Ich will doch nochmal - diesmal ex post - über die Anne Will-Sendung schreiben, gibt es doch einige nicht uninteressante Lehren und Beobachtungen.
Die wichtigsten:
- die Themen Schule und Arbeitswelt sind in den mainstream Medien angekommen
- es werden mittlerweile harte Vorwürfe in den Raum gestellt, z.B. massiver und andauernder Eidesbruch im Sinne von Unfähigkeit/Unwilligkeit, Leben und Gesundheit der BürgerInnen zu schützen
- aber auch, dass das demokratische politische System im Moment nicht in der Lage sei ihren Job zu tun und diese Epidemie zu bekämpfen; was auch mit dem Wahljahr in Verbindung gebracht wurde
- die generelle Planlosigkeit der Politik wird ebenfalls zusehends thematisiert
- Es kam auch wieder zur Erwähnung (Hr. Hallek), dass die ggw. dramatisch Situation in den Krankenhäusern "mit Ansage" kommt; ExpertInnnen hätten seit Anfang Januar vor dieser Entwicklung gewarnt; der Tod vieler Menschen hätte verhindert werden können. Triage stünde vor der Tür.
- Nicht uninteressant, wie teilweise auch Göring-Eckardt einstimmte mit der Feststellung, die Lockerungen Anfang März seien große Fehler gewesen, wußte man doch damals schon genau bescheid.
- Zum ersten mal habe ich im Fernsehen die Frage stellen hören, wie es sein könne, dass der Gesetzgeber den privaten Bereich recht brutal reglementiere, dafür andere Bereiche weitgehend verschone
- Ein neuerer Aspekt (von Hr. Hallek): der Umstand, dass sich die Inzidenzentwicklung in den Ostertagen etwas abgeschwächt habe, sei gerade ein Argument, um mehr in Schulen und an Arbeitsplätzen zu machen.
(Wurde natürlich von den Politikern ignoriert.)
Insgesamt war der gnadenlos überforderte Altmaier der Boxsack der Sendung; er hat von wirklich jeder/m TeilnehmerIn eine Tracht Prügel erhalten.
Bezeichnend, wie sogar Anne Will ihn abwatschte wg. seiner Aussage bei Tilo Jung , es gäbe keine wissenschaftliche Belege für Ansteckungen am Arbeitsplatz, um nachzuschieben: "Ich hoffe Sie haben sich inzwischen schlaugemacht."
Warf ihm auch wiederholt tatenloses Zusehen vor.
Es war aber auch ein "uphill battle", wie man so schön sagt, von Altmaier zu behaupten, man sei super-schnell und gut mit der Bundesnotbremse in der Gesetzgebung unterwegs.
Anne Will hielt fest, Merkel habe über einen Zeitraum von 2 Wochen gesprochen; es sei nichts passiert.
Es war gespentisch mit anzusehen, wie ein Bundesminister der Wirtschaft, nach über einem Jahr Pandemie tatsächlich anfängt, in einer Talkshow den zugeschalteten Arzt zu befragen, als würde er endlich mal die Möglichkeit erhalten, mit einem Fachmann zu reden.
Zu Schulen: Lindner unterstütze Müllers "mutige" Entscheidung, Berlins Schulen etwas weiter zu öffnen - wo Müller vielmehr bemüht war, zu unterstreichen, wie weit diese von einer völligen Öffnung / normalem Schulbetrieb sei.
Hier war interessant zu beobachten, wie selbst die sonst eher Richtung #NoCovid zu argumentieren scheinende Göring-Eckard bei Müller war, wo dieser ausführte, man würde viele Kinder seit 4 Monaten nicht sehen, wüßte nicht, was mit denen los sei.
Es scheint also Einigkeit in
der Politik zu herrschen, dass Schulen nicht nur der Sicherstellung des Arbeitsgans der Eltern dienen, sondern auch in der staatlichen Kontrolle und Überwachung der Familien eine wichtige Rolle spielen.
Bildung wurde diesmal glaube ich gar nicht, oder höchstens am Rande erwähnt.
Eine interessante Aussage Altmaiers war, er hätte Schulschliessungen bereits ab Inzidenz 100 unterstützt - dies hat auch die Gäste überrascht, so ließen sie es ihn nochmal bestätigen. Es kam aber nicht raus, woran dies genau scheiterte.
Zu den Arbeitsplätzen geriet Altmaier unter Kreuzfeuer von allen außer Linder (selbst Müller machte mit), und er sah nicht gut aus.
Göring-Eckardt begündete sogar die Unwirksamkeit der Notbremse damit, dass diese die Arbeitswelt völlig unangetastet lasse.
Göring-Eckardt: Altmaier habe sich mit den Wirtschaftsverbänden verbündet, um diese Dimension weitestgehend abzuschwächen; Altmaier nehme die Lage nicht ernst, die Notbremse müsse auch tatsächlich bremsen. Müller meinte, Berlin habe dies in Eigenregie bereits durchgezogen.
Altmaier hatte auch keine Antwort darauf, wieso es keine Testpflicht an Arbeitsplätzen gäbe (wo doch in Schulen verpflichtend); wiese es keine verpflichtende home office gäbe (bester Versuch: viele ArbeitnehmerInnen bestünden auf Präsenz im Büro und Kontakt mit KollegInnen).
Altmaier ist dann tatsächlich tapfer genug, auszuführen, dass es keine Maßnahmen in Betrieben gäbe, weil niemand wisse, ob dort Infektionen stattfänden, und aber gerade deshalb die Regierung mehr Testung dort anstrebe, damit man das rausfinde.
(Was würde Rezo *dazu* sagen....?)
Lindner leistete ihm etwas zweifelhafte Schützenhilfe, in dem er sagte, dies seien nicht entscheidende Maßnahmen - denn viele andere Sachen seien viel wichtiger, welche die Regierung aber nicht umsetze.
Lindner fing sich damit allerdings die Befragung an, wie die FDP zu Maßnahmen in der Arbeitswelt stehe, was ihm sichtlich unangenehm war; eine zeitlang hat er sich halbherzig gegen diese gewehrt, um es dann fallenzulassen, in dem er sagte, an der FDP werden diese nicht scheitern.
Hier tat sich also nun ein klassischer links-rechts Unterschied auf: SPD & Grüne für mehr Maßnahmen in der Arbeitswelt, CDU & FDP dagegen.
G-E sagte auch, Ausgangssperren könnten kommen, wenn alles andere schon umgesetzt sei, und dies sei noch lange nicht der Fall.
Insgesamt leidet m.E. die Epidemiebekämpfung zurzeit unter zwei sehr lähmenden Faktoren betroffen:
1. Die Länder lehnen sich seit Merkels Ankündigung lässig zurück und warten auf den Bund, den schwarzen Peter selbst zu nehmen; und vor allem:
2. Das vom Bund eingebrachte Gesetz ist schlecht, aber immer noch besser als nichts; es ist gleichzeitig unzureichend und brutal; dafür rechtlich bedenklich.
Dies ist recht tragisch, denn die Regierung weist mit einigem Recht darauf hin, dass ihr Handeln ja überhaupt wegen
der Untätigkeit der Länder notwenig sei, und man jetzt keine Zeit für Feinschliffe habe, sondern schnell handeln müsse - und die Opposition weist ebenfalls mit eingem Recht auf die unbestreitbaren Unzulänglichkeiten und Unfairness des Gesetzes hin.
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1/ OK, Folgendes.
Das Labeling "fanatisch" gehört bestenfalls in die politische Arena, ist aber so oder so an böswillig grenzend absurd, wenn es eine Position beschreibt, die Leben und Gesundheit bewahren will.
1/ Diskussion mit den ungarischen Freunden (darunter ÄrztInnen) beginnt mit noch mehr Tragik.
Einer der Freunde hat einen ehem. Klassenkameraden, der hat Drillinge, 4 Jahre alt. Ein Mädchen von den dreien ist nach symptomfreiem Covid an multisystemischer Entzündung verstorben.
2/ Habe lange überlegt, ob ich hierüber auf twitter berichten soll, verbreitet solch eine Nachricht doch nichts als Kummer und Furcht; und davon haben wir alle mehr als genug im Moment. Habe mich dafür entschieden, denn die Gefahr von C19 für Kinder wird immer noch kleingererdet.
3/ Wie gesagt, dies ist in Ungarn passiert, und ich kann nicht beurteilen, inwieweit die dort völlig überlasteten Krankenhäuser eine Rolle in diesem fatalan Ausgang gespielt haben, und folglich sich dieser hierzulande so nicht wiederholen würde. Aber die Gefahr ist da.
1/ Der ultimative Rettungsring aller Politiker, wenn sie in die Enge getrieben werden, ist ja im Moment der *Vergleich*, sprich: "Wer macht es denn in Europa besser? Was beklagt ihr euch?"
2/ Das ist bedauerlich, gewissermaßen kläglich, und auf jeden Fall grob falsch.
Denn. Diese Verantwortlichen haben eine Schwur geleistet und sie haben eine Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber.
Es ist ihre verdammte Pflicht, moralisch wie rechtlich, alles Mögliche zu tun.
3/ Der Umstand, dass es andere Entscheider in anderen (selektiv ausgewählten) Ländern gibt, die schwach oder verantwortungslos agieren, gibt unserer Exekutive für rein gar nichts eine Entschuldigung.
Die Situation hat sich seitdem kein bisschen gebessert.
Ich höre von konkreten Fällen, wo der Krankenwagen für den ü70 Patienten mit teils schweren Vorerkrankungen und klaren Covid-Symptomen deklariert nicht mehr kommt.
3/ In den Krankenhäusern arbeiten nahezu alle ÄrztInnen, unabhängig von fachärztlicher Ausrichtung, mit Covid-Patienten; angehende Medizi werden von den Unis (zwangs)rekrutiert und eingesetzt; die Kapazitäten des Gesundheitssystems für alles non-Covid sind stark beeinträchtigt.
1/ Fürchte, gewisserweise hat sie einen Punkt - die Vermutung liegt nahe, dass das Kapital insgesamt härter von den Maßnahmen getroffen war/ist, als die Angestellten (Kurzarbeitergeld usw.)
Und das ist halt eine ungewöhnliche Erfahrung für obere Mittelklasse / Elite. *Deswegen*
2/ wird seit Sommer anders verfahren. Die Politik hat verstanden, was übrigens seit 1 Jahr so gut wie gar nicht thematisiert wird: es *gibt* eine Art, naja, wenn nicht gleich Nullsummenspiel, aber zumindest einen klaren Interessenkonflikt zwischen Arbeitgebern und -Nehmern.
3/ Die Arbeitgeber sind inhärenter Weise stark von der Reduktion der Wirtsch. Aktivität betroffen, wobei der Staat deren Folgen für die A-Nehmer in hohen Maße abfedert.
Die A-Geberseite profitiert von Öffnungen und trägt dabei einen wesentlich kleineren Anteil der Risiken: