1/X: Das Gesicht von R. Habeck, als sich das ZDF-#Sommerinterview bei Min 9 von 20 immer noch rein um die Grünen, ihre Interna und Umfragewerte dreht. Er versucht inhaltlich zu antworten. Klappt nicht. Gar nichts klappt hier. Chronik eines Interview-GAUs.
2: Es geht die ersten Minuten also um die Grünen, das Saarland (= grüne Stimmverluste) und immer wieder: Umfragewerte. Wo sie mal standen, wo sie jetzt sind. Was alles schief lief und noch laufen könnte.
Um gesellschaftliche Probleme, Ideen, Lösungen? Geht es nicht.
3: Wie die im Off hörbaren Möwen segelt der ganze Beitrag an jeglicher Substanz vorbei. Das zu lange Intro über Flensburg, der 60sek-Einspieler über wo die Grünen angeblich kämpfen (Kandidatinkür, Baerbocks Fehler, Saarland und: Umfragen) – "kritischer Journalismus" aus Plastik.
4: Nach dem Beitrag über grüne Pannen (7:30) lautet die Frage dann ernsthaft: "Wie schwer ist das eigentlich für Sie, der Frau, der Sie unterlegen sind, beim Scheitern zuzuschauen?" Habeck versucht es wieder: Inhalte, Probleme – Unterbrechung: "Aber es geht um Vertrauen!"
5: Die momentan wie noch nie spürbare Dringlichkeit der Klimakrise? Dient einzig als Hebel für Fragen wie "wenn es so ernst ist, müssen Sie dann nicht die Kandidatin austauschen?" Also um: Umfragen. "Europa brennt!" ruft Habeck. Das Interview ist da schon eine verkohlte Leiche.
6: Das ist das Gesicht von Robert Habeck bei Minute 9:10, als er gefragt wird, warum er nicht Kanzlerkandidat ist, sondern die "ungeeignete" Baerbock.
7: Diese ersten zehn Minuten verdummen sich also strikt auf: Politik als Wettkampf, Journalismus als Sportberichterstattung. Das wäre schon erschütternd unangemessen, wenn diese Wahl nicht so wichtig wäre. In diesem Jahr ist es nur noch abstrus, destruktiv, aggressiv schlecht.
8: Das ist das Gesicht von Robert Habeck von 9:55, als die erste (wirklich, die erste) inhaltliche Frage kommt . Nicht zum Klima, sondern zu Corona und Impf-Rechte. Auf den Höhepunkt folgen aufrüttelnde Gretchenfragen der Pandemie wie: "Bleiben Tests mit den Grünen kostenlos?".
9: Das ist das Gesicht von... naja egal, die Frage war, ob wir wegen "Weissrussland" und dortiger "Bewegung": "einen Zaun" um Europa brauchen? Habeck bringt das Asyl-Verteilsystem ins Spiel, wird unterbrochen, denn: brauchen wir EINEN ZAUN?
10: Jetzt! Bei Minute 16:07 kommt die erste Frage zur Klimakrise: Ob Geld denn keine Rolle spiele beim Klima? Als Habeck das Investitionskonzept erklärt, wird er mehrmals unterbrochen: "Ist das nach oben offen?" Entwarnung: Es geht also eigentlich doch um die Schuldenbremse.
11: Puh, nun können wir aufatmen: es geht wieder die Grünen, das sich momentan möglicherweise andeutende Scheitern = nicht Kanzlerin werden (also : Umfragen), ob er dann "persönlich" die Verantwortung trage? Habeck schaut zu solchen Fragen wie eine verirrte Flaschenpost.
12: Während die Welt – nicht zuletzt dieses Deutschland per historischer Flutkatastrophe – noch nie gesehene furchtbare Auswirkungen der Klimakrise erleidet, spielen weder zerstörerisches Wasser noch Feuer in diesem Interview eine Rolle. 1,5 Grad sind eben kein Umfragewert.
13: Am Ende dieses als #Sommerinterview verkleideten journalistischen Wintereinbruch muss man Robert Habeck dankbar sein, dass er nicht schon nach der vierten Quatschfrage per Arschbombe ins Wasser geflüchtet ist. Es wäre die einzig adäquate Reaktion gewesen.
14: Habecks letzte Worte, halb abgeschnitten: "Ahnungslosigkeit und Geiz regieren die Welt – wer will das denn?" Besser hätte man dieses Stück Fernsehen nicht beschreiben können: brutal ahnungslos und intellektuell geizig. Eine schwarze Null, sozusagen.
[14+1: Das Öffentlich-Rechtliche ist grundsätzlich das beste Mediensystem, was ich mir vorstellen kann. Wir müssen diesen Rundfunk gegen jeden Angriff verteidigen. Wir müssen ihn scharf kritisieren, wo er seinen Auftrag verfehlt. Er ist es wert.]
[14+2: Auch gegenüber Laschet, Wissler, Lindner oder Scholz hätte ich mir auf gar. keinen. Fall. knappe 10 Minuten Fragen zu Partei und Umfragen gewünscht. Die Grünen bieten da momentan etwas Angriffsfläche, aber mehr als zwei Fragen sind Folklore.]
[14+3: Dass die Klimakrise, und das macht mich auch eine Nacht später leicht fassungslos, einzig als Fragenhebel für grüne Orgaisationsschwäche oder Schuldenpolitik in Stellung gebracht wird, kann nur an einem krassen Mangel an Verständnis für ihre DImension liegen.]
[14+4: Man muss in diesem konkreten Zusammenhang, aber auch generell immer wieder bedenken, dass Umfragewerte keine Dinge sind, keine Fakten, keine Ereignisse. Sie sind volatil, varriieren zwischen Instituten und taugen zu kaum etwas. Man kann sie berichten. Man muss aber nicht.]
[14+5: Dass sie sehr jedoch oft Grundlage und Hauptthema von "Politikjournalismus" sind, dass an ihnen fast alle Inhalte ausgerichtet und interpretiert werden, ist eine bei näherem Hinsehen nur noch absurde Entwicklung, die Teil des größeren Problems von Postpolitik ist.]
[14+6: Wenn man also auf der einen Seite gewisse Bewegungen in Umfragen hat, auf der anderen Waldbrände, Flutkatastrophen und hochalarmierte WissenschaftlerInnen – was ist real? Was verdient welchen Raum? Man merkt: Diese Interviews müssen sich zu ihrem Gegenteil ändern.]

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7 Jun
Die mangelhaften Masken wurden verschickt und als Schrott getestet, eine Milliarde versenkt, aber jetzt reden alle über die Quelle der Story?
Wenn die SPD den Spin von Merkel und Co. nicht noch rumreißt, hat sie einen Elfmeter ins eigene Tor geschossen plus Kreuzbandriss.
Hoffentlich schaut sich jemand das Dementi nochmal genau an und sucht noch ein paar Maskenempfänger. Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass Spahn, Laschet und Merkel nach einer gewonnen leb Landtagswahl derart auffahren, wenn die Sache so haltlos ist, wie sie tun? Im Gegenteil.
Merkel hat sich seit ungefähr drei Jahren nicht mehr explizit mit der SPD befasst. Und dann direkt aus einer Präsidiumssitzung per BILD zitieren lassen, assistiert von Laschet. Wenn das alles so koscher wäre, wieso sofort mehr Fokus drauf statt LTW zu feiern? Follow the Jammer.
Read 11 tweets
2 May
1: Wie im Podcast mit @samelou angerissen und per se nicht neu, aber zigfach gesteigert in der Pandemie:

Es werden bis zur kollektiven Erschöpfung normative Meta-Debatten geführt, indem politische Fragen&Konflikte diskursiv zu moralischen umgedeutet werden. Einige Beispiele.
[1,5: der beste @nilsmarkwardt hat das wie immer lesenswert von der anderen (systemtheoretischen) Seite her beschrieben: "Reden übers Reden." deutschlandfunkkultur.de/allesdichtmach… ]
[1,75: Ich glaube, diese "Luhmann-Debatten" entstehen ursächlich in den Leerstellen/Hohlräumen, aus denen Politik sich zurückzieht, und die diskursiv vom Konnektiv mit Moralisierung und Meta gefüllt werden, weil Pragmatik nicht greift. Jetzt aber Beispiele:]
Read 20 tweets
30 Apr
1: „(Sind wir zu) wissenschaftsgläubig?“: das nächste schmerzhaft gute Beispiel für ein leicht zu übersehendes Framing, mit dem eine fantastisch gute Wochenzeitung eine Extremposition auf ihrer Titelseite normalisiert. Warum?
2: Als ob er ernsthaft verhandelbar wäre, unser „Wissenschaftsglaube“ - natürlich glauben wir alle an Prinzipien wie objektivierbare Verifizierung/Falsifizierung von Hypothesen, an transparente Studien und wissenschaftliche Institutionen wie Universitäten und Institute.
3: Wer glaubt nicht an Wissenschaft oder lehnt sie taktisch ab? Bewegungen wie die „Querdenker“, fundamentale Christen, egomane ex-US-Präsidenten (Name vergessen), Rechtsextrempopulisten und immer so weiter. Gemeinsam haben sie sonst nur noch eins: ihre Demokratiefeindlichkeit.
Read 12 tweets
27 Apr
Die einzige Frage an unsere Regierung muss doch sein: wie können wir verantworten, dass Portugal in knapp 3 Monaten von Inzidenz 900 und 300 Toten/Tag auf jetzt 0 Tote/Tag und Inzidenz 35 gekommen ist, mit einer simplen bekannten Strategie, und wir versuchen es nicht einmal?
(Falls es jemand umgerechnet haben will: 300 wären bei uns 2400 Tote am Tag.)
Wie jetzt blitzschnell rationalisiert wird, was alles an Portugal anders ist: Kleines Land, am Rand von Europa, fängt mit P an nicht mit D... ich kaufe ein „hat keine so feige Regierung“ und will lösen. Genau so guter oder schlechter Grund wie alle anderen.
Read 6 tweets
24 Apr
1: Was haben wir aus #allesdichtmachen (mal wieder) gelernt? Intellektuelle oder moralische Kapitulation vor einer problematischen Realität ist kein Privileg von Querdenkern und Nazis. Im Gegenteil. Denn sie hat nachvollziehbare Gründe.
2: Besonders sich als "bürgerlich" oder "liberal" oder auch "progressiv" wahrnehmende Menschen haben momentan zu kämpfen mit dem inneren Konflikt zwischen Solidarität und Egoismus, der in jedem von uns steckt.
3: Die kognitive Dissonanz zwischen "ich bin ein guter Mensch, mir sind Tote nicht egal" und "ich will meine Freiheit zurück" kann nur mit intaktem Selbstbild und Ego aufgelöst werden, wenn man einen Teil der Wirklichkeit einfach ignoriert.
Read 13 tweets
19 Apr
(Eine Frage zu solchen Passagen, die mich noch interessiert:)

Was für ein Druck muss hinter den Kulissen herrschen, dass ein Wirtschaftsminister lieber solche demütigenden Auftritte in Talkshows absolviert, als gegen die Interessen einiger Branchen zu handeln?
Steile These: Menschen wie Peter Altmaier sind weder dumm noch böse noch 14 Monate hinterm Mond gewesen. Sie wissen, dass nicht stimmt, was sie jetzt öffentlich erzählen. Aber mehrmals haben sie statt für den Infektionsschutz lieber für Teile der Wirtschaft entschieden. Warum?
Diese Auftritte nun sind Variationen der "Scheißidee" (Zitat Altmaier), sich vor Friday-for-Future-Aktivist*innen zu stellen und zu behaupten, man mache sinnvolle Klimapolitik: völliger Unsinn, und er weiß das selber am besten.
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