Thread by @prof_m_baumann

Die Kampagne von #INSM gegen @die_gruenen und @ABaerbock wurde in vielfacher Weise kritisiert. Ich habe mir das Bild mal in seinem kulturhistorischen #Kontext angesehen und das eröffnet interessante Perspektiven.

Ein längerer Thread 1/22

insm.de/insm/themen/so…

Vorwort:
Wer nicht bis zum Ende zu lesen bereit ist, wer beleidigen möchte oder wer glaubt, es wäre hier ein politischer motivierter Thread oder es ginge hier um Religion: Einfach an dieser Stelle beenden, dieser Thread ist nicht für Sie geschrieben, Kommentare egal…

Vielleicht ist es auch einfach nur philosophische Gedankenspielerei. Mag ja sein, aber erstens hat es Spaß gemacht, das Bild der Zehn Gebote zu Ende zu denken und zweitens ermöglicht es vielleicht ja Reflexion auf den aktuellen Wahlkampf – Vorwort Ende - Thread Beginn:

Lassen wir mal die Frage, ob ein Prophet auf einem Berg tatsächlich zwei von Gott beschriftete Steintafeln erhalten hat, aus und betrachten das Bild als das, was es zweifelsfrei ist: Ein Text, der aus einer bestimmten Intention in eine bestimmte Situation geschrieben wurde… 2/22

…und seit nunmehr ca. 2500 Jahren die Kultur beeinflusst hat. Es stehen unter anderem Dinge drin wie das Verbot zu töten, zu stehlen oder anderen durch Verleumdungen und Falschaussagen zu schaden.
1.) Interessant, dass Regelungen zum Klimaschutz und zu… 3/22

…mehr sozialer Gerechtigkeit eine so zentrale Rolle zugewiesen bekommen, in diese Tradition gestellt zu werden. Noch spannender ist die klare Aussage: „Wir brauchen…keine…“ rein inhaltlich: Es scheint also ein Bewusstsein zu geben, welche… 4/22

…Dimension unsere jetzige Gesellschaftsform einnimmt, aber man lehnt die Veränderung ab, weil man selbst Regelungen solch zentraler Klarheit „nicht brauche…“ Da muss man sich die Frage stellen: Ist aus Sicht einiger Lobbyisten tatsächlich Töten, … 5/22

…Stehlen und Übervorteilen erlaubt, Neid, und Aktionen, um den anderen zu übertrump(f)en vielleicht sogar erwünscht? Und hier wird der historische Kontext der 10 Gebote interessant:
Ja, ich bin mir bewusst, dass dieser Text in der Geschichte massiv missbraucht wurde… 6/22

…aber ein Text erhält seine Bedeutung nicht primär aus seiner Rezeption in den Machtzirkeln seit dem Mittelalter, sondern aus dem Kontext, in dem er kulturhistorisch seine Wurzeln hat. Die Zehn Gebote als Teil des Pentateuch (5. Bücher Mose des Alten Testaments) hat nach... 7/22

…aktuellem Erkenntnisstand seine Entstehung kurz vor oder während des so genannten babylonischen Exils, also ungefähr im 6 Jhd. v. Chr. Zweifelsfrei gab es ältere Vorüberlieferungen und spätere Überarbeitungen.
Aber der zentrale Kontext war die Konfrontation mit… 8/22

…einer globalen Katastrophe, nämlich dem Weltherrschaftsanspruch der unfassbar brutalen Babylonier, die diesen mit bisher ungeahnter Grausamkeit durchzusetzt. Auch damals gab es übrigens schon „Modellierer“ wir den Propheten Jeremia, die ihre Könige gewarnt haben, in dem… 9/22

…sie die beobachtbaren Fakten aus anderen Ländern (die grausamst unterworfen wurden) als Zukunftsmodell für die eigene Existenz weiterdachten. Auch damals wurden diese von Fakten ignorierenden „Experten“ wie dem Propheten Hanaja, der gebetsmühlenartig betonte, … 10/22

…das sei selbstverständlich auf Judäa so nicht übertragbar, massiv als Panikmacher öffentlich brüskiert (Jer. 28).
Diese Konfrontation mit dem babylonischen Weltherrschaftsanspruch, in dessen Zuge die Deportation nach Eroberung eine beliebte Methode war und somit… 11/22

…auch große Teile der jüdäischen Bevölkerung ins Exil verschleppt wurden, war vor allem die Konfrontation mit einer Gesellschaftsordnung, in welcher Regeln und Gebote unmittelbar an Macht und Gewalt geknüpft war. Wer mächtig war, durfte alles, Verbrechen wurden erst ab… 12/22

…Ranggleichheit geahndet. Wer Macht hatte, durfte grausam Morden, sich nehmen, was er haben wollte, sich über Frauen ermächtigen, Lügen und andere unter falschen Beschuldigungen foltern, einsperren, umbringen…
Und in dieser Situation hinein formulierten… 13/22

…hebräische Priester durch die Zusammenstellung und Überarbeitung zahlreicher traditioneller Überlieferungen die hebräische Bibel (Tora, 5. Bücher Mose) inklusive der 10 Gebote als einen Gegenentwurf gegen die Gewaltherrschaft der Reichen und Mächtigen. Ja, da stehen… 14/22

…auch einige Regeln drin, die wir heute aus guten Gründen zum Glück ablehnen – aber der Text wurde auch nicht für heute geschrieben! Aber alle diese Gebote – vor allem die Zehn Gebote (der Dekalog) – waren kulturhistorisch gesehen erst einmal ein Gegenentwurf gegen die… 15/22

…unbeschränkte Macht der Herrschenden auf Kosten der Ärmeren, der Schwächeren, der Witwen sowie der Kinder.
2.) Und dieses Ereignis, dieser Gegenentwurf gegen die Gewaltherrschaft der Mächtigen, wird nun als „Wir brauchen…keine…“ –Formel herausgestellt? Was sagt die… 16/22

…Abbildung einer Politikerin als „Mose“ mit den „Zehn Geboten“ in den Armen über den „Freiheitsbegriff“, wenn man diese Geschichte kontextualisiert und sich klarmacht, dass es in den Zehn Geboten um Einschränkungen von Macht der Stärkeren, um Gewalt geht? Braucht… 17/22

…die aktuelle Welt-Wirtschaftssituation vielleicht dringend eine Erinnerung an „Du sollst nicht töten?“, weil dies keineswegs mehr selbstverständlich ist, dass für die eigene Machtposition weder aktuell noch in der Zukunft getötet wird? 18/22

Ist das Stehlen z.B. von Ressourcen, Zukunftschancen, das Verbreiten falscher Narrative zur Sicherung der eigenen Macht usw. mittlerweile so selbstverständlich, dass man(n) Angst vor einer neuen „Mose“ haben muss? Was bedeutet das Narrativ der 10 Gebote, dass Macht… 19/22

…und Gewalt nicht unbegrenzt sind, sondern dass es Regeln und Gebote gibt, die für alle Menschen gelten, heute? Und was bedeutet es, wenn ein „Freiheitsbegriff“ genau dies abzulehnen und als Diktatur zu brandmarken versucht? 20/22

Ich habe darauf keine einfache Antwort, aber die Frage scheint es mir wert zu sein, im Auge behalten zu werden und anstelle schlichter Empörung mal die tiefere Aussage dieser Kampagne zu betrachten, den für einfach nur „zu dumm“ halte ich ihrre Autor*innen nicht… 21/22

Gedankenexperiment z. Abschluss: Was hätten d. Schreiberlinge d. babylonischer Herrscher Nebukadnezars & Belsarzars geschrieben, wenn es damals tatsächlich zu einer öffentlichen Debatte zwischen d. 10 Geboten und d. gewaltsamen Machtanspruch d. Herrschenden gekommen wäre?
-Ende-