Ein Thread, als Antwort auf die zT sehr harschen Reaktionen auf diesen und @APeichl 's Tweet.
1) Es wurde behauptet, dass ich Herrn Huether oder den Oekonomen am IMK und IW Korruptheit verwerfe. Das habe ich nicht, wuerde ich auch nicht. Korruptheit ist eine eindeutig negative Wertung. Lobbyist nicht.
2) Ich habe ausdruecklich betont, dass ich Lobbyismus in einer demokratisch verfassten Gesellschaft als mindestens legitim (vermutlich sogar notwendig) ansehe. Sie ist legitime politische Interessenvertretung. Von einer negativen Wertung kann also keine Rede sein.
3) Es gab den Vorwurf der Unkollegialitaet, der ad hominem Kritik. Meine Antwort: (a) Kollegialitaet sollte bei Sachfragen keine Kategorie sein. Ich habe mit dem Anspruch von Faktizitaet gesprochen. Da hat Kollegialitaet nichts zu suchen. (b) Ich finde, dass ich mich im
Gegenteil sehr kollegial verhalten habe, und zwar gegenueber den vielen Oekonomen, die aehnliche Missstaende in der oeffentlichen Wahrnehmung, Rezeption und journalistischen Berichterstattung ueber unser Fach sehen wie ich. Die sich das aber nicht zu twittern trauen.
(c) Da mit dem Wort "Lobbyist" noch keine Kritik verbunden war, kann diese Kritik auch logisch nicht ad hominem gewesen sein. Ich erklaere weiter unten, auf was die Kritik zielte.
4) Es gab den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit bzw. der wissenschaftstheoretischen Naivitaet. Wir alle seien durch unsere Ideologien determiniert, letztlich seien daher alle oekonomischen Analysen gleichwertig und biased (woraus Journalisten dann folgern, dass man halt
bloss viele Stimme zu Wort kommen lassen muesse, und dann passt es schon). Den Vorwurf der wissenschaftstheoretischen Naivitaet gebe ich gerne zurueck. Ja, meine Auffassung von Wissenschaft ist keine postmoderne. Ich halte nicht alles fuer gleich gut.
Ich halte auch die Auffassung, dass wir alle unabhaengig von unseren jeweiligen Incentive- und Kontrollstrukturen unsere Ideologien gleich wirken lassen, fuer absurd.
Wenn ich das sagen darf: so ein bisschen erinnert mich diese Argumentation an die der Republikaner in den USA in ihrer Verteidung von Trump und seinen alternative facts. Und, nein, ich sage nicht, dass Huether und Dullien und ihre Verteidiger hier wie Trump sind.
Ja, ich glaube a priori einer Harvardstudie, die findet, dass der Mindestlohn keine negativen Beschaeftigungswirkungen hat, mehr als einer des IMK. Ich finde, das ist nur common sense. Ich bin natuerlich offen dafuer, dass am Ende bei genauerer Lektuere herauskommt, dass die IMK
Studie die bessere, die sauberer gemachte Studie ist. Es ist aber, dazu stehe ich, unwahrscheinlich. Aber offen bin ich dafuer, und nur das ist, was wissenschaftlich zaehlt. Umgekehrt: sollte ich einmal eine Studie veroeffentlichen, die Kondomen schaedliche Wirkungen bescheinigt,
bitte erst Mal nicht glauben (ich habe es allerdings auch nicht vor, weil ich es im Gegensatz zum IMK aber auch nicht muss). Ja, vom IMK wird erwartet, dass es Evidenz dafuer findet, dass der ML gute Auswirkungen hat. Alles andere waere naiv.
5) Ich bin doch einigermassen ueberrascht ueber das - geradezu - Kartell von einigen Journalisten und Oekonomen aus der Think Tank Szene, egal von welcher politischen Ausrichtung. Gerade die selbstgerechte Empoerung bei einigen Journalisten kann ich nicht nachvollziehen.
Das heisst: eigentlich bin ich nicht ueberrascht. Das Narrativ einer politisch notwendigerweise durchdrungenen Oekonomik, und damit das Narrativ letztlich zweier Oekonomiken - einer linken/gewerkschaftsnahen und einer rechten/arbeitgebernahen - verkauft sich viel besser
als oekonomische Aufklaerung. Insofern wird der erste Instinkt fuer Journalisten sein: rufe IMK und IW an und dann hat man die Leser aufgeklaert. Meine These: man enthaelt ihnen wichtige Stimmen vor.
Ich weiss, dass ich meinem Anliegen hiermit nicht diene, weil die Journalisten klar gemacht haben, dass sie keinerlei Kritik an ihrer Arbeit akzeptieren.
So, worum ging es eigentlich? 1) Um Anreiz- und Kontrollstrukturen. 2) Um false Balance Effekte, die Gegenaufklaerung bewirken.
1) IMK und IW haben andere Anreiz- und Kontrollstrukturen. Sie werden mW nicht unabhaengig extern evaluiert (Leibnizinstitute dagegen schon). Der Erfolg der Forscher im IMK und IW haengt nicht am Publikationserfolg in internationalen Journalen.
Letzteres ist kein Vorwurf. Ich erwarte das gar nicht. Insofern geht Sebastians Thread voellig ins Leere. Es geht um was Anderes. Es geht darum, was belohnt wird. Ich nenne das einmal apologetische Forschung. Apologetik fuer die wirtschafts- und sozialpolitischen
Ideen der geldgebenden Institutionen. Und nochmal: voellig in Ordnung. Nur: in der Rezeption muss die Oeffentlichkeit wissen, dass es sich um apologetische Forschung handelt. Das machen Journalisten nicht immer klar.
Ja, auch Uniprofessoren werden anders als die Leibnizinstitute nicht regelmaessig extern evaluiert. Nebenbemerkung: ich waere sehr dafuer. In den USA macht man das etwa alle 10 Jahre und es hilft dem Fachbereich enorm, blinde Flecken zu identifizieren.
Ja, auch Uniprofessoren und Leibnizinstitute, deren Fuehrungspersonal aber genau wie Uniprofessoren, career concerns in der Wissenschaft haben, haben politische Ueberzeugungen und vorgeformte Weltansichten.
Die Frage ist aber, wie sehr sie sich erlauben koennen, diese in ihre Forschung einfliessen zu lassen. Bei IMK und IW ist das ein institutionelles Muss. Bei uns ist es kein Muss, es ist im Zweifel eher schaedlich fuer den Publikationserfolg.
Sebastian Dullien wird jetzt sagen, dass es auch im wissenschaftlichen peer review System Schwaechen gibt und dass hier Gate Keeper Linien durchdruecken. Alles richtig. Aber irrelevant. Die Frage ist naemlich, wie sehr beeinflussen die Ideologien und Anreizsysteme jeweils
die gewaehlten Forschungsfragen und noch viel mehr die Forschungsergebnisse. Anders formuliert: es reicht nicht, postmodern einfach festzustellen, jeder hat Biases (ja, richtig). Die entscheidende Frage ist aber, wie spielen die Biases und die institutionellen Arrangements
zusammen fuer den Forschungsoutput. Und nochmal: diese Gemengelage ist bei IMK und IW per Konstruktion und, gut so, anders. Um es noch mal ganz klar zu sagen: das heisst nicht, dass MA am IMK und IW schlechte Forschung machen. Nein.
Was es aber bedeutet ist: ihre Forschung wird tendenziell in Richtung apologetische Forschung gehen und das ist eine andere Art der Forschung als das was an Unis (und zT auch den Leibnizinstituten) verlangt und praemiert wird.
Den Editor im AER ist es herzlich egal, ob von meinem Forschungsergebnis deutsche Arbeitnehmer oder Arbeitgeber oder sonst eine politische Gruppierung profitieren.
In der Katholischen Theologie gibt es eine ganz gute Analogie: die Fundamentaltheologie. Ihre apologetische Aufgabe ist es, die Offenbarung als rationale zu durchdringen, also Glauben und Ratio auf einen Nenner zu bringen, ohne dass der Glauben als solcher bezweifelt wird.
Und es heisst schon gar nicht, dass ich auf die Forscher am IMK und IW von oben herab runterschaue oder sie irgendwie verachte. Wer mir das unterstellt, kennt mich nicht, und tut mir Unrecht.
Zum zweiten Punkt: false balance. Wer einen kompletten wissenschaftlichen Relativismus vertritt, soll es bitte sagen. Da gehe ich nicht mit. Es gibt unterschiedliche Forschungsqualitaet auch in der Oekonomik.
Vor allem stoert mich und viele Kollegen das og journalistische zwei-Oekonomiken Narrativ. Es ist erstens faktisch falsch, da es die Situation in der oekonomischen Wissenschaft nicht wirklich reflektiert. Die Streitlinien, die es gibt, liegen woanders.
Und zweitens ist es auch brandgefaehrlich, weil es naemlich implizit suggeriert: 1) wenn man den IMK und den IW Oekonomen zitiert hat, dann hat man der Aufklaerung des Lesers Genuege getan, und 2), sollten sich der IMK und der IW Oekonom mal einig sein, dann muss es der Wahrheit
entsprechen. Konkret: wenn IMK und IW mehr oeffentliche Investitionen fordern, dann muss es gut sein. Nein (ich bin nicht dagegen, es geht hier nur ums Beispiel). Denn hinter den beiden stehen zwei Lobbyorganisationen, die keineswegs
Gemeinwohlinteressen verfolgen. Nochmal: sollen sie auch gar nicht. Der naive Leser koennte das aber im vorherrschenden Narrativ denken.
Zusammenfassung: es ging Andreas und mir darum, auf Strukturen hinzuweisen. Keine Personen zu beleidigen oder herabzusetzen. Die Unterstellungen von Unkollegialitaet, Unwissenschaftlichkeit, wissenschaftstheoretischer Naivitaet weise ich zurueck.
Wissenschaftlichen Relativismus - alle Forschung ist gleich gut - wird es aber mit mir nicht geben. Wenn mich das unbeliebt macht, so be it.

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Rudi Bachmann

Rudi Bachmann Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @BachmannRudi

11 Jun
. @Albrxcht spricht in diesem Thread wichtige wissenschaftsstrukturelle Probleme an. Wovon er leider nicht spricht, ist die Verantwortung der Professoren. Stimmen die Feedbacksysteme? Letztlich kann man ueber das Ganze als Turnier nachdenken. Zum Thema: #IchbinHanna
Turnier bedeutet, es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Preisen, und man will nicht, dass jeder einen Preis bekommt. Dadurch wird gewaehrleistet, dass sich jeder einzelne mehr anstrengt und die besten die Preise gewinnen. Das Turnier geht ueber mehrere Runden.
Leider ist es nicht klar, dass die Teilnehmer ehrliches Feedback in jeder Runde bekommen. Wie sieht das denn konkret oft aus (ich habe Geisteswissenschaften studiert, kenne die Interna also ganz gut)? Man fällt einem Prof mit einer guten Seminararbeit auf, der fragt einen:
Read 10 tweets
10 Jun
Ein interessantes Manifest von @karenilsehorn in der @faznet , die zur Vorwaertsverteidigung der Ökonomik aufruft:

zeitung.faz.net/faz/wirtschaft…
Bei aller Wertschätzung für @karenilsehorn kann ich hier nicht zustimmen.

Steht die Oekonomik wirklich unter Beschuss (ist vielleicht sogar bedroht)? Dafür sehe ich keine Evidenz. Bei genauerem Hinschauen meint Karen Horn dann aber doch einen sehr speziellen, man muss es sagen
quantitativ eher kleinen Teil der Ökonomik. Steht der unter Beschuss? Vielleicht, aber das pars pro toto geht mir hier zu weit. Auf jeden Fall, müsste erst einmal geklärt werden, ob die Kritik am genannten Teil der Ökonomik (die ja auch von anderen Ökonomen kommt, was die Autorin
Read 4 tweets
8 Jun
On the chances of the #globalminimumtax :

"Republican Senator John Cornyn dismissed the G7 agreement on Monday, telling CNN's Ted Barrett it's a "fantasy.""
"And his fellow Republican, Senator Pat Toomey, the ranking member of the Senate Banking Committee, told Business Insider the global minimum tax deal is a "terrible agreement.""
"The challenge will be that much greater if the global minimum tax is considered a tax treaty, making it subject to two-thirds approval from the US Senate."
Read 4 tweets
3 Jun
Ich habe mir diesen Film jetzt auch angeschaut (obwohl ich dafuer gecancelt wurde 🤪). Ich bin aber inhaltlich wenig begeistert. Denn ein wichtiger Aspekt der Sozialen Marktwirtschaft wurde nicht einmal angesprochen (hauchzart angedeutet, als ueber Gruendungen gesprochen wurde).
Und ist vielleicht auch kein Wunder beim doch ueberwiegend linken Cast deutscher Oekonomen, die diesen Aspekt der Sozialen Marktwirtschaft nie so richtig anerkennen wollten. Worum geht es?
Gleich zu Anfang wird das "Soziale" und "der Markt" im Begriff als immerwaehrendes Gegensatzpaar charakterisiert (von nahezu allen Interviewten), das es dann politisch zu vermitteln gelte: Egoismus versus Kooperation, etc. Das ist sicher EIN Aspekt an diesem komplexen Begriff.
Read 15 tweets
2 Jun
@SGechert @PHuenermund @hwin365 @D_Langenmayr @SBachTax @heimbergecon @SDullien @jsuedekum @YohannesBecker @AchimTruger @PhilippaSigl @Otto_Fricke @Lars_Feld @FuestClemens @W_Schmidt_ @MartinGreive @chris_breu @boeckler_de @IMKFlash Ich habe gut von IMK Oekonomen gelernt. 🤪 Zu 1 stehe ich, wie gesagt, wuerde das nicht als Pub Bias bezeichnen, sondern dass der Prozesss zwar nicht optimal, aber einigermassen funktioniert. Zu 2 und 3 kannst du dich ja aeussern.
@SGechert @PHuenermund @hwin365 @D_Langenmayr @SBachTax @heimbergecon @SDullien @jsuedekum @YohannesBecker @AchimTruger @PhilippaSigl @Otto_Fricke @Lars_Feld @FuestClemens @W_Schmidt_ @MartinGreive @chris_breu @boeckler_de @IMKFlash Der groessere Punkt ist doch der: es gibt seit Jahren die ja durchaus in Teilen berechtigte Klage, dass durch Rankings was quantifiziert wird, was nicht quantifizierbar ist: Forschungsqualitaet. Ich vermute, dass diese Klage auch das ein oder andere Mal vom IMK kam.
@SGechert @PHuenermund @hwin365 @D_Langenmayr @SBachTax @heimbergecon @SDullien @jsuedekum @YohannesBecker @AchimTruger @PhilippaSigl @Otto_Fricke @Lars_Feld @FuestClemens @W_Schmidt_ @MartinGreive @chris_breu @boeckler_de @IMKFlash Aber hier wird jetzt behauptet (und durch Likes bestaetigt), dass man durch Metaanalysen mit ein paar Kontrollen Studien vergleichbar machen kann, die nur schwer vergleichbar sind. Vor allem dann, wenn das Ergebnis der wirtschaftspolitischen Ausrichtung des IMK entspricht.
Read 7 tweets
23 May
@PHuenermund @KaiGehring1 @zirnass @JohnHMcWhorter @coldxman @Ayaan Darum geht es. Ignorieren sollst du gar nichts. Wobei ich schon zugebe, dass sich mein zugegebenermaßen auf Twitter beschränktes Engagement gegen Trump und seine GOP aus meiner Auseinandersetzung mit dem kolossalen Versagen des Bürgertums der Weimarer Republik speist.
@PHuenermund @KaiGehring1 @zirnass @JohnHMcWhorter @coldxman @Ayaan Es ist für mich nach wie vor unbegreiflich, wie man glaubte, dass man Hitler wuerde zähmen können. Und ich finde das gerade deshalb beschämend, weil ich mich selbst als zutiefst bürgerlich mit oft konservativ-liberalen Werten sehe. Es tut fast so weh wie ein eigenes Versagen.
@PHuenermund @KaiGehring1 @zirnass @JohnHMcWhorter @coldxman @Ayaan Und diese Denkfigur “meiner Leute” - notfalls mit Rechtsaußen verbinden weil: Commies - zieht sich leider durch die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. Meist natürlich weniger folgenreich wie Weimar, aber die intellektuelle Denkfigur ist oft da.
Read 7 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(