1: Was haben wir aus #allesdichtmachen (mal wieder) gelernt? Intellektuelle oder moralische Kapitulation vor einer problematischen Realität ist kein Privileg von Querdenkern und Nazis. Im Gegenteil. Denn sie hat nachvollziehbare Gründe.
2: Besonders sich als "bürgerlich" oder "liberal" oder auch "progressiv" wahrnehmende Menschen haben momentan zu kämpfen mit dem inneren Konflikt zwischen Solidarität und Egoismus, der in jedem von uns steckt.
3: Die kognitive Dissonanz zwischen "ich bin ein guter Mensch, mir sind Tote nicht egal" und "ich will meine Freiheit zurück" kann nur mit intaktem Selbstbild und Ego aufgelöst werden, wenn man einen Teil der Wirklichkeit einfach ignoriert.
4: Dann berichten Medien alle das gleiche (das Gegenteil ist real) oder die Regierung macht brutal harte Maßnahmen ohne Rücksicht auf Verluste (das Gegenteil ist real) oder die Runden sind zu intransparent (Stichwort MPK Leak-Live-Ticker, der war schmerzhaft real).
5: Dann sind Menschen, die sich leichter für "ich bin ein guter Mensch, mir sind Tote nicht egal" entscheiden können und deshalb Maßnahmen mittragen eben "Untertanen". Dann ist es nicht Solidarität, sondern "Angst", die sie motiviert.
6: Und schon konfligiert die (an sich legitime, aber in einer Pandemie effektiv egoistische) Forderung nach mehr Freiheit (und damit weniger Rücksicht) nicht mehr mit dem eigenen Selbstbild, sondern harmoniert als "künstlerische Kritik" mit gesellschaftlicher Rolle & Biographie.
7: Damit ist die eigene Dissonanz aufgelöst oder wenigstens gelindert und verlagert: die anderen sind das Problem, gerne möglichst grob kategorisiert als "die Medien", "die Politik", "der Diskurs". Man selbst muss nicht weiter an sich und den inneren Konflikten laborieren.
8: Wir sehen diese taktische Ignoranz in allen Diskursen, von Corona über Klima bis Migration: Wenn jemand im eigenen intellektuellen oder emotionalen Gesichtsfeld etwas nachhaltig stört, hält er sich einfach ein Auge zu. Und redet umso überzeugter davon, was dort zu sehen ist.
9: Dieser Aufschlag im Diskurs erzeugt erwartbare Kritik, Reaktanz, Aggression. Die selbsterfüllende Prophezeiung einer "Unterdrückung" ist perfekt. Man validiert und immunisiert sich mittels der Empörung einer als homogen konstruierten Gegenseite.
10: Wie aus diesen Entfremdungsspiralen ausbrechen? Konfliktforschung sagt: Grenzüberschreitungen sanktionieren, Reflexion anmahnen, aber vor allem: gemeinsame Ziele und Werte betonen. Offen bleiben, so schwer es auch manchmal fällt.
11: Auf jeden Fall dringend immer wieder überprüfen, wem wir warum zuhören. Prominenz ist denkbar schlechter Faktor, die wird zu leicht mit Relevanz verwechselt. Looking at you, @jensspahn
(12: Nur fürs Protokoll: wie sehr schlimm ich per se Ton und Inhalt und Anmaßung der Videos fand, habe ich mit @samelou als Bonustrack im Piratensender besprochen, Episode kommt gleich)
(Eine Frage zu solchen Passagen, die mich noch interessiert:)
Was für ein Druck muss hinter den Kulissen herrschen, dass ein Wirtschaftsminister lieber solche demütigenden Auftritte in Talkshows absolviert, als gegen die Interessen einiger Branchen zu handeln?
Steile These: Menschen wie Peter Altmaier sind weder dumm noch böse noch 14 Monate hinterm Mond gewesen. Sie wissen, dass nicht stimmt, was sie jetzt öffentlich erzählen. Aber mehrmals haben sie statt für den Infektionsschutz lieber für Teile der Wirtschaft entschieden. Warum?
Diese Auftritte nun sind Variationen der "Scheißidee" (Zitat Altmaier), sich vor Friday-for-Future-Aktivist*innen zu stellen und zu behaupten, man mache sinnvolle Klimapolitik: völliger Unsinn, und er weiß das selber am besten.
1: Heute vor einem Jahr starteten Christiane Stenger @stengiwitzki und ich #maskeaufmaskeauf.de@maskeauf. Wir waren so privilegiert, genug Unterstützung, Zeit, Geld zu haben, um 8 Wochen nichts anderes zu tun. Ein Thread, wie das so lief. Und wie ich heute denke. 😷
2: Anfangs sind wir mit Selfmade-Masken in Supermärkte, um zu testen, wie schief man angeschaut wird. Ergebnis: sehr schief. Masken bedeuteten Krankheit. Aber Studien&ExpertInnen sahen Nutzen, @drosten empfahl sie, ganz Asien trug sie. Im Westen blieb man arrogant-misstrauisch.
Olaf Scholz findet hier ausdrücklich auch, dass wir testen und impfen sollen und dann wird es, spätestens im Juni. Stärkere Maßnahmen jetzt will er nicht. Immerhin gab es keine Öffnungen. MPK findet er okay. Schulden sind machbar.
(Ich dachte kurz, er spricht an der Stelle unten von Opfern, Infizierten, medizinischem Personal, all den Schäden der Krankheit, wegen derer man jetzt mutiges tun muss. Aber es ging um Schulden, die man machen sollte, um die Wirtschaft zu retten. Er ist ja auch Finanzminister.)
Ich meine das nicht bösartig, ich finde es nur wichtig für ein komplettes Bild: nach der MPK und der gescheiterten Osterruhe hat sich die Regierung offiziell der dritten Welle ergeben. Die jetzt geltenden Maßnahmen müssen reichen. Bis genug Impfungen da sind, halten wir eben aus.
Weil ich gestern die Widersprüchlichkeiten der MPs kritisiert habe, was hat Merkel heute so gesagt (Ostern mal beiseite)? „Die dritte Welle mit der tödlicheren und ansteckenderen Mutation" ist da. Was also tun wir?
Keine Osterruhe, weil organisatorisch nicht machbar, fair enough. Andere Maßnahmen gg. exponentielles Wachstum? Wird irgendwann im April besprochen. Aber Merkel: Mit „allen Maßnahmen setzen wir weiter alles daran, dass unser Gesundheitysystem der immensen Belastung standhält".
Das ist wieder der bekannte Selbstwiderspruch: man nimmt eine (sehr begrenzte) Maßnahme zurück, schafft keine neuen - aber setzt dennoch "alles" daran? Und "zugleich" sollen die "überaus großen Folgen für Wirtschaft, Bildung, Kultur (...) aufgefangen werden“? Waschen ohne nass?
Habe heute Morgen drei längere Ministerpräsidenten-Interviews im Wortlaut gehört, um nicht Verkürzungen und Schlagzeilen auf den Leim zu gehen. Bin jetzt aber wirklich nur noch ratlos, wie wir es mit diesem Personal schaffen sollen. Sie bewegen sich längst jenseits der Realität.
Gespenstisch ist die Ruine ihrer Sprache. Abgesehen von all den entleerten Vokabeln ("Strategie, Konzept") widersprechen sie sich oft im selben Satz, meist im Übergang von abstraktem zum konkretem, von Norm zu Handlung, etwa: "Wir müssen unbedingt schützen, XY lassen wir offen."
Ihre Einstellung zum Souverän klingt wie ein eingebildetes Stockholm Syndrom: "Die Menschen" infizieren sich und wollen Öffnungen, sind Opfer und Täter, dienen als Begründung für den fahrlässigsten Unsinn und gleichzeitig als Sündenböcke, wenn der Unsinn scheitert.
Diese ganze unselige Mallorca-Nummer zeigt mir nochmal, wieso mich unterlassene Hilfeleistung bei technischen Maßnahmen (Masken, Lüfter, Tests etc.) so übertrieben triggert: Weil sie früher oder später in eine kaputte, aufgeheizte Debatte von Menschen gegen Menschen führt.
Hätte man, wie es manche asiatische Staaten schon in den ersten Monaten 2020 zum Standard machten, früh die Kapazitäten aufgebaut, an Flughäfen massenhaft zu testen, wenigstens Einreisende aus Risikogebieten (das vielleicht sogar europäisch koordiniert), hätte man ein Mittel...
...gehabt gegen Infektionen&Varianten, die zwangsläufig eingeschleppt wurde&werden – spätestens seit B117 muss das doch klar sein. Stattdessen diskutiert man mit enormer Energie immer neue juristisch drastische Maßnahmen und soziale Konfliktlinien (alt vs. jung, arm vs. reich...