Warum sind Felddaten zur Effizienz von Impfstoffen teilweise so schwierig sicher zu interpretieren? Schauen wir uns das mal an.
Bei einer idealen Studie gibt es zwei Gruppen, die Intervention (Impfung) und die Kontrolle (Placebo) - beide sollten bis auf die Intervention so 1/23
ähnlich wie irgend möglich sein - also z.B. Alters- und Geschlechtsverteilung, ethnischer Hintergrund, Häufigkeit von Vorerkrankungen usw.
Außerdem sollte die Intervention in einem möglichst definierten Zeitraum erfolgen. In der Summe sollte dann der einzige Unterschied eben 2/n
diese Intervention sein und ein Unterschied z.B. in der Zahl der Infektionen sollte nur auf diese zurückgehen. Dann lässt sich daraus auch leicht eine Effizienz der Impfung errechnen.
Sind die Gruppen aber nicht sehr ähnlich, dann können eben diese Unterschiede auch zu 3/n
Unterschieden im Ergebnis beitragen. Und genau das passiert, wenn wir von einer kontrollierten Studie zu einer Impfkampagne und Felddaten übergehen.
Impfen wir am Anfang der Kampagne vor allem Risikogruppen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einer (schweren) Infektion, dann 4/n
zeigt der Vergleich Geimpfte/Ungeimpfte eine scheinbar verringerte Effektivität der Impfung, denn 80% verhinderte Infektionen ergibt in einer Gruppe mit vielen Infektionen immer noch relativ hohe absolute Zahlen.
Umgekehrt können Geimpfte das Bild auch in die andere Richtung 5/n
verzerren, wenn andere schützende Faktoren dazukommen. Sind z.B. viele Menschen geimpft, die die Pandemie trotzdem noch ernst nehmen und auf Hygiene achten und viele Querdenker nicht, dann ist der zwischen den Geimpften und Ungeimpften beobachtete Unterschied größer als 6/n
die Impfung alleine es bewirken würde.
Einige solche Unterschiede kann man herausrechnen, wenn man z.B. die Altersverteilung der Gruppen kennt, aber dazu braucht man oft sehr gute Datensätze, die bei "Felddaten" so nicht immer vorhanden sind.
Noch schwieriger wird es, wenn die7/n
Gruppen sehr unterschiedlich groß sind. Im Extremfall (100% einer Altersgruppe geimpft) hätte man gar keine geeignete Vergleichsgruppe mehr und könnte daher auch aus den Daten gar keine Effektivität mehr berechnen.
Aber auch Vergleichgruppen die "nur" viel kleiner sind bergen 8/n
Probleme, da kleine Stichproben eher zu Extremen neigen ("Gesetz der großen Zahl" - einfaches Beispiel: Bei einem Würfelwurf ist die Chance auf nur 6er 1/6, bei zwei Würfen nur 1/36 usw.). Bei Corona wird das durch die Rolle, die Superspreadingereignisse spielen noch 9/n
erschwert: Bei einer kleinen Kontrollgruppe würde schon das Vorhandensein oder Fehlen eines solchen Ereignisses die Zahlen deutlich verzerren - während die zu erwartende Verteilung solcher Ereignisse in der größeren Gruppe viel wahrscheinlicher ist.
Es wird aber sogar noch 10/n
komplizierter, wenn sich zusätzlich zu z.B. dem Impffortschritt äußere Bedingungen ändern (z.B. Saisonalität oder Virusvarianten) und so Daten innerhalb eines Messzeitraums irreführend werden können.
Ein theoretisches Beispiel: Sei die Impfung immer zu 80% effektiv und im 11/n
ersten Monat sind 10% der Bevölkerung geimpft und die Wahrscheinlichkeit einer Infektion läge bei 5%. Dann hätten wir von 100.000 Personen:
10.000 Geimpfte mit 100 Infektionen (5% von 10.000, davon 80% verhindert)
90.000 Ungeimpfte mit 4.500 Infektionen 12/n
In Monat zwei bleibt die Impfung gleich effektiv, aber inzwischen sind 90% geimpft und eine neue Virusvariante verdoppelt die Wahrscheinlichkeit einer Infektion:
90.000 Geimpfte mit 1.800 Infektionen (10%*0,2=2% von 90.000)
10.000 Ungeimpfte mit 1.000 Infektionen 13/n
Für jeden Monat ergäbe sich also eine Effektivität von 80% für die Impfung. Rechnen wir aber beide Monate einfach naiv zusammen, dann haben wir:
100.000 Geimpfte mit 1.900 Infektionen
100.000 Ungeimpfte mit 5.500 Infektionen
Daraus ergäbe sich 1.900/5.500 = 34,5%, also nur 14/n
eine scheinbare Effektivität von 65,5%!
Ideal wäre eine Datenerhebung immer nur in einem sehr engen Zeitfenster, um Verzerrungen durch sich verändernde Bedingungen zu verhindern und andererseits möglichst große Zahlen an Fällen, um andere Effekte herausrechnen zu können...😫15/n
All das zusammen (und mehr) führt also dazu, dass Felddaten weniger eindeutig sind als kontrollierte Studien und ihre Interpretation oft auch von einer Reihe von Annahmen abhängt, die in eventuelle Korrekturen einfließen müssen.
Bei sehr eindeutigen Unterschieden macht das 16/n
nicht so viel aus - deshalb ist auch z.B. die Aussage, dass in allen Ländern die Daten zeigen, dass Geimpfte viel seltener schwer an Infektionen mit Delta erkranken sicher zu treffen.
Bei genauen Zahlenwerten und kleineren Unterschieden wird es aber schwieriger, z.B. wenn 17/n
wir unterscheiden wollen, ob die Effektivität der Impfung von 80% auf 72% oder 66% sinkt.
Und das ist vielleicht die wichtigste Take-Home-Message bei den derzeit kursierenden Vergleichen der Wirkung von Impfungen gegen Delta aus Israel, UK, USA usw.:
Wir können gleichzeitig 18/n
sicher sein, dass die Impfungen auch gegen Delta sehr effektiv sind, gute Hinweise auf eine reduzierte Effektivität in Israel haben und Schwierigkeiten haben, sicher zu sein, wie stark reduziert sie sind und was alles zu dieser Reduktion beiträgt (z.B. Immunitätsabnahme, 19/n
Verhaltensänderungen, Saisonalität, Variantenmixe...)
Und es kann sogar sein, dass wir wirklich verlässliche Antworten nicht auf alle diese Fragen bekommen, da sich die Lage schon wieder geändert haben kann, bevor wir genug Daten für Aussagen mit sehr hoher Sicherheit haben. 20/n
Und ja, das ist frustrierend, aber man sollte sich dadurch nicht davon ablenken lassen, dass
a) Die Impfung auch mit (evtl. nach ein paar Monaten) etwas reduzierte Effektivität sinnvoll bleibt
b) zu Boosterimpfungen als möglicher Lösung des Problems v.a. für Risikogruppen 21/n
bereits Studien laufen und
c) wir fortlaufend mehr Daten bekommen und bei einem klareren Bild dann auch besser bewerten können

Oh, und falls Ihr Euch jetzt verwirrter fühlen solltet als vorher, seht das als etwas positives - denn ein Bewusstsein dafür was man nicht sicher 22/n
weiss, ist essentiell für gute Wissenschaft. Auch wenn es manchmal nervt. Auf der anderen Seite bleibt das weiterforschen und -lernen so spannend und das Hirn rostet nicht!

Mäuschen out 🐭

(23/23)

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21 Jul
Ein paar Gedanken/Fragen zu den Daten abnehmender Effektivität der Impfungen in Israel und warum ich es schwer finde, deren Relevanz derzeit wirklich abzuschätzen:
* Da auch in Israel zuerst Risikogruppen geimpft wurden, unter denen aber auch eben einige Menschen mit alters- 1/n
oder krankheitsbedingt geschwächtem Immunsystem waren: Welcher Anteil der verringerten Effektivität geht darauf zurück, dass wir hier die "reale" Effektivität in eben diesen Gruppen messen?
* Welcher Anteil der verringerten Effektivität geht auf einen normalen Übergang von 2/n
akut aktivierter Immunantwort auf eine dauerhafte etwas schwächere zurück, d.h. Haben wir eine einmalige Abhnahme z.B. 80%->60% oder sinkt es weiter?
* Welchen Anteil an der sinkenden Effektivität macht die wandelnde Prävalenz anderer Varianten aus? 3/n
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12 Jul
Sport kann als Wettbewerb anregend und verbindend sein, aber zuweilen entladen sich am Rande oft lang angestaute Aggressionen und es kommt zu Ausschreitungen, die sich gegen vermeintliche Feinde richten, ob mit nationalistischen, rassistischen, gesellschaftlichen oder (1/9)
sonstigen Hintergründen oder einer unüberschaubaren Mischung aus allem. Manchmal entladen sich die Dinge spontan, manchmal auch angeheizt. Und das ist nicht neu und nicht nur im Fußball so.
Eine der ältesten Darstellungen von Unruhen im Umfeld eines Sportereignisses findet (2/9)
sich in Pompeji, wo Straßenschlachten zwischen Pompejianern und Besuchern aus Nuceria 59 n.d.Z. im Umfeld von Gladiatorenspielen dargestellt wurden, die dazu führten, dass Nero in der Stadt für 10 Jahre alle solchen Veranstaltungen untersagen liess. (3/9)

de.wikipedia.org/wiki/Pompeji#R…
Read 10 tweets
11 Jul
Warum war Darwins "Origins of species" eigentlich so ein Bestseller?

Artbildung ist doch ein Nischenthema 🤔
Okay, für die, die auf dem Schlauch stehen, schaut einen Tweet weiter 😉
Der Prozess, bei dem eine Population durch die Spezialisierung auf unterschiedliche Lebensweisen (ökologische Nische) verschiedene Arten hervorbringen kann, ist die Einnischung.
Read 4 tweets
9 Jul
Demnächst irgendwo:

Querdenker: "Ich trau der Impfung nicht, wegen Nickel-56!"
WissenschaftlerIn: "Da ist kein Nickel-56 drin"
QD: "Weisst Du, wie giftig Nickel-56 ist?"
W: "Ist radioaktiv, aber es ist ja keins drin!"
QD: "Davon kann man sogar Krebs bekommen! Krebs!!!" (1/7)
W: "Wieso reden wir eigentlich über Nickel-56?"
QD: "Weil Ihr alle leugnet, dass das Kinder tötet!"
W: "Aber wieso sollte das in Impfungen sein?"
QD: "Eben, das hat da nichts zu suchen, außer man will damit die halbe Bevölkerung ausrotten!"
W: "Ja, aber es ist keins drin!" (2/7)
QD: Link auf wissenschaftliches Journal
W: "Was soll das jetzt?"
QD: "Da ist die Studie drin!"
W: "Ach, die über die Effizienz des XY-Vakzins? Okay, aber da steht nichts über Nickel-56"
QD: "Doch, Lüge!! Auf Seite 473!!!!!"
W: "Aber da ist doch eine ganz andere Studie" (3/7)
Read 7 tweets
9 Jul
Eine doch recht erstaunliche Stellungnahme des #MWGFD erscheint heute im Twitterfeed von @SHomburg, die in großer Offenheit das seltsame Wissenschaftsverständnis dieses Vereins präsentiert. Ich präsentiere die Stellungnahme hier für die (1/n)

Geblockten in Gänze, entsprechend dem Zitatrecht (mit Herrn Homburgs oben verlinktem Tweet als Quelle), um mich mit jedem einzelnen Punkt auseinanderzusetzen. Die Masken/Kinder-Studie, um die es geht, ist hier einsehbar: jamanetwork.com/journals/jamap… (2/n)
Schon der erste Absatz der Stellungnahme ist bemerkenswert, es wird nämlich jede Kritik bei Desinformations- und Hetzportalen verortet. Dass zahlreiche Wissenschaftler hier auf Twitter, aber auch in der Kommentarspalte bei JAMA (dort frei einsehbar und oft unter Klarnamen) (3/n)
Read 26 tweets
7 Jul
Walachs Studie zur Abwägung des Nutzens von Impfungen gegen Covid-19 "The Safety of COVID-19 Vaccinations—We Should Rethink the Policy", die schon bei Erscheinen von vielen WissenschaftlerInnen scharf kritisiert wurde, ist vom Journal zurückgezogen (1/7)

mdpi.com/2076-393X/9/7/…
Und auch seine Universität hat Konsequenzen gezogen und seine Beschäftigung dort beendet. In der Summe sind das sehr schnelle und harte, aber angesichts der vielen offensichtlichen und nur durch bewusste Manipulation erklärbaren Unstimmigkeiten in (2/7)

der Arbeit angemessene Reaktionen. Eine gute Übersicht über die Probleme der Arbeit hat @ver_linkt hier auf Deutsch geliefert:
(3/7)
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