Was ist diese Uran-Anreicherung nun genau, über die der Iran mit den USA streitet? Was passiert dabei und warum? Ein Thread.
Radioaktiver Zerfall ist normalerweise rein zufällig. Er passiert ganz spontan und unvorhersagbar - etwa wenn ein radioaktives Atom sich in ein anderes Atom umwandelt und dabei ein winziger Heliumkern (2 Protonen, 2 Neutronen) aus dem Atom hinausgeschossen wird (Alphazerfall).
Es kann aber auch passieren, dass ein Neutron herumfliegt, auf ein Atom trifft, eingefangen wird und das Atom dazu bringt zu zerfallen. Dann wird nicht nur ein kleines Bruchstück rausgeschossen, sondern es entstehen ev. 2 Teile vergleichbarer Größe - und ev. weitere Neutronen.
Die entscheidende Frage ist nun: Kann das eine Kettenreaktion bewirken? Ist es möglich, dass bei dieser durch ein Neutron ausgelösten Spaltung Neutronen entstehen, die ihrerseits die nächste Spaltung auslösen können, und immer so weiter?
Damit das möglich ist, muss die Energiebilanz stimmen. Das Neutron muss genug Energie liefern, damit die Bindungsenergie des Atoms überwunden werden kann. Und die wegfliegenden Neutronen müssen wieder dieselbe Energie haben um denselben Prozess ebenfalls auslösen zu können.
Und diese Energiebilanz ist bei jedem Atom Unterschiedlich. Bei Uran gibt es zwei wichtige Isotope: Die häufigste Variante ist Uran238 - 92 Protonen und 146 Neutronen. Es kann durch Neutronen gespalten werden, ist aber nicht zu einer Kettenreaktion fähig, die Energie passt nicht.
Beim viel selteneren Uran235 (auch 92 Protonen, aber nur 143 Neutronen) ist das anders: Wenn es durch ein Neutron gespalten wird, ensteht Barium, Krypton und 3 Neutronen - und die haben die passende Energie, um dieselbe Reaktion noch einmal auszulösen.
Boom! Kettenreaktion!
Wer eine Uranbombe bauen will, braucht also Uran235. Es macht aber weniger als 1% des natürlichen Urans aus. Wie kann man nun die Uran235-Atome von den Uran238-Atomen trennen? Dafür gibt es verschiedene Methoden.
Wenn man Uran Atom für Atom sortieren will, muss man zuerst dafür sorgen, dass einzelne Uran-Atome auch einzeln vorliegen. Uran bleibt aber chemisch nicht gern alleine, man muss also wohldefinierte Moleküle erzeugen, wo in jedem nur 1 Uranatom vorkommt.
Ein guter Kandidat ist Uranhexafluorid (UF6) aus 1 Uranatom und 6 Fluoratomen. Fluor ist praktisch, weil in der Natur nur 1 Isotop vorkommt, nämlich Fluor19, mit 9 Protonen und 10 Neutronen. Daher weiß man: Wenn 2 UF6-Moleküle unterschiedlich schwer sind, muss das am Uran liegen.
Das UF6 in gasförmigem Zustand in eine rotierende Zentrifuge. UF6-Moleküle, in denen ein Uran238-Atom eingebaut ist, sind etwas schwerer als UF6-Moleküle, die U235 enthalten. Sie bewegen sich daher tendenziell eher nach außen.
Mächtiger ist bei modernen Zentrifugen aber ein zweiter Effekt: Man sorgt für einen Temperaturunterschied zwischen oben und unten, so entstehen Konvektionsströme im Gas, und am Ende hat man oben mehr U235 und unten mehr U238.
Die Trennung ist alles andere als sauber. Aber wenn man das Gas oben absaugt, enthält es einen geringfügig höheren Anteil an U235-Atomen als am Anfang. Und das kommt dann in die nächste Zentrifuge. Immer und immer wieder, um den U235-Anteil Schritt für Schritt zu erhöhen.
Weil der Masseunterschied zwischen den Molekülen mit unterschiedlichen Uran-Isotopen so klein ist, ist das mühsam und energieaufwändig. Daher ist es für den Iran auch nicht so einfach, mal eben rasch eine Zentrifuge zu bauen, mit der man hochangereichertes Uran herstellen kann.
Aber angeblich hat der Iran nun zu 20% angereichertes Uran - also Uran, bei dem nicht mehr weniger als 1% der Atome U235 sind, sondern 20%. Das ist viel mehr als die 3-5%, die man für Kernreaktoren braucht, aber noch weniger als die ca. 85%, die man für eine Uranbombe benötigt.
Man sieht aber: Der Weg von <1% auf 20% ist ein viel größerer Faktor als von 20 auf 85%. Wenn man schon so weit ist, kann man also relativ schnell zu waffenfähigem Uran kommen. Und darum geht es nun bei den Atomverhandlungen mit dem Iran in Wien.
Wie auch immer: Kernphysik ist viel zu spannend um sie für idiotische Dinge wie Bomben zu verwenden. Seid nett zu einander! ☮️⚛️
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Und wieder schreiben mich Leute an: "Die Wissenschaft weiß doch auch nicht alles! Nur weil man nicht erklären kann, wie XXX wirkt, glaubt man nicht daran! Das ist Arroganz!"
Nein. Das ist ein großes und gefährliches Missverständnis. Also noch einmal von vorn. (Thread)
Niemand in der Wissenschaft lehnt etwas ab, weil man nicht weiß, wie es wirkt. Ich verstehe gar nicht, wie man überhaupt auf diese Idee kommen kann. Das wäre doch genau das Gegenteil von dem, was Wissenschaft ausmacht.
Wie stellt man sich das vor? Dass jemand ein erfolgreiches Experiment macht, und dann sagt: Es darf eigentlich nicht funktionieren, also glaube ich nicht daran!
Wirklich? Kann sich irgendwer tatsächlich vorstellen, dass irgendein Wissenschaftler auf der Welt so blöd sein könnte?
Könnten wir die Mammutsteppe wieder auferstehen lassen - ein Ökosystem, das vor zehntausenden Jahren weite Teile Eurasiens und Amerikas dominierte? Ein Experiment in Russland könnte ein Schlüssel für die Bekämpfung der Klimakatastrophe sein. (Thread)
Wo heute Tundra (mit niedrigem Bewuchs) und Taiga (mit hohen Bäumen) dominieren, war früher weites Grasland - ähnlich wie in den offenen Landschaften im Süden Afrikas, nur eben die kalte Version davon. Mit Mammuts statt Elefanten und wolligen Pferden statt Zebras.
Warum sich das geändert hat, ist nicht ganz klar. Vermutung: Der Mensch drang in diese Gegenden vor, tötete die großen Tiere. Dadurch wurden Pflanzen nicht mehr niedergetrampelt und Wälder breiteten sich aus. Das Ökosystem veränderte sich völlig.
Bernoulli und das Schiff:
Es hieß zuerst, ein Sturm sei Schuld daran gewesen, dass die Ever Given im Suezkanal auf Grund lief. Möglicherweise war es aber ein wohlbekanntes Phänomen aus der Strömungslehre, der sogenannte "Bank effect" (Ufereffekt). (Thread)
Der Grundgedanke ist einfach: Wo eine Strömung schnell fließt, ist der Druck gering. Das ist das Bernoulli-Prinzip. Wenn ich ein Blatt Papier in die Hand nehme und darüberpuste, bewegt es sich nach oben - nicht nach unten, wie man vielleicht erwarten könnte.
Die Strömungsgeschwindigkeit ist oben hoch, unten bewegt sich die Luft nicht. Oben wird somit der Druck gesenkt, das Blatt bewegt sich nach oben. Derselbe Effekt lässt Flugzeuge fliegen.
Ist klassische Musik rassistisch? Dieser virale Artikel ist ein schönes Beispiel für unsere problematische Diskussionskultur.
Natürlich wäre es dumm, klassische Musik aus der Universität zu drängen. Aber wer hat vor dem Teilen überprüft, ob das wirklich jemand fordert? (Thread)
Der Artikel transportiert kaum Information, er zielt bloß darauf ab, eine heiße politische Diskussion anzufeuern. Offenbar ist das gelungen, und das ist schade. Am besten stoppt man das, indem man selbst bei dieser Emotions-Eskalation nicht mitmacht und mal kurz durchatmet.
Würde die Uni Oxford Mozart und Beethoven aus ihren Lehrplänen verbannen um nicht "kolonialistisch" sein zu wollen, dann wäre das tatsächlich katastrophal. Klassische Musik ist ein Kulturschatz, den wir natürlich bewahren wollen.
Schon wieder höre ich wiederholt das Argument: "Es gibt zu viele Menschen! Wir müssen die Bevölkerungszahl reduzieren, wenn wir das Klima retten wollen!" Das ist ein Denkfehler. (Thread)
Es ist natürlich wahr: Unser Ressourcenverbrauch ist gewaltig. Und wenn viele Menschen zu viele Ressourcen verbrauchen, ist das ein größeres Problem als wenn wenige Menschen das tun. Aber das heißt nicht, dass eine kleinere Bevölkerungszahl das Klima retten würde!
Laut einer Oxfam-Studie ist das reichste Prozent der Welt für 15% der CO2-Emissionen verantwortlich. Die reichsten 10% für rund die Hälfte. de.statista.com/infografik/229…
Was mich an Frachtschiffen verblüfft: Wie unbekümmert man Container stapelt und der Hochsee aussetzt. Das geht auch oft nicht gut: Jährlich gehen hunderte solche Container verloren, bei großen Unfällen oft auf einen Schlag viel mehr. Berühmt wurde die Geschichte der Ever Laurel:
Im Jahr 1992 verlor die Ever Laurel mitten im Nordpazifik drei Container. Darin enthalten: Tausende gelbe Plastikenten und andere Kunststofftiere. Das wissenschaftlich Spannende daran: An ihnen konnte man Meeresströmungen studieren.
Erste Plastikenten wurden Ende 1992 in Alaska angespült. Aber nicht nur dort, sie verbreiteten sich bemerkenswert weit: Sie kamen in Chile an, in Australien und Indonesien, und in den 2000ern sogar in Europa.