Immer öfter ziehen Politiker als Ass jene Weisheit aus dem Ärmel, dass es ja keine Rezepte, keinen Masterplan für die Pandemiebekämpfung gebe; jede Gemeinschaft würde per Definition einen Trial-and-Error Prozess durchgehen müssen.
2/ Dies ist für mich immer eine hochinteressante Aussage, zumal sie ein entscheidendes Element voraussetzt, welches aus gutem Grund nicht genannt wird: dass nämlich die Interessen der Wirtschaft, die Produktion von den Maßnahmen weitgehend unberührt bleiben.
3/ Wenn man dies voraussetzt – und nur dann! – stimmt der Satz. Wenn man tatsächlich als gegeben ansieht, dass die Betriebe voll sind, die ÖPNV voll sind, und die Schulen voll sind, dann bringen diese alleine schon so viele Kontakte mit sich,
4/ dass die Epidemiebekämpfung auch eine *intellektuelle* Herausforderung wird, und man tatsächlich den privaten Bereich sehr arg begrenzen muss, damit das Geschehen beherrschbar bleibt.
5/ Lässt man diese Annahme weg, so ist die Weisheit natürlich grob falsch: man weiß ganz genau, wie man Inzidenzen ohne solcher künstlichen Rahmenbedingungen recht schnell und wirksam runterprügelt.
6/ Aber genau diese Frage; das Bestehen oder Fehlen dieser Rahmenbedingung ist zentral in der ganzen politischen Auseinandersetzung mit Covid.
7/ Zentral, aber weitgehend unausgesprochen denn die gesamte Politik ist sich offenbar in dieser Frage faktisch einig, und hat somit kein Interesse, überhaupt eine Diskussion darüber zu eröffnen - in welchem Vorhaben sie von den Medien leider weitgehende Unterstützung erfährt.
8/ Ich bin überzeugt, die aus dieser Spannung entwachsende grundlegende Unehrlichkeit des gesamten Diskurses und die Eingeengtheit des strategischen Raums sind maßgeblich für sowohl die schwache Leistung der Politik als auch fürs allgemeine Unbehagen und Wütigkeit verantwortlich.
9/ Zum einen führt es ja auf der Maßnahmen-Ebene zur Einseitigkeit in der Verteilung der Lasten – der Privatbereich erfährt langfristig sehr bedeutende Einschränkungen, und muss diese trotzdem als sinnlos erfahren, zumal sie das Infektionsgeschehen nicht runterbringen.
10/ Dazu kommt aber, dass auf der kommunikativen Ebene zwei hochmanipulative und hochdestruktive Techniken angewendet werden, um diese Situation aufrechterhalten zu können:
11/
1. Die politische und mediale Ignoranz bzw. Tabuisierung von Maßnahmen, die wirksam wären, aber für die Politik unerwünscht sind
2. Die durchgehende, bewusste Verfälschung der öffentlichen Meinung
12/ Zu 1: Politik und Medien beschränken in ihrer Darstellung den strategischen Raum seit mindestens den Anfang der zweiten Welle auf eine digitale Wahl: private Kontakte *noch* weiter beschränken, ja oder nein.
13/ Somit wird die Bevölkerung beständig auf die perpetuierte Bearbeitung eines gekünstelten und falschen Dilemmas konditioniert, nämlich zwischen Gesundheit und Freiheitsrechten wählen zu müssen.
14/ Das kanalisiert nicht nur die Frust in für die Politik ungefährliche Richungen, sondern gibt auch unendlich Stoff für Diskussionen - und diese sind tatsächlich auch unendlich, zumal die Epidemie mit *nur* privaten Begrenzungen kaum in den Griff zu kriegen ist.
15/ Somit hat die Bevölkerung letztendlich, wie auch die Diskussion enden mag, weder eine Senkung des Infektionsgeschehens noch ihre vollen Freiheitsrechte – dies ist der unausgesprochene Preis für die Aufrechterhaltung der Rahmenbedingung.
16/ Zu 2: Um über „echte“ Maßnahmen gar nicht erst sprechen zu müssen, um den bewussten Verzicht auf wirksames Handeln gar nicht erklären zu müssen, konstruieren Politik und Medien eine Bevölkerungshaltung, die es so einfach nicht gibt.
17/ Politik und Medien sprechen immer zu diesem imaginären, stark infantilisierten, zu keinem Opfer bereitem Volk und blenden bewusst aus, dass mittlerweile 1/2-2/3 der Befragten schärfere Maßnahmen fordert, um eine echte Perspektive zu haben.
18/ Beide Punkte – wirksame Maßnahmen, die das Infektionsgeschehen sehr schnell und wirksam senken würden, aber wirtschaftliche Interessen berühren, und die echte, gemessene Mehrheitshaltung - werden von Politik und Medien totgeschwiegen bzw. sind faktisch Tabu.
19/ Es ist immer wieder interessant zu beobachten, dass selbst, wenn sie hin und wieder z.B. in einer Polit-Talkshow Erwähnung finden, i.d.R. alle kurz innehalten, und dann die Diskussion unter vollständiger Ignoranz des Gesagten einfach in ihrer üblichen Bahn weitergeht.
20/ Insgesamt ist es offensichtlich, dass die Politik mittlerweile ihr Interesse an Covid verloren hat, sich am liebsten mit dem Thema gar nicht mehr auseinandersetzen würde, und ihr Fokus auf die anstehenden Wahlen richtet.
21/ Dem unterliegt offensichtlich die Hoffnung, dass die Impfung bald das ganze Problem löst, und die Erfahrungen, unnötigen Opfer usw. bis September weitgehend vergessen sind.
22/ Ich bin tatsächlich sehr gespannt, ob sich dies bewahrheitet: zum einen haben WählerInnen in der Tat oft ein kurzes Gedächtnis - auf der anderen Seite wurden hier nicht nur schwerwiegende Policy-Fehler begangen,
23/ sondern es wurden tief verstörende Einblicke in die Prioritätensetzung und grundlegenden Funktionsweisen der gesamten Politik offenbart, die der demokratischen Abstraktion in vielerlei Hinsicht einfach nicht entsprechen.
ENDE
+1: #NoCovid ist nichts anderes, als ein Bestreben, die Rahmenbedingung fallenzulassen und echte Epidemiebekämpfung zu betreiben.
Das ist auch der Grund, warum sie lange totgeschwiegen wurde, bzw. seitdem das nicht mehr möglich ist, stigmatisiert und belächelt wird.
+2 Man erinnere sich nur an die Vorstellung von @elvira_rosert im ÖRR, wo gleich zu Beginn der Begriff „extrem“ fiel - ein bizarrer Versuch, #NoCovid ex ante zu disqualifizieren, was aber leider auch in ein generelles Kommunikationsmuster von Politik und Medien passt.
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1/ Ist der Öffentlichkeit eigentlich bewusst, in welchem Maße die Bundesnotbremse eine Selbstinfantilsierung und Selbsterniedrigung der Bundesländer darstellt?
2/ Zumal sie ja nichts anderes ist, als eine Verordnung von Maßnahmen, die die BL auch selbst hätten treffen können - aber eben nicht getroffen haben.
Die Dynamik hat man z.B. bei Laschets Brückenlockdown gesehen: er hat *seinen eigenen Vorschlag* nicht umgesetzt - und warum?
3/ Offensichtlich, weil die anderen MP nicht mitgemacht haben.
Wir müssen hier mal kurz anhalten und uns das auf der Zunge zergehen lassen:
ein Ministerpräsident setzt wichtige und richtige, lebensrettende Maßnahmen nicht um, weil die anderen anderswo nicht mitziehen.
1/ #Einkerzen
-> "Aus Sicht der Münchner Polizei ist das Abstellen von Gegenständen auf dafür nicht genehmigten Flächen eine Ordnungswidrigkeit.
Das für Staatsschutzdelikte zuständige Kriminalfachdezernat hat Ermittlungen aufgenommen."
1/ Ich liebe es, mit welcher Selbstverständlichkeit A. Laschet die Kanzlertauglichkeit aus der Union immer wieder bescheinigt wird, wo er eine historisch schlechte Regierungsleistung in der größten Krise unserer Zeit hinlegte, mit einer grottenschlechten Kommunikation ober drauf
2/ ...womit er sich selbst praktisch ins Territorium der Unseriösität katapultierte (nicht zuletzt, "wir haben aufs gute Wetter gehofft").
Wenn *das* für die Union trivial kanzlertauglich ist, dann fragt man sich doch reflexartig, wie hoch die Latte bei der Union hängen mag.
3/ Nicht minder interessant, wie es beinahe zur Binse geworden ist, wie gut Laschet Leute zusammenbringt.
Also, wenn sich das auf die Bevölkerung beziehen soll, dann könnte es höchstens als Integration in der Ablehnung gegen seiner selbst einen Sinn ergeben.
1/ Söder wäre nicht unbedingt wegen seiner heutigen besseren Werte der bessere Kandidat für die Union; sondern weil er unvergleichbar besser kommuniziert und ein unvergleichbar besseres Gespür für den Wind hat. Die Werte sind nur ein Abdruck dessen; die Skills bleiben.
2/ Laschet ist aber für Deutschland die bessere Wahl als Spitzenkandidat der Union; nicht nur, weil er einfacher zu schlagen ist, sondern vor allem auch weil von ihm offenbar keine Radikalisierungsgefahr ausgeht, wenn er Kanzler wird.
3/ Söder ist *heute* sehr mittig. Aber Söder ist immer das, was er an dem Tag sein muss, um sich Vorteile zu verschaffen. Er legte die letzten Jahre eine, nennen wir es taktische Flexibilität, an Tag, die mich bei einem Kanzler wirklich besorgt hätte.
Ich will doch nochmal - diesmal ex post - über die Anne Will-Sendung schreiben, gibt es doch einige nicht uninteressante Lehren und Beobachtungen.
Die wichtigsten:
- die Themen Schule und Arbeitswelt sind in den mainstream Medien angekommen
- es werden mittlerweile harte Vorwürfe in den Raum gestellt, z.B. massiver und andauernder Eidesbruch im Sinne von Unfähigkeit/Unwilligkeit, Leben und Gesundheit der BürgerInnen zu schützen
- aber auch, dass das demokratische politische System im Moment nicht in der Lage sei ihren Job zu tun und diese Epidemie zu bekämpfen; was auch mit dem Wahljahr in Verbindung gebracht wurde
- die generelle Planlosigkeit der Politik wird ebenfalls zusehends thematisiert
1/ OK, Folgendes.
Das Labeling "fanatisch" gehört bestenfalls in die politische Arena, ist aber so oder so an böswillig grenzend absurd, wenn es eine Position beschreibt, die Leben und Gesundheit bewahren will.