"Man kann doch X nicht mit Y vergleichen!" ist eine beliebte Immunisierungsstrategie. Doch. Man kann alles mit allem vergleichen. Auch COVID-Tote mit Flugzeugabsturzopfern. Oder Long Covid mit potenziellen Folgen von Herbizid-Spuren im Salat. (Thread)
Natürlich kann man geteilter Meinung darüber sein, ob ein Vergleich zielführend ist, welchen Subtext er transportiert und ober er wichtige Gedanken außer Acht lässt. Das ist ja der Zweck eines Vergleichs: Darüber nachzudenken, wo es Gemeinsamkeiten gibt - und wo sie enden.
Ich habe heute einen Zahlenvergleich gebracht, um zu illustrieren, dass COVID viel mehr Leute tötet als die Reaktorkatastrophe von Chernobyl, und erntete dabei einiges an Entrüstung: "Das kann man doch nicht so sagen! Das ist eine Verharmlosung von Chernobyl!"
Nein, ist es nicht.
Man darf kein Unglück relativieren, mit dem Hinweis auf ein noch schlimmeres Unglück. Es gibt immer etwas noch Schlimmeres. Wenn sich jemand das Bein bricht, tut das nicht weniger weh, weil sich jemand anderer den Schädel bricht. Aber wir müssen Relationen im Auge behalten.
Jeder Mensch hat seine eigene Risikobereitschaft. Wo wir die Grenze ziehen, zwischen Dingen, die wir gefährlich finden und Dingen, die wir für harmlos halten, muss jeder selbst entscheiden. Das wird ein draufgängerischer Skydiver sicher anders beurteilen als z.B. ich.
Aber es ist irrational, etwas für harmlos zu halten, das objektiv gefährlicher ist als etwas, wovor man Angst hat. Und es ist irrational, sich vor etwas zu fürchten, was harmloser ist als etwas, was man ungefährlich findet. Und um das einzuschätzen, brauchen wir Zahlen.
Und diese Zahlen sagen uns ziemlich klar: Wie man es dreht und wendet - COVID ist furchtbar viel schlimmer als praktisch alle anderen Dinge, vor denen wir bisher so Angst hatten (ausgenommen der Klimakollaps). Und ähnlich wie Reaktorkatastrophen wäre das verhinderbar gewesen.
Und ich finde, eine rational agierende Gesellschaft muss das anerkennen. Wir sollten uns das volle Ausmaß unseres Versagens in der Pandemie bewusst machen. Das kann man nicht wegwischen mit der entrüsteten Behauptung "das kann man doch nicht vergleichen!"
Ich weiß: Man wird nach der Pandemie wieder irgendwelche kleinen Probleme großreden, und auf den Titelseiten dieselbe Schriftgröße verwenden wie bei der Meldung über zehntausende COVID-Tote. Auch wenn es sich nur um einzelne Verdachtsfälle von "Chemie im Spinat" handelt.
Es wird Terroranschläge geben und man wird ergriffene Reden halten, dass man nun zusammen Entschlossenheit zeigen muss. Das ist auch in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, jetzt zu verdrängen, dass unsere derzeitige Situation eine Katastrophe ganz anderer Größenordnung ist.
Jeder einzelne Tod ist gleich schrecklich, egal welche Katastrophe der Grund war. Aber für politische Entscheidungen spielt es schon eine Rolle, wie viele Menschen woran sterben. Das ist kein technokratisch-kaltes Hantieren mit Statistik, sondern rationales Entscheiden.
Und deshalb finde ich es wichtig, Zahlen in Relation zu setzen und uns allen immer wieder klar zu machen: COVID-19 ist ein ernstes Problem. Ein richtig ernstes. Eines, das viel schlimmer ist als viele andere Dinge, die wir auch schon für schlimm gehalten haben.

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