@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario Das ist ein Thema, das die Bildungs- und Schulgeschichte durchzieht - bis in die Didaktiken hinein: Geht es bei Schule um konkrete Vorbereitung auf genau bekannte Herausforderungen der jeweils aktuellen Gesellschaft (so etwas wie "Anleitung") - oder um eine vom konkreten .../2
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 1/... Alltag und seinen (kontingenten) An- und Herausforderungen abgelöste, abstrahierte Befähigung zum eigenständigen Umgang mit sich verändernden Gesellschaften und Herausforderungen, oder noch abstrakter (?) um allgemeine Persönlichkeitsbildung, gerade auch in Räumen, .../3
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 2/... von diesem Alltag abgekoppelt, bewahrt sind.
Man merkt schnell: Das als Alternative zu formulieren, ist selbst Teil des Problems. Dennoch bleibt die Frage nach diesen Funktionen und ihrem Verhältnis virulent.
Diese Frage unterliegt auch der derzeit im angelsächsischen .../4
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 3/... (und darüber hinaus) laufenden Debatte um Wissenskonzepte, v.a. "Powerful Knowledge". Letzteres Konzept ist eine Reaktion auf eine Variante des im Ausgangstweet geäußerten Gedankens:

Michael Young (engl. Bildungssoziologe, auch Chemiker), von dem das Konzept .../5
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 4/... (zusammen mit dem Geographen bzw. Geographiedidaktiker David Lambert) stammt, hat (so stellt er es in dem entsprechenden Buch "Knowledge and the Future School" selbst dar) in den 1970er Jahren sich gegen Schule gestellt, die das "Wissen der Mächtigen" an Schüler:innen .../6
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 5/... vermittelte, egal, ob es ihnen wirklich nützlich ist. Diese Form von Wissen war eher traditional begründet, also eher Fortschreibung des Wissens, das die älteren Generationen schon hatten lernen müssen, wobei es eben nicht einfach eine gemeinsame Tradition war, .../7
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 6/... sondern die der herrschenden Klassen (einschl. so etwas wie Bildungsbürgertums), für alle verbindlich gemacht. Dem stellte Young nun eine Konzeption für diejenigen Schüler:innen entgegen, für die dieses Wissen nicht funktional war (weil sie nicht auf Elite-Unis gehen .../8
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 7/... würden, etc.) - also in etwa die Schüler:innen staatlicher comprehensive schools mit dem Ziel einer Berufsausbildung ohne expliziten akademischen Anspruch. Hier war unmittelbare Lebenstauglichkeit des zu vermittelnden Wissens das zentrale Konzept - sowohl was den .../9
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 8/... Alltag angehen sollte (hier gehört somit das konkret anleitende Wissen hin) als auch was berufsvorbereitendes oder gar erste berufliche Bildungsstufen angeht. Gedacht war das als eine Maßnahme zur Bildungsgerechtigkeit.
In den 2000er Jahren aber hat Young (eigenem .../10
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 9/... Bekunden zufolge umgedacht. Dieses letztere, unmittelbar praktische bzw. berufsorientierte Wissen, hat nämlich - so seine Analyse - keineswegs für Bildungsgerechtigkeit geführt, weil es dazu beitrug, die Schüler:innen zwar in ihrem Milieu zu orientieren, aber eben .../11
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 10/... auch nur dort.
Sei das erstgenannte klassische Wissen der Mächtigen (nun "Futur I-Wissen" getauft) von vornherein entfremdet gewesen, habe auch dieses (nun "Futur-II-Wissen" genannt) zur sozialen Immobilität beigetragen. In "Knowledge and the Future School" .../12
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 11/... formulieren Young und Lambert nun die Idee eines "mächtigen" "Futur-III-"-Wissens, d. sich dadurch auszeichne, dass es geeignet sei, die Lernenden über ihr unmittelbares Milieu hinauszuführen, sie zu befähigen, sich in der weiteren Kultur (und Technik, Medien, etc.) .../13
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 12/... zu orientieren.
Diese Begründung spricht dann wieder dagegen, schulische Zeit mit dem im Ausgangstweet und der Diskussion angesprochenen Wissen über konkrete Anforderungen zu füllen, das man sowohl auch anderweitig erwerben kann als auch immer wieder konkret .../14
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 13/... adaptieren muss. Schule muss demnach vielmehr die gewissermaßen darunter liegenden Konzepte und Fähigkeiten entwickeln, die ein solches zugleich adaptives wie auch kritisch-reflexives Lernen der konkreten gesellschaftlichen Praxen erst ermöglichen.
Dem ist zuzustimmen. /15
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 14/
Ob die Idee des "Futur-III"-Powerful Knowledge als über das vorhandene Milieu hinausführendem Wissen nicht schon mit den Fragen nach der Trias von gegenwärtiger lebensweltlicher, exemplarischer und künftiger Bedeutung in Klafkis Didaktischer Analyse deutlich früher .../16
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 15/... formuliert war, ist dabei eine wichtige Frage an das Konzept des "Powerful Knowledge". Letzrere macht deutlich, dass solches Wissen nicht einfach per Übernahme fertiger Formulierungen erworben (und somit 'beigebracht') werden kann, sondern als relationales Wissen .../17
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 16/... schrittweise entwickelt werden muss.
Die andere nötige Frage ist die, ob die zuweilen zu findende Formulierung, dieses "Powerful Knowledge" (das zu Recht auch und gerade disziplinär, also domänenspezifisch und somit fachlich gedacht wird) jeweils im in der Disziplin .../18
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 17/... besten gedachten Wissen gesehen werden kann - bedeutete das doch, dass powerful knowledge wiederum gerade nicht relational ist, sondern in der konkreten Form dasjenige von Experten, die die Lebenswelt der Lernenden bei der Entwicklung dieses Wissens gerade (noch) .../19
@m_brandtner @L_Petersdotter @Pollos_Hermario 18/... nicht im Blick haben konnten. Auch von daher: Das wissenschaftlich-disziplinäre Wissen formuliert einen von mehreren "Polen" in e. mehrdimensionalen Feld unterschiedlicher Wissensformen (Grammes 1998), die schulisches Wissen als relationales zu verbinden ermöglichen muss.

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with 🔴🔴🔴Andreas Körber (HH, pr.: SH)

🔴🔴🔴Andreas Körber (HH, pr.: SH) Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @An_Koer

29 Aug
@PankowerPflanze Nein. Ich kann das mal für Hamburg skizzieren -- und ein paar (durchaus kritische) Aspekte anfügen. Vorweg aber: ich bin durchaus dagegen, dass Lehramtsstudierende so früh wie möglich und möglichst umfangreich unterrichten. "Erfahrung" ist gerade nicht alles. Wohl aber .../2
@PankowerPflanze 1/... brauchen wir frühe Praxisbezüge - nur eben nicht, um irgendwie früh "unterrichten zu lernen", "handlungssicher" zu werden und irgendwelche Routinen aufzubauen, sondern um die Perspektive auf Unterricht zu wechseln.
Erfahrungen mit Unterricht haben wir (fast) alle .../3
@PankowerPflanze 2/... immer schon - als Lernende (Schüler:innen). Wenn man nun einfach "in der Praxis aus der Praxis für die Praxis" lernt, wird man recht früh handlungssicher werden - in einem Unterricht, wie er heute üblich ist, unter gegenwärtigen Bedingungen. Dass der heutige Unterricht ../4
Read 35 tweets
18 May
@robertparzer @geierandrea2017 @greeny_nicolini JEIN. Es wäre (ist) absolut falsch, so etwas als Mittel zur "Vermittlung" von Wissen über diese Vergangenheit, über die Weiße Rose etc. einzusetzen. Es als MEDIUM der Geschichtskultur zu thematisieren, ist notwendig im GU.
Selbst eine kritische Diskussion, die solche .../2
@robertparzer @geierandrea2017 @greeny_nicolini 1/... medialen Produkte scharf kritisiert, wird sie nicht von der Bildfläche verschwinden lassen, sondern allenfalls aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängen. Die gehören zu unserer Geschichts- (und Erinnerungs-)kultur - auch wenn man den im "-Kultur-"Begriff enthaltenen .../3
@robertparzer @geierandrea2017 @greeny_nicolini 2/... Aspekt der "Pflege" von Geschichte und Erinnerung immer wieder einmal vermisst.
Es kann also nicht darum gehen, diese Dinge zu vermeiden, aber ebenso wenig, um GU die "richtige" Geschichte einfach dagegen zu setzen (oder gar zeitlich "davor") als das vermeintlich von .../4
Read 19 tweets
5 May
@DerGuenther @mfg_kreativ @stephaniebillib @e_lewers @ChBunnenberg @SilkeSchwandt @cgpublichistory @NicolaPrzybylka Die Ubiquität solcher Formulierungen, die die Aufhebung zeitlicher Distanz suggerieren, das Eintauchen in eine andere Zeit, ungefilterte und um die Retrospektive quasi "bereinigte" Wahrnehmung von Vergangenem ist ein nicht neues, aber bleibend interessantes Phänomen. Es .../2
@DerGuenther @mfg_kreativ @stephaniebillib @e_lewers @ChBunnenberg @SilkeSchwandt @cgpublichistory @NicolaPrzybylka 1/... für deren Attraktivität sicher ein ganzes Spektrum an Motiven und Gründen: echte Neugier auf "Fremdes", Alteritäres (also Zeit-Exotik), romantische Projektionen besserer Zeiten (temporaler Eskapismus), auch erkenntnistheoretische Naivität. /3
@DerGuenther @mfg_kreativ @stephaniebillib @e_lewers @ChBunnenberg @SilkeSchwandt @cgpublichistory @NicolaPrzybylka 2/ Anders als in Schule und Lehrerbildung (etwa bei Formulierungen von Unterrichtszielen in Entwürfen etc., die Vergangenheit 'erfahrbar zu machen', etc.), ist es wohl auch müßig, sich dagegen zu wenden - warum auch - dieses Motiv ist ein Charakteristikum (wohl nicht nur) .../4
Read 8 tweets
14 Jan
@s_lvesque @ArthurJChapman Thanks. I have pondered this. It is again about binary thinking in asking historical questions. This is not to say that such questions are irrelevant, insignificant or futile? All these argumentations (not only the indivdual article by Evans linked here, but also all the .../2
@s_lvesque @ArthurJChapman 1/... it reacts to; and, e.g., also the discussion on 'how to' assess and remember the German Kaiserreich of the last days) are very necessary in that they interrelate phenomena. Done prudently (and many of them, even disagreeing with each other, are), they help to sharpen .../3
@s_lvesque @ArthurJChapman 2/... our perception, categorization, etc. What I think is problematic is the concrete form of a binary. Is someone X (or not), was sth Y (or not). Whatever even a diffentiated conclusion will be, it will override the differentiation and effectively negate the (presumed) .../4
Read 15 tweets
1 Dec 20
@Schmidtlepp @RobertFHofmann Das würde mich nun in der Tat einmal interessieren. Wer finanziert in den genannten Naturwissenschaften die erneuten Versuchsaufbauten und -durchführungen samt der Arbeitszeit der Forscher*innen? Das "sofort" würde ich bezweifeln. /2
@Schmidtlepp @RobertFHofmann 1/ Es geht also um prinzipielle NachvollziehBARkeit. Diese hängt aber in der Geschichtswissenschaft im ebenso prinzipiellen Zugang zu den Quellen (daher die konkreten Angaben) _und_ an der Offenlegung und Reflexion von Position und Perspektive, Fragestellung, der Diskussion .../3
@Schmidtlepp @RobertFHofmann 2/... dieser UND der Quellen (das Konzept "Quelle" ist durchaus selbst ein Problem), also der theoretischen Annahmen, der Relevanz- und Wertkriterien etc.
Wenn man schon Wissenschaftskonzepte gegeneinander vergleichen (oder ausspielen) will, dann könnte man auch die Behaup- .../4
Read 28 tweets
21 Aug 20
@Staugsaubaer Ob das wirklich "99,9%" sind, die Unterrichten konsoldiert als UnterrichtUNG begreifen, vermag ich nicht zu sagen. Mein Eindruck ist ein anderer. Bei den meisten Kolleg:innen (wie bei mir selbst) meine ich eine "Mischung"/Kombination (vielleicht besser: unterschiedliche .../2
@Staugsaubaer 1/... Konfigurationen) einer ganzen Reihe von Facetten und Aspekten von Lehrer:innenhandeln (bzw. seiner Anforderungen, Herausforderungen, Prinzipien etc.) zu erkennen, die partiell gut miteinander kombinierbar sind, teilweise zueinander in Spannung stehen.
Das ist es ja .../3
@Staugsaubaer 2/... u.a., was den Beruf zu einer Profession macht: Es gibt weder homogene, gleichartige Situationen noch einfach eine Reihe von "Orientierungen", zwischen denen man einfach wählt, sondern immer neue Lehr-Lernsituationen, in denen man auf der Basis einer ganzen Reihe von .../4
Read 35 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(