1998, zum 50. Jahrestag der Gründung des Staates Israel, erschien mein Buch "Israel am Wendepunkt. Von der Demokratie zum Fundamentalismus?". Das Vorwort schrieb Leah Rabin, die Witwe des 1995 ermordeten israelischen Premiers Yitzhak Rabin, der mit Yassir Arafat 1/
den sogenannten "Oslo-Friedensprozess" angestoßen hatte. Leah Rabin erzählte mir, das sie einen einzigen Menschen hasse: Benjamin #Netanyhu. Er habe den Tod ihres Mannes auf seinem Gewissen. Was sie meinte: Bei Demonstrationen gegen das Abkommen mit den Palästinensern hatte es 2/
zweierlei Hetzposter gegeben: Rabin mit einer Keffiyeh auf dem Kopf. Und Rabin in einer SS-Uniform. So auch bei der berühmten Demo am Kikar Zion in Jerusalem, bei der auch Netanyahu sprach und gegen das Abkommen und gegen Rabin wetterte und die Mordaufrufe gegen den Premier 3/
ignorierte. Und es kam, was kommen musste: ein israelischer nationalreligiöser Extremist erschoss Rabin ausgerechnet auf der größten Friedensdemonstration der israelischen Geschichte. Und nun ist es wieder soweit: Der designierte Premier @naftalibennett wird mit einer Keffiyeh 4/
abgebildet, der Inlandsgeheimdienst muss den Personenschutz für ihn und andere Politiker erhöhen (und man wisse: Bennett, Shaked u.a. gegen die auch jetzt wieder Morddrohungen ausgesprochen werden - diesmal im Netz - sind selbst im ultrarechten Lager angesiedelt) 5/
Nadav Argaman, der Chef des Shin Beth, des israelischen Inlandgeheimdienstes, hat öffentlich gewarnt, dass diese Hetze aufhören muss, es könnte bald Blut fließen. Ein Psychologe, der in den 90er Jahren für Netanyahu gearbeitet hatte, hatte ihn damals eindringlich gebeten 6/
die Stimmung gegen Rabin nicht weiter anzustacheln. Netanyahu hatte nicht auf ihn gehört, der Psychologe hat daraufhin seinen Job hingeworfen. Bislang wartet man in Israel vergeblich auf ein Wort des noch amtierenden Premiers, um die Atmosphäre zu beruhigen. 7/
Ich war damals auf dem Kikar Zion, ich habe gehört und gesehen, was da gerufen wurde. Und nicht nur da. Der Hass war enorm. Netanyahu berief sich damals darauf, dass er nicht mehr auf der Demo war als die Hetz-Poster gegen Rabin gezeigt wurden. Aber heute wissen wir 8/
was geschehen könnte, damals konnte man sich in Israel nicht vorstellen, dass ein Premier von einem Israeli ermordet werden könnte. Die Stimmung heute ist noch viel aufgeheizter als damals. Ich war damals, in den neunziger Jahren monatelang unterwegs, vor allem bei den 9/
Siedlern, habe mit ihnen in den Siedlungen in den besetzten Gebieten viel Zeit verbracht, viele Gespräche geführt. Aber schon damals konnte man sehen, wie auch andere Teile der israelischen Gesellschaft sich radikalisieren, wie die Spaltung der Gesellschaft immer größer wurde 10/
Das Fundament für Populismus wurde schon sehr früh gelegt. Die Staatskrise ist riesig. Dass jetzt so unterschiedliche Gruppierungen, die sich im Grunde spinnefeind sind, in einer Koalition zusammenschließen, zeigt aber immerhin, dass doch viele im Land begreifen, dass sie 11/
dringend das Ruder herumreissen müssen, um die Gesellschaft zu retten. Wird das positive Konsequenzen für die Palästinenser im Westjordanland und Gaza haben? Wahrscheinlich erst einmal nicht. Aber wenn es der neuen Regierung gelänge, erst einmal für Ruhe zu sorgen, wäre das 12/
schon mal ein Anfang. Viele sagen, die Regierung werde nicht lange halten, die Fliehkräfte und ideologische Differenzen seien zu groß. Das stimmt. Aber sollte es zu einer Vereidigung kommen in den nächsten Tagen - und das ist in der aktuellen Situation noch nicht sicher, dann 13/
wird der "Kit" dieser Koalition auch weiterhin Netanyahu heißen. Denn wenn der Premier auf der Oppositionsbank landen würde, dann wird er alles tun, um diese Regierung zu stürzen. Und das dürfte Lapid, Abbas, Bennett, Michaeli, Horowitz, Sa'ar, Lieberman, Gantz zshalten 14/14

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20 May
Morgen also soll der Waffenstillstand zwischen #Israel und der #Hamas beginnen. Was danach folgt, ist bekannt, wir haben das auch schon 2014 nach dem letzten Gaza-Krieg gesehen: Auf beiden Seiten "Siegesfeiern". In der Welt: Erleichterung. Dann die Medienberichte aus Gaza, die 1/
das ganze Ausmaß der Zerstörung zeigen. Schuldzuweisungen, der Ruf nach dem ICC in Den Haag, weil Israel Kriegsverbrechen begangen haben soll. Kaum einer wird darüber reden, ob es nicht auch ein Kriegsverbrechen ist, Tausende Raketen auf die Zivilisten in Israel abzufeuern 2/
einige werden die Frage stellen, wieso Hamas eigentlich die eigene Zivilbevölkerung diesem Bombardement aussetzt, denn die Islamisten wissen ja, dass Israel auf Raketenangriffe reagiert und wenn es zum Ausbruch eines Krieges kommt, dann erst recht. Mit großer Heftigkeit. Aber 3/
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19 May
der Frage, ob man politisch links oder rechts steht. Der wachsende Antisemitismus überall, verstärkt das Gefühl der Wagenburgmentalität erst recht. Natürlich gibt es viele israelische Stimmen, die ein sofortiges Ende wollen, aber man will auch wieder Sicherheit im Land 7/
haben. Was eine Mehrheit in Israel nicht begreift ist, dass in den USA, wie schon gestern beschrieben, die Stimmung kippt. Das liberale Europa, also vor allem die westlichen Staaten, wird schon lange als "verloren" angesehen, zumindest von den Rechten. Hinzu kommt: 8/
Yair Lapid hat noch zwei Wochen das Mandat, eine Regierung zu bilden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihm das gelingt, ist inzwischen gering, doch für Netanyahus Überlegungen und Pläne spielt das sicher auch eine Rolle, er will den Machterhalt sichern. Und die Hamas? Die das Geld 9/
Read 8 tweets
19 May
Wozu kämpfen #Hamas und #Israel eigentlich noch? Wirklich viel können beide Seiten nicht mehr erreichen, scheint es. Beide Seiten agieren aus sehr unterschiedlichen militärischen Motiven. Die israelische Armee denkt militärisch, d.h. wie sehr kann man die Hamas schwächen, 1/
wie kann man ihre militärischen Möglichkeiten soweit ausschalten, dass man wieder für einige Jahr "Ruhe" hat an dieser Front. Hamas hat andere Kriegsziele, die sie schon längst erreicht hat. Die Anzahl der eigenen Toten wird dabei in Kauf genommen. Die Ziele 2/
mächtiger als die PA und Fatah zu werden. Erreicht. Das Alltagsleben in Israel lahm zu legen. So gut wie erreicht. Tel Aviv, das Herz Israels, anzugreifen, zu bedrohen und somit symbolisch Stärke zu zeigen. Erreicht. Doch beide Seiten, die im Grunde diesen Krieg beenden wollen 3/
Read 6 tweets
18 May
#Israel hat keine echte Strategie und kann diesen Krieg nicht gewinnen, was immer das heißen mag. #Hamas hat militärisch unglaublich viel verloren: Das Tunnelsystem ist zu weiten Teilen zerstört und vor allem: den Israelis offensichtlich komplett bekannt, d.h. dass 1/
die Geheimdienste erfolgreich waren, viele Abschussrampen für Langstreckenraketen (will heißen: nach Tel Aviv) sind zerstört, die Logistik und Infrastruktur der Hamas massiv beschädigt. Aus rein taktisch-militärischer Sicht bringen weitere Tage des Bombardements 2/
nicht mehr viel. Um die #Hamas wirklich "unschädlich" zu machen, müsste die israelische Armee einmarschieren und das wird nicht geschehen. Hinzukommt, dass jeder weitere Tag des Bombardements Israel teuer zu stehen kommen könnte. Immer mehr zivile Opfer auf palästinensicher 3/
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17 May
As I said this morning: one reason for #Israel to continue the attack is to send a "mesage" to #Hezbollah. Another: to break the support of the Pal. people for #Hamas. If there will be a lot of destruction, they will blame #Hamas for it. As happened in 2014. But this concept 1/
simply does not work. Even if the people of #Gaza will be frustrated or fed up with #Hamas - in the end they cannot get rid of the organisation. And the hate against #Israel will always be bigger, of course. What will have to be seen is, how #Hamas will keep its power 2/
as it will be this time obviously very weakened. Its infrastructure is heavily damaged according to reports, it's tunnel system as well. So what will happen in #Gaza? Right now Hamas has no competitor. And Israel has no interest in another group being responsible for Gaza. 3/
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16 May
Was sich in Israel - Palästina gerade abspielt, könnte ein Endspiel werden. Dieser Krieg ist anders als die drei letzten mit Gaza, die ich selbst noch als ARD-Korrespondent gecovert habe. Wird Israel diese Runde "gewinnen"? Sicherlich. Wird Hamas massiv geschwächt sein? 1/
Sehr wahrscheinlich. Aber das Selbstbewußtsein der Palästinenser hat sich verändert. So wie schon einnmal, zu Beginn der Ersten Intifada. Und jetzt wieder. Wenn dieser Krieg vorbei ist, wird nicht nur die nächste Runde in Gaza vorbereitet, 2/
Es werden all die Kräfte, die gegen Israel kämpfen, mit noch größerer Anstrengung weitermachen, und insbesondere Iran dürfte diese Bemühungen weiter unterstützen, ganz egal, ob Teheran nun eine Nuklearbombe bekommt oder nicht. Die nächsten Kriege dürften immer brutaler werden 3/
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