Licht einschalten. Es ist sinnlos zu sagen "aber du weißt gar nicht, woher Drachen kommen!" Das ist egal. Hier ist kein Drache. Darum ging es. Der Fall ist erledigt.
Wenn ich zeige, dass Wünschelruten und Pendel dieselbe Erfolgsquote haben wie zufälliges Raten, dann muss ich nicht überlegen, welche kosmischen Energien hier wirken. Hier wirkt gar nichts.
Und wenn alte tradierte Heilmethoden nicht besser wirken als ein Placebo, dann muss ich nicht über alte, längst überholte Körper-Lehren nachdenken. Wenn hier nichts wirkt, gibt es auch nichts, dessen Wirkung erklärt werden müsste.
Ich muss nicht wissen, WARUM etwas wirkt oder da ist, um zu zeigen, OB es wirkt oder da ist. Wissenschaft ist prinzipiell unvollständig. Klar: Vieles ist noch nicht untersucht. Das heißt aber nicht, dass man nicht über das, was man untersucht hat, etwas sagen kann.
Dass sich die Wissenschaft ständig erweitert, wird ihr dann von Wissenschaftsfeinden als Nachteil ausgelegt: "Dann ist sie ja nicht verlässlich!"
Doch. Sie ist nur offen. Das heißt nicht, dass man nichts weiß. Und falsche Behauptungen kann man klar widerlegen.
Für alle, die das interessiert: Viel ausführlicher, mit vielen Beispielen und Geschichten, erkläre ich das in meinem Buch: "Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl" brandstaetterverlag.com/buch/die-schwe…

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14 Apr
Was ist diese Uran-Anreicherung nun genau, über die der Iran mit den USA streitet? Was passiert dabei und warum? Ein Thread.
Radioaktiver Zerfall ist normalerweise rein zufällig. Er passiert ganz spontan und unvorhersagbar - etwa wenn ein radioaktives Atom sich in ein anderes Atom umwandelt und dabei ein winziger Heliumkern (2 Protonen, 2 Neutronen) aus dem Atom hinausgeschossen wird (Alphazerfall).
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Read 17 tweets
3 Apr
Könnten wir die Mammutsteppe wieder auferstehen lassen - ein Ökosystem, das vor zehntausenden Jahren weite Teile Eurasiens und Amerikas dominierte? Ein Experiment in Russland könnte ein Schlüssel für die Bekämpfung der Klimakatastrophe sein. (Thread)
Wo heute Tundra (mit niedrigem Bewuchs) und Taiga (mit hohen Bäumen) dominieren, war früher weites Grasland - ähnlich wie in den offenen Landschaften im Süden Afrikas, nur eben die kalte Version davon. Mit Mammuts statt Elefanten und wolligen Pferden statt Zebras.
Warum sich das geändert hat, ist nicht ganz klar. Vermutung: Der Mensch drang in diese Gegenden vor, tötete die großen Tiere. Dadurch wurden Pflanzen nicht mehr niedergetrampelt und Wälder breiteten sich aus. Das Ökosystem veränderte sich völlig.
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31 Mar
Bernoulli und das Schiff:
Es hieß zuerst, ein Sturm sei Schuld daran gewesen, dass die Ever Given im Suezkanal auf Grund lief. Möglicherweise war es aber ein wohlbekanntes Phänomen aus der Strömungslehre, der sogenannte "Bank effect" (Ufereffekt). (Thread)
Der Grundgedanke ist einfach: Wo eine Strömung schnell fließt, ist der Druck gering. Das ist das Bernoulli-Prinzip. Wenn ich ein Blatt Papier in die Hand nehme und darüberpuste, bewegt es sich nach oben - nicht nach unten, wie man vielleicht erwarten könnte.
Die Strömungsgeschwindigkeit ist oben hoch, unten bewegt sich die Luft nicht. Oben wird somit der Druck gesenkt, das Blatt bewegt sich nach oben. Derselbe Effekt lässt Flugzeuge fliegen.
Read 10 tweets
31 Mar
Ist klassische Musik rassistisch? Dieser virale Artikel ist ein schönes Beispiel für unsere problematische Diskussionskultur.
Natürlich wäre es dumm, klassische Musik aus der Universität zu drängen. Aber wer hat vor dem Teilen überprüft, ob das wirklich jemand fordert? (Thread)
Der Artikel transportiert kaum Information, er zielt bloß darauf ab, eine heiße politische Diskussion anzufeuern. Offenbar ist das gelungen, und das ist schade. Am besten stoppt man das, indem man selbst bei dieser Emotions-Eskalation nicht mitmacht und mal kurz durchatmet.
Würde die Uni Oxford Mozart und Beethoven aus ihren Lehrplänen verbannen um nicht "kolonialistisch" sein zu wollen, dann wäre das tatsächlich katastrophal. Klassische Musik ist ein Kulturschatz, den wir natürlich bewahren wollen.
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30 Mar
Schon wieder höre ich wiederholt das Argument: "Es gibt zu viele Menschen! Wir müssen die Bevölkerungszahl reduzieren, wenn wir das Klima retten wollen!" Das ist ein Denkfehler. (Thread)
Es ist natürlich wahr: Unser Ressourcenverbrauch ist gewaltig. Und wenn viele Menschen zu viele Ressourcen verbrauchen, ist das ein größeres Problem als wenn wenige Menschen das tun. Aber das heißt nicht, dass eine kleinere Bevölkerungszahl das Klima retten würde!
Laut einer Oxfam-Studie ist das reichste Prozent der Welt für 15% der CO2-Emissionen verantwortlich. Die reichsten 10% für rund die Hälfte. de.statista.com/infografik/229…
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29 Mar
Was mich an Frachtschiffen verblüfft: Wie unbekümmert man Container stapelt und der Hochsee aussetzt. Das geht auch oft nicht gut: Jährlich gehen hunderte solche Container verloren, bei großen Unfällen oft auf einen Schlag viel mehr. Berühmt wurde die Geschichte der Ever Laurel:
Im Jahr 1992 verlor die Ever Laurel mitten im Nordpazifik drei Container. Darin enthalten: Tausende gelbe Plastikenten und andere Kunststofftiere. Das wissenschaftlich Spannende daran: An ihnen konnte man Meeresströmungen studieren.
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